

Mental Health am Arbeitsplatz: Warum echte Verbindung wichtiger ist als Benefits
Mental Health bei der Arbeit – mehr als ein Buzzword
Im Podcast Healthwise, präsentiert von Sunday Natural, spricht Gastgeber Nils Behrens mit der Psychotherapeutin und Autorin Nora Dietrich über ihr neues Buch Mental Health at Work. Gemeinsam erkunden sie, warum mentale Gesundheit weit mehr ist als die Abwesenheit von Krankheit – und wie eine gesunde Arbeitskultur konkret aussehen kann.
"Zwei Minuten länger neugierig bleiben"
Dietrich eröffnet das Gespräch mit einem Plädoyer für mehr Neugier – gerade in angespannten Situationen: „Was wäre, wenn wir nicht sofort bewerten, sondern zwei Minuten länger neugierig bleiben?“ Eine Haltung, die im Arbeitsalltag vieles verändern kann: E-Mails werden freundlicher, Meetings menschlicher, Führung authentischer.
Zwischen Funktionieren und Aufblühen
Viele Menschen, so Dietrich, „funktionieren“ – aber sie leben nicht wirklich. Das psychologische Konzept des „Languishing“ beschreibt diesen Zustand zwischen Gesundheit und Krankheit. Symptome wie Gereiztheit, Schlafprobleme oder soziale Rückzüge zeigen: Hier fehlt nicht nur Energie, sondern auch Verbindung und Sinn.
Führung braucht emotionale Kompetenz – und Grenzen
Gemeinsam mit Nils Behrens diskutiert Dietrich das Dilemma moderner Führungskräfte: wirtschaftliche Ziele versus Fürsorgepflicht. Die Lösung? Klarheit über die eigene Rolle. „Mentale Gesundheit ist ein Staffelstab“, so Dietrich. Niemand muss alles alleine tragen – aber jeder kann einen Teil beitragen.
Mehr erfahren im Sunday Healthwise podcast
Von kleinen Gesten und großen Wirkungen
Schon ein Seufzen im Büro, ein fragender Blick oder eine verschobene Kaffeepause können Signale sein. Dietrich plädiert dafür, diese „Bits of Connection“ ernst zu nehmen: „Verbindung ist die beste Intervention.“ Für Mitarbeitende bedeutet das: nicht schweigen, sondern hinschauen – und den Mut aufbringen, offen zu fragen.
Selfcare ist mehr als Selfie
In einer Welt, in der Selbstfürsorge oft als ästhetisches Ideal inszeniert wird, erinnert Dietrich an die unbequeme Seite: sich ehrlich fragen, ob der eigene Lebensstil, die Arbeit oder bestimmte Beziehungen noch zu einem passen. „Selbstfürsorge bedeutet manchmal auch, unbequeme Entscheidungen zu treffen.“
Gesundheit beginnt mit Zuhören
Im Gespräch mit Behrens macht Dietrich deutlich: Der erste Schritt zu mehr mentaler Gesundheit im Unternehmen ist das Sammeln und Ernstnehmen von Daten. Nur wenn Organisationen regelmäßig Feedback einholen und daraus Handlungen ableiten, entsteht Vertrauen – und echte Veränderung.
Fazit: Healthwise heißt menschenweise handeln
Diese Episode von Healthwise zeigt eindrücklich, dass mentale Gesundheit kein privates Randthema ist – sondern Kern gesunder Unternehmenskulturen. Was es braucht: Neugier, Klarheit, echte Gespräche und den Mut zur Verletzlichkeit. Oder wie Dietrich es sagt: „Verbindung ist die Lösung.“
TakeAways
- Languishing erkennen: Zwischen "nicht krank" und "nicht gesund" ist Raum für Veränderung.
- Führung braucht Abgrenzung: Unterstützung endet nicht in der Privatsphäre der Mitarbeitenden.
- Mikrogesten zählen: Ein kurzer Spaziergang kann mehr bewirken als ein Health-Benefit-Programm.
- Selfcare ist unbequem: Echte Fürsorge beginnt mit ehrlichen Fragen.
- Kultur entsteht im Alltag: Mental Health ist ein Verhalten, keine Maßnahme.
produkte, die eine normale nerven- und gehirnfunktion unterstützen können
Nora Dietrich ist Psychotherapeutin, Autorin und eine engagierte Stimme für mehr mentale Gesundheit am Arbeitsplatz. In ihrem neuen Buch Mental Health at Work beleuchtet sie, warum seelisches Wohlbefinden weit über die bloße Abwesenheit von Krankheit hinausgeht – und wie Organisationen aktiv zu einer gesunden Arbeitskultur beitragen können. Im Gespräch teilt sie fundierte Erkenntnisse aus der Psychotherapie, praktische Ansätze für den Arbeitsalltag und zeigt, wie wir mit mehr Offenheit und Achtsamkeit nachhaltige Veränderungen in der Arbeitswelt bewirken können.
[Nils Behrens] (0:00 - 0:49)
Good Vibes Only und ein kleines Dankeschön von uns für euch. Wir feiern gerade eine echte Erfolgsgruppe und jede neue Folge knackt die neue Rekordmarke bei den Hörerzahlen. Und dafür möchte ich euch von Herzen danken.
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[Nora Dietrich] (0:51 - 1:16)
Das heißt zu sagen, Neugierde ist ein ganz großer Treiber, glaube ich, von einer gesunderen Welt und Menschlichkeit, weil das heißt, ich will dich verstehen. Ich will verstehen, warum bist du so gereizt? Warum schreibst du so eine fiese E-Mail?
Statt zu sagen, ja, du bist ein Arschlochchef, zu sagen, was passiert bei dem vielleicht gerade im Hintergrund, was ich nicht weiß. Also weißt du, nur so zwei, drei Minuten länger neugierig zu bleiben, verändert vielleicht sofort, wie ich reagiere und wie sich unsere Beziehung weiterentwickelt.
[Nils Behrens] (1:17 - 2:12)
Herzlich willkommen zu Healthwise, dem Gesundheitspodcast präsentiert von Sunday Natural. Ich bin Nils Behrens und in diesem Podcast erkunden wir gemeinsam, was es bedeutet, gesund zu sein. Wir tauchen ein in Themen wie Medizin, Bewegung, Ernährung und emotionale Gesundheit.
Immer mit einem weisen Blick auf das, was uns wirklich gut tut. Wir verbringen den großen Teil unserer Lebenszeit bei der Arbeit und trotzdem reden wir viel zu selten darüber, wie es uns dabei wirklich geht. Was wäre, wenn Arbeit nicht nur ein Ort der Leistung, sondern auch ein Ort der Heilung sein könnte?
Nora Diederich ist psychologische Psychotherapeutin, Coachin und eine der lautesten Stimmen, wenn es um die mentale Gesundheit am Arbeitsplatz geht. Sie berät Organisationen dabei, gesunde Kulturen zu schaffen, nicht mit leeren Buzzwords, sondern mit echter Menschlichkeit und fundierter Expertise. Ihr aktuelles Buch, Mental Health at Work, ist ein leidenschaftlicher Appell für eine neue Arbeitswelt, in der wir nicht nur funktionieren, sondern wirklich leben dürfen.
Und deswegen sage ich herzlich willkommen, Nora Diederich.
[Nora Dietrich] (2:12 - 2:13)
Ja, danke Dietz, schön.
[Nils Behrens] (2:14 - 2:17)
Nora, wie wichtig sind denn Sonntage für deine mentale Gesundheit?
[Nora Dietrich] (2:18 - 2:33)
Oh, ich liebe Sonntage. Die erzwungene Pause, in der man nichts organisieren kann, was mir ja manchmal auf die Füße fällt, aber finde ich eine tolle Entschleunigung des Lebens ist. Und ja, wir haben eine kleine Routine.
Wir gehen da meist spazieren und Kaffee trinken und auf den Spielplatz. Und ich liebe es, wenn es keinen Plan gibt.
[Nils Behrens] (2:34 - 2:41)
Du liebst es, wenn es keinen Plan gibt? Okay, sehr gut. Wann hast du denn das erste Mal gespürt, dass mentale Gesundheit in der Arbeitswelt mehr als ein Randthema ist?
[Nora Dietrich] (2:42 - 3:52)
Also ich glaube, wenn ich meine eigene Reise rückwärts antrete, dann wahrscheinlich ziemlich früh in meiner Biografie. Ich bin groß geworden mit einem Vater, der ja schon immer psychische Probleme hatte, relativ früh würde ich heute sagen, wahrscheinlich schon in seiner Kindheit, aber lange undiagnostiziert war. Und damit bin ich groß geworden.
Und er selbst war Psychologe und hat viel mit Familien gearbeitet, wo ich auch oft dabei sein durfte. Das heißt, ich war von ganz klein auf irgendwie dabei, was es heißt, wenn das Leben nicht so geradlinig läuft. Und ja, ich glaube, dass für mich die Begeisterung daher rührt, zu sagen, ich will verstehen, was Menschen antreibt, aber ich will auch verstehen, was sie zurückhält und wie kann ich das mitgestalten.
Und ich glaube, wie gesagt, mein Vater war sehr prägend, aber auch dann schlussendlich meine Psychotherapieausbildung, wo ich immer wieder vor PatientInnen saß, die ähnliche Probleme hatten. Also wo Leistung, Angst, nicht wertvoll zu sein, nichts beizutragen, ein ganz großer Treiber war für Depressionen zum Beispiel, für Unzufriedenheit im Job, aber auch für viel interessierte Selbstgefährdung. Also so dieses, ich gehe über meine Grenzen in der Hoffnung, dass ich dann die Anerkennung bekomme, die ich brauche.
[Nils Behrens] (3:53 - 4:00)
Dein Buch beginnt ja auch mit der Geschichte deines Vaters. Was würdest du uns so sagen, wie war diese Erfahrung dich auch persönlich geprägt hat?
[Nora Dietrich] (4:02 - 5:24)
Ich glaube, total tiefgreifend, weil mein Vater hat eine diagnostizierte Bipolarität 2. Das heißt, er ist manisch-depressiv, hypomanisch-depressiv. Das heißt, er hat sehr gute Phasen, wo er extrem kreativ ist, supercharismatisch, mutig und eben dann aber auch gefolgt von den tiefen depressiven Phasen.
Mein Papa war Unternehmer, der hatte zwei Firmen, war Visionär, hatte immer große Ideen und irgendwann konnte der das nicht mehr halten aufgrund der Depression, die ihn irgendwann in die Knie gezwungen hat. Und da war ich ganz aktiver Teil. Also ich war damals im Bachelor 21 und habe ihm geholfen, seine Büros zu schließen.
Er ist dann weggezogen aus Berlin und habe so diesen tiefen Schmerz ganz nah miterlebt und dachte, irgendwie muss es doch eine andere Lösung geben. Weil mein Vater ein extrem intelligenter Mann ist, war und einfach den Rahmen nicht hatte, der ihn arbeitsfähig gehalten hat. Also ihm fehlte das Support-System, der Mut, offen darüber zu sprechen, Hilfe einzufordern.
Ihm fehlte es auch an einem guten Gesundheitssystem, was seine Diagnose erkannte. Und all das war dann so ein bisschen so ein Okay, warte mal, das muss doch irgendwie anders gehen. Kann es sein, dass wir Arbeitswelten schaffen, in denen es möglich ist, vielleicht sogar mit einer chronischen psychischen Erkrankung einen richtig coolen Job zu machen.
Weil Arbeit halt eine krasse Ressource ist, auch für Selbstwert und Entwicklung. Aber es kann eben auch ein großer Stressor sein.
[Nils Behrens] (5:25 - 5:29)
Du sprichst ja in deinem Buch dann ja auch über die Revolution der Menschlichkeit. Ist das ein bisschen das, worauf du hinaus möchtest?
[Nora Dietrich] (5:30 - 6:29)
Auf jeden Fall. Also ich glaube, so aus der Psychotherapie-Brille weiß ich, dass wir alle eigensinnig, chaotisch und verletzlich sind. Und ich mir manchmal wünsche, dass wir uns darin mehr begegnen, statt immer diese Masken zu tragen, so zu tun, als ob bei uns alles genial ist und hinter den Kulissen bröckelt, sondern dafür Hilfe zu bekommen und Support.
Ich glaube, gerade die Arbeitswelt war halt sehr maschinistisch, so aus unserer Vergangenheit. Und jetzt merken wir ja gerade so einen Riesenruf nach empathischer Führung, gesunder Führung, verlässlicher Führung. Ich meine, es gibt unzählige Begriffe dafür.
Und ich glaube, da kommt so ein bisschen durch, dass wir mehr Authentizität wollen, weniger Einsamkeit mit unseren Themen. Und ich weiß nicht, wie es dir geht, aber ich finde, die Dinge, die man in Begegnungen am ehesten erinnert, sind die Momente, wo sich jemand mehr zeigt, als das, was wir sowieso schon kennen. Weißt du, wo du eine Geschichte erfährst, die besonders ist, die Gefühle auslöst, die vielleicht auch nicht perfekt läuft.
Darin verbinden wir uns. Aber es ist eben das Erste, was wir scheuen, anderen zu zeigen.
[Nils Behrens] (6:30 - 6:58)
Total. Wir hatten heute Morgen einen ganz interessanten Moment. Wir haben am Montagmorgen-Meeting immer so eine Versammlung von allen Mitarbeitern.
Und da gibt es immer die Well-Being-Minutes. Und die Well-Being-Minutes ist immer halt am Anfang, führt da die Sarah dann eben halt durch so eine kleine Art von Atemübung, Meditation. Es ist immer was anderes.
Es ist nie das Gleiche. Und heute hat es ja unter anderem eben halt so kurz mal uns meditieren lassen und darüber nachdenken lassen, worin wir wirklich gut sind. Und dann kam auf einmal als Überraschung.
Und jetzt mach die Augen wieder auf und sag es der Person neben dir, wo drin du gut bist.
[Nora Dietrich] (7:00 - 7:03)
Charme. Vor allem für uns, stolz zu sein.
[Nils Behrens] (7:04 - 7:20)
Ja, ja, total. Total. Aber ein interessanter Moment, wirklich so das zu tun.
Auch gerade jetzt in diesem Umfeld. Und ganz interessant, weil bei mir war es tatsächlich dann so, dass ich nachher, also ich hatte dann an verschiedene Sachen gedacht und habe dann was im Berufskontext dann gesagt.
[Nora Dietrich] (7:20 - 7:21)
Worin bist du denn gut?
[Nils Behrens] (7:22 - 8:20)
Ich glaube schon, dass ich gut da drin bin, so Menschen zu connecten insgesamt. Also ich bin insgesamt jemand, der sich sehr gut mit Menschen connectet, kann aber auch die wiederum miteinander connecten, weil ich weiß, wer miteinander gut funktionieren würde oder passen würde. Das ist das, was ich gesagt habe.
Aber mein erster Gedanke, den ich hatte, war, weil meine Tochter momentan gerade so ein paar Themen hat, dass ich sagte, ich glaube schon, dass ich einfach ein guter Vater bin. Ich glaube, dass ich da drin grundsätzlich gut bin. Und grundsätzlich.
Du siehst schon auch da wieder, wie viele Probleme wir da drin haben, das einfach mal so stehen zu haben. Und das fand ich ganz interessant, weil wir waren in so einer Dreierkonstellation, was sich so ergeben hat. Und der andere Kollege, Chris, der sagt einfach, ich glaube, ich bin ein guter Vater.
Und dann meine ich so, warum habe ich das nicht gesagt? Also es war so wirklich so, wo ich so merkte, eigentlich war das mein erster Gedanke. Und trotz allem habe ich dann wiederum gedacht, ich müsste jetzt im Business-Kontext etwas sagen, was irgendwie im weitesten Sinne auch einen Business-Kontext hat.
Und von daher fand ich es eine sehr interessante Situation, die aber sich sehr gut mit dem resoniert, was du jetzt gerade eben gesagt hattest.
[Nora Dietrich] (8:20 - 8:55)
Ja, und ich glaube, das ist total spannend, weil eben nicht nur diese Verletzlichkeit von Dinge sind nicht perfekt und klappen nicht, oder das kann ich nicht, oder da bin ich auch einfach mal ein nerviger Mensch oder wie auch immer. Nicht nur das ist verletzlich, sondern auch stolz. Also gerade in Deutschland, das ist total krass, wie schwer es uns fällt, stolz auf uns zu sein.
Sondern wir schieben das so weg, dann ist die Messlatte gleich wieder höher, was dann eben auch dieses Leistungsstreben irgendwie erklärt. Und das ist total schade, dass wir da das Gefühl haben, dass es irgendwie, ich weiß nicht, dass wir das Ego dann so rausholen, oder zu viel von uns halten, dabei zu sagen, hey, ich bin ein guter Vater, wie schön.
[Nils Behrens] (8:56 - 9:27)
Wobei man muss schon sagen, wenn man sich die LinkedIn-Bubble, in der wir ja beide auch so drin sind, dann hat man schon häufig das Gefühl, dass Leute schon auf sehr viele Sachen stolz sind. Was aber okay ist. Die meisten, mit denen ich da so in engeren Kontakt bin, sind alle sehr unterwegs mit dem ganzen Thema Female Empowerment und all drum und dran.
Und ich finde es ja auch gut, dass so eine Entwicklung da ist, wo dann sich die, ja in dem Fall dann in erster Linie die Frauen dann auch wirklich selbst auch mal für das hochleben, was sie so gemacht haben. Weil das ja eine Kultur ist, die auch da noch weniger ausgeprägt ist als bei Männern.
[Nora Dietrich] (9:27 - 9:29)
Ja, die Unsichtbarkeit, ja total.
[Nils Behrens] (9:30 - 9:39)
Viele Menschen funktionieren ja auch einfach. Was ist denn für dich die ersten Anzeigen, dass sie mal nicht mehr so funktionieren, sondern wo jemand dann auch wirklich schon gefährdet ist?
[Nora Dietrich] (9:40 - 9:44)
Also ich glaube, du sagst es gerade schon in der Frage, das Wort funktionieren, alleine ist schon krass, oder?
[Nils Behrens] (9:44 - 9:45)
Schon krass.
[Nora Dietrich] (9:45 - 11:55)
Was heißt denn funktionieren? Okay, ich bin noch gut geölt. Ich mache das, was man von mir erwartet.
Ist das ein Leben, was ich leben will, dass ich funktioniere? Oder gibt es darüber hinaus eigentlich noch mehr? Also in der Psychologie sprechen wir von Flourishing, also das Gefühl aufzublühen, mitzugestalten, so in seiner Kraft zu sein, Herausforderungen begegnen zu können.
Das ist viel mehr als nur zu funktionieren. Also ich glaube, da haben wir gesellschaftlich schon den ersten Haken. Aber viel mehr, wenn wir jetzt so in das ganz individuelle Erleben gehen, dann wissen die meisten von uns eigentlich schon, was so unsere Frühwarnzeichen für Stress sind.
Das sind manchmal ganz klassische körperliche Symptome, wie der Schlaf verändert sich, ich esse anders, entweder bin ich ein Stressesser oder ein Stress-gar-nicht-mehr-Esser. Oder dass wir so Anspannungen haben, Nacken, wie auch immer, Rücken. Aber auch, dass wir merken, okay, auch kognitiv, also ich kann mich gar nicht mehr so konzentrieren, ich erinnere mich nicht mehr so gut.
Das liegt einfach darin, dass sich tatsächlich unter chronischem Stress die Gehirnarchitektur verändert und der präfrontale Kortex kleiner wird. Das heißt, dass wir tatsächlich nicht mehr die Fähigkeiten haben, so smart und gut Entscheidungen zu treffen, aber vor allen Dingen auch emotional. Also ich glaube, die meisten wissen, wie es sich anfühlt, abends nach der Arbeit aufs Sofa zu fallen und entweder mega erschöpft zu sein oder das Kind schmeißt irgendwas um und wir überreagieren total, obwohl es überhaupt nicht schlimm ist.
Also so eine Gereiztheit zu haben, so eine Dünnhäutigkeit. Aber ich finde, es gibt vor allen Dingen auch ganz viele soziale Aspekte, über die wir gar nicht so oft sprechen. Also so dieses, wie schreibe ich denn eine E-Mail?
Schreibe ich noch, hey Nils, wie geht's dir? Hattest du ein gutes Wochenende? Oder sage ich, wo ist das Dokument?
So, schick es mir jetzt. Bei mir ist es zum Beispiel so, ich habe dann immer unzählige unbeantwortete WhatsApp-Nachrichten und Sprachnachrichten, die ich einfach nie gehört habe. Das ist immer so ein Warnsignal von, mein Fokus liegt auf der Arbeit und nicht auf den Menschen, die ich liebe.
Also jeder von uns hat eigentlich so ein Sammelsorium an Momenten, aber für mich ganz persönlich ist es vor allen Dingen dieser innere Gedanke von, okay, das jetzt auch noch. Das mache ich noch schnell. Auch wenn dafür Dinge runterfallen, die mir eigentlich Spaß machen.
Oder wie Dinge, die ich eigentlich liebe, wie zum Beispiel Kaffee zu trinken mit einer guten Freundin oder mein Kind von der Kita abzuholen, dass die zu so einem To-Do werden.
[Nils Behrens] (11:55 - 11:56)
Weißt du?
[Nora Dietrich] (11:56 - 12:19)
Ich sollte die mal wieder treffen, weil habe ich ja jetzt schon vier Wochen nicht und dann abgehakt, dann sitze ich da, bin aber gar nicht so richtig präsent. Und das sind für mich gute Anzeichen dafür zu sagen, ich glaube, ich habe die eine oder andere rote Linie schon verpasst und bin darüber getreten und hätte vielleicht anhalten müssen und sagen müssen, was brauche ich, damit ich wirklich die Person bin in der Aktion, wie auch immer, ob im Job oder beim Kaffee trinken, die ich eigentlich sein will.
[Nils Behrens] (12:20 - 12:29)
Du benutzt ja auch den Begriff Languishing, also das Dahindümpeln. Wie erkennen wir denn, dass wir nicht gesund sind, obwohl wir auch nicht krank sind?
[Nora Dietrich] (12:31 - 13:45)
Also wir nennen das auch so diese Zeit von moderat gesund ist der Großteil von uns. Das heißt, wir sind nicht total unglücklich, aber wir sind auch nicht so richtig glücklich. Der Alltag ist halt so ein bisschen ja, oder manchmal auch meh, also es ist okay.
Der Leidensdruck ist aber häufig nicht so hoch, dass wir wirklich was verändern, sondern das so ein bisschen als normal nehmen. Das wäre so Languishing, so das Gefühl zu haben, so ein bisschen neben sich zu stehen, Dinge abzuarbeiten, aber halt nicht so dieses Gefühl von Lebendigkeit zu haben auf vollem Ausmaß. Und ich glaube, es ist ganz wichtig zu verstehen, dass der Großteil von uns eher in diesem Bereich unterwegs ist.
Also wenn wir uns ein Spektrum vorstellen von Rot, wirklich in der Krise, vielleicht sogar psychisch erkrankt, zu Grün, dieses Aufblühen, Flourishing, ich kann die Welt irgendwie mit beiden Händen packen, dann sind die meisten von uns eher zwischen Gelb und Orange. Und ich glaube, das ist total hilfreich zu verstehen, dass der Anspruch bei Mente Haus nicht ist, immer bei Grün zu sein und zu denken, ich tanze nackt im Regen und alles ist toll, sondern dass es eher darum geht zu merken, okay, ich bin bei Gelb, wandere Richtung Orange, was kann ich tun, um vielleicht einen kleinen Schritt nach vorne zu gehen Richtung Grün? Weil eben 83 Prozent von uns eher proaktiv in unsere Gesundheit investieren müssen, um Richtung Grün zu wandern.
[Nils Behrens] (13:45 - 13:49)
Und was machst du dafür? Hast du so Rituale, Routinen, die dir persönlich dabei helfen?
[Nora Dietrich] (13:50 - 15:51)
Hu, ja, da fragst dir die Mama von einem Zweijährigen, die sagen würde, hey, es gibt ganz tolle Tipps und Tricks und die kann ich alle nicht leben, weil Morgenroutine zum Beispiel ist komplett und einmal so explodiert. Aber ja, es gibt auf jeden Fall Dinge zum einen im Alltag, also das erste ist, ich wache immer mit Kind auf, das heißt, die ersten zehn Minuten sind ohne Handy, was bei den meisten von uns nicht so ist. Die meisten streicheln morgens als erstes das Handy, bevor sie den Partner oder das Kind oder den Hund streicheln.
Und da ist so ein bisschen die Regel von Rick Rubin, die ich sehr liebe, so ein bisschen Sunlight before Screenlight. Also mal ganz kurz erstmal den Tag reinholen, bevor ich sozusagen Arbeit, Ansprüche, Erwartungen reinhole in mein System. Das ist eine ganz kleine Facette.
Ich mache jede Woche mindestens einmal Sport, das klingt wenig, aber das ist so das, was ich auf jeden Fall schaffe und wenn ich dreimal schaffe, bin ich sehr stolz auf mich mit Kind. Das heißt eigentlich so ganz klassische Routine, ich schlafe sehr viel, weil ich immer müde bin. Ich finde es als Eltern ist Müdigkeit kein Zustand mehr, sondern ein Lebensstil, deswegen ist Schlaf für mich essenziell.
Aber ich habe eben auch Routinen, die ich übers Jahr hinweg denke. Also zum Beispiel jetzt kommt so eine Phase, mein Buch kommt raus, das ist natürlich riesig und daran hängen unglaublich viele Sachen und das wusste ich natürlich im März schon und habe dann gedacht, okay, ich nehme jetzt Anlauf. Also so ein bisschen wie wenn Sportler ins Training gehen, ins Trainingscamp, dass sie nochmal besonders darauf achten, sich gut zu ernähren, viel zu schlafen, soziale Kontakte zu pflegen, weil sie wissen, wenn die Hochphase kommt, habe ich dafür keine Zeit und das ist bei mir auch so.
Zu sagen, auch Selfcare oder so die eigene mentale Gesundheitsroutine muss nicht jeden Tag gleich aussehen, aber sie muss sozusagen im Balance bleiben und es gibt halt Peakphasen, da schaffe ich nicht so viel, da mache ich das Minimale, wie zum Beispiel einmal die Woche Sport, auch wenn ich mir mehr wünschen würde und dann gibt es Phasen, da habe ich Zeit zum Aufladen und mich vorbereiten, körperlich auf das, was kommt.
[Nils Behrens] (15:52 - 16:01)
In deinem Buch heißt es, Arbeit ist nicht das Problem, die Arbeitskultur ist es so. Das heißt, was sind denn für dich so die größten kulturellen Stellschrauben, an denen man arbeiten sollte?
[Nora Dietrich] (16:02 - 17:37)
Huh, das kommt so ein bisschen drauf an. Also ich glaube als Organisation ist es erstmal total wichtig zu verstehen, was sind denn unsere Problemherde? Weil die meisten Organisationen investieren ganz viel Geld in so externe Benefits, also zum Beispiel in Employee Assistance Programmen, wo ich Coaching wahrnehmen kann oder mich informieren kann oder das Fitnessstudio, das ist super, aber das legt natürlich nicht den Finger in die Wunde und fragt nicht, okay, wo tragen wir denn vielleicht zur Ungesundheit bei?
Also wo sind unsere Erwartungen größer als das, was machbar ist? Wo überladen wir unsere Führungskräfte mit Verantwortlichkeiten, die sie zeitlich gar nicht umsetzen können? Wo entscheiden wir uns für Marge statt Mensch im Alltag, in den kleinen Situationen?
Und ich glaube, da müssen wir erstmal hingucken, um zu verstehen, was ist denn unser Konzept von gesunder Arbeit? Aber natürlich gibt es auch so ein paar Stellschrauben, die ganz essentiell sind, wie zum Beispiel die Frage nach Wertschätzung. Fühle ich mich gesehen?
Habe ich das Gefühl, einen Beitrag zu leisten, der anerkannt wird? Feedback, gerade für High Performer total wichtig, also auch kritisches Feedback zu bekommen, dass ich jemandem so wichtig bin, dass er sich sozusagen sogar mit mir streitet und sagt, ich sehe mehr in dir. Und dieses Gefühl von, mir wird vertraut, also ich habe einen autonomen Freiraum und Flexibilität für meinen Alltag, um diese Vereinbarkeit zu schaffen, ob es jetzt Familie und Beruf ist oder was auch immer uns im Leben bewegt.
Aber das sind so Stellschrauben, die Menschen immer mit Gesundheit verbinden, weil das bedeutet, ich bin nicht nur am Mitarbeiten da, sondern ich bin vielleicht auch Mensch mit einem Leben, was ich irgendwie einsortieren muss.
[Nils Behrens] (17:38 - 17:45)
Sehr gut. Wie können Führungskräfte ihre eigene Vorsorge leben, ohne dabei ihre eigenen Grenzen zu verlieren?
[Nora Dietrich] (17:46 - 20:04)
Du meinst Fürsorge fürs Team? Das ist echt ein schmaler Grad und ich arbeite vor allem mit Führungskräften, die immer wieder vor mir sitzen und sagen, ja, das klingt alles ganz toll, wann genau soll ich das machen und wer gibt mir das Recht, das zu tun? Weil Führungskräfte haben ein großes Paradox, was sie halten werden müssen.
Auf der einen Seite haben sie so eine Wirtschaftspflicht, also sie müssen dafür sorgen, dass wir die Ziele erreichen, das Geld umsetzen, wie auch immer, erfolgreich sind, die Leute halten, also es gibt ganz klare KPIs, an denen sie bemessen werden und gleichzeitig rein arbeitsrechtlich haben sie eine Fürsorgepflicht. Das heißt zu sagen, Mitarbeitende dürfen nicht erkranken, wir müssen die Gesundheit stärken und so weiter, darauf einzahlen und diese beiden Dinge auf Papier widersprechen sich erstmal, weil wenn wir Hochleistung wollen, dann müssen wir pushen, drücken, egal, Hauptsache durch und eher kurzfristig denken, zumindest vom Gefühl, um dieses ewige Wachstum zu erreichen und dann passt Gesundheit nicht mehr in die Gleichung und das macht es so schwer für sie, glaube ich, fürsorglich zu sein zu dem Grad, den sie gerne leben wollen würden.
Aber wenn ich mich jetzt so in die Position von der Führungskraft hineinversetze, die vielleicht nah am Team sein will und trotzdem sich nicht überinvolvieren will und vielleicht nicht tief in die Probleme einsteigen will, dann ist es, glaube ich, ganz wichtig, erstmal für sich zu definieren, was ist denn meine Rolle als Führungskraft überhaupt? Ist es mein Job mit in das Scheidungschaos einzutreten und Tipps zu geben oder ist es eigentlich mein Job zu verstehen, wie wirkt sich denn die Scheidung auf deinen tagtäglichen Job aus gerade, also die Sorgen, die schlaflosen Nächte, die Ängste? Lass uns damit arbeiten.
Also was können wir im Arbeitsumfeld verändern, dass du ein Gefühl von Entlastung oder Support oder Ablenkung, je nachdem, was du brauchst, bekommst, ohne dass ich mich involviere in das private Problem. Das ist immer so. Unser Job ist der Impact, nicht die Ursache meistens.
Außer die Ursache liegt im Job. Und zu verstehen, auch ich als Führungskraft fange irgendwo an und höre irgendwo auf und das ist okay. Also es gibt vielleicht emotionale Themen, die überfordern mich.
Wenn du jetzt anfangen würdest zu weinen oder zu schreien und ich sitze hier und denke, boah, ich weiß überhaupt nicht, was ich damit machen soll, finde ich es aufregender zu sagen, hey, ich merke gerade, dass ich an meine Grenze komme, dass ich vielleicht gar nicht die perfekte Ansprechperson bin, aber ich kann dir total gerne helfen, jemanden zu finden, der passend ist, weil mir wichtig ist, dass du Support bekommst.
[Nils Behrens] (20:05 - 20:34)
Ich verstehe total, was du meinst. Ich habe, glaube ich, noch keinen Arbeitsplatz gehabt, wo ich irgendwann mal eine weinende Mitarbeiterin vor mir hatte, wo ich nie die Ursache war. Dann wäre es dein Job, den zu lösen.
Nichtsdestotrotz, ich muss auch sagen, in der heutigen Zeit eine normal private Situation würdest du, wenn jemand anfängt zu weinen, denen immer erst mal einen Arm nehmen. Hier hätte ich immer das Gefühl, dass da direkt das Arbeitsgericht vor der Tür stehen würde. Es ist schon echt schwieriger heutzutage.
[Nora Dietrich] (20:34 - 22:01)
Total. Viele Führungskräfte sind selber in ihrer emotionalen Kapazität gar nicht so mit sich in der Verbindung. Das heißt, es überfordert total, wenn du das dann plötzlich machst.
Und das erst mal zu verstehen, ich muss jetzt nicht künstlich da sein, sondern zu sagen, ich will für dich da sein, aber vielleicht bin es nicht ich, ich. Oder ich bin nur Stimme nach oben, die sagt, es ist zu viel, wir brauchen Veränderung, wir brauchen mehr Leute, wie auch immer. Ich glaube, das ist erst mal wichtig zu verstehen, wo sind meine Grenzen und kann ich die lernen, vielleicht auch zu erweitern über die Zeit, weil das kann man trainieren, auch diese emotionale Kompetenz kann man trainieren.
Aber das ist mir wichtig. Und zu verstehen, mentale Gesundheit ist immer ein Staffelstab. Also es ist wirklich wie beim Staffelstab laufen.
Ich laufe, soweit ich kann, bis ich den Stab weitergeben muss, an jemanden, der sozusagen Energie hat, der sich besser auskennt, ob es dann das Team ist, ob es professionelle Hilfe ist, ob es die Partnerin ist, egal. Aber zu sagen, mentale Gesundheit ist kein Do-it-yourself-Projekt, nicht nur für den, der gerade leidet. Der braucht Unterstützung und braucht Rückendeckung, aber auch ich als Helfender brauche vielleicht auch Unterstützung, weil es zu viel ist, die komplette Verantwortung jetzt für das Problem zu übernehmen.
Und das ist total wichtig. Und da einfach ganz transparent mit dem Team zu bleiben, weil ich glaube, das können sie eher wertschätzen, als wenn wir dann aus der Überforderung heraus zu kalt reagieren, das ignorieren, das nicht ansprechen. Das ist auf jeden Fall verletzender, als zu sagen, ich kann es nicht, aber es ist wichtig.
[Nils Behrens] (22:01 - 22:09)
Verstehe ich sehr gut. Was sind denn die häufigsten Mythen über mentale Gesundheit, die du im Unternehmen immer wieder hörst? Idealerweise, wie räumst du damit auf?
[Nora Dietrich] (22:12 - 23:29)
Eines der wichtigsten ist, glaube ich, diese Idee, dass wenn wir psychisch erkrankt sind oder muss ja nicht mal erkrankt sein, aber hochbelastet, dass wir nicht mehr leistungsfähig sind. Denn natürlich stimmt das für einen Teil. Es gibt Menschen, die arbeitsunfähig sind, das ist auch total wichtig, dass sie sich die Zeit nehmen, aber ihr glaubt gar nicht, wie viele Menschen in Organisationen heute gerade in diesem Moment da sitzen und einen absolut genialen Job machen und zu Hause trotzdem Schlafstörungen haben, Sorgen, Trauern, mit Depressionen, Angstzuständen zu kämpfen haben und wir wissen einfach nichts davon.
Das heißt, anzunehmen, dass jemand erkrankt ist und nicht leistungsfähig, ist einfach per se falsch. Also der Großteil arbeitet extrem produktiv, erfolgreich, glücklich und sieht Arbeit vielleicht sogar als Zufluchtsort. Also wo diese ganzen privaten Probleme mal ganz kurz leiser sind.
So ein Ort, wo ich nicht krank bin. Ein Ort, wo ich Dinge erreiche, wo ich irgendwie für mich einstehen kann, weil mir das zu Hause vielleicht nicht gelingt. Ich habe ja vorhin von diesem Spektrum gesprochen.
Das wirkt ja so, als wäre das so eine Linie, auf der wir hoch und runter wandern. Das tun wir auch. Aber es ist natürlich dann leicht anzunehmen, je weiter ich Richtung Rot laufe, umso eher sinkt auch meine Leistungsfähigkeit.
Aber es ist tatsächlich so, dass es eher wie so ein Vier-Felder-Schema ist. Wir kennen Leute, die sind total gesund, und trotzdem nicht leistungsstark.
[Nils Behrens] (23:30 - 23:30)
Weißt du?
[Nora Dietrich] (23:32 - 23:48)
Und genauso kennen wir Menschen, die psychisch erkrankt sind und total leistungsstark. Das heißt, es ist nicht zwangsläufig im Zusammenhang. Und das ist erstmal wichtig zu verstehen, weil das eins der größten Stigma ist, warum ich nicht darüber spreche.
Weil ich Angst habe, dass es meine Karriere torpediert, dass die Leute denken, ich bin nicht belastbar. Also sage ich lieber nichts.
[Nils Behrens] (23:49 - 24:05)
Du berätst ja viele Unternehmen. Und da sprichst du ja ganz häufig immer mit denen, die haben ja einmal unterschiedliche Namen, HR-Department, Personalabteilung, People and Culture, whatever, sage ich mal so. Aber zumindest, wir wissen die Leute, die eben halt für das grundsätzliche Personal verantwortlich sind.
Personal ist auch ein schlechtes Wort, aber du weißt, was ich meine.
[Nora Dietrich] (24:05 - 24:05)
Ja.
[Nils Behrens] (24:07 - 24:15)
Hoffentlich die Hörerinnen auch. Was ist der allererste Schritt in eine Richtung Mental Health Strategy, den eigentlich jedes Unternehmen geben kann?
[Nora Dietrich] (24:17 - 24:22)
Ich habe das vorhin schon mal angerissen, aber ich glaube, der allererste Schritt ist Daten. Wie geht es uns wirklich?
[Nils Behrens] (24:22 - 24:22)
Daten.
[Nora Dietrich] (24:23 - 27:06)
Daten, ja. Also wirklich im Prinzip ins Gespräch zu gehen, ob jetzt quantitativ oder qualitativ, aber wirklich zu verstehen, wie geht es unserem Team? Und wenn wir sozusagen fragen, wie gesund seid ihr als Team?
Wie gesund fühlt ihr euch auf dieser Skala? Wie gesund seht ihr uns als Organisation? Und die sagen 4, 5 von 10 zu fragen, was bräuchtet ihr, um einen Punkt nach oben zu klettern?
Denn die Mitarbeiterschaft weiß nicht nur häufig, was das Problem ist, sondern hat sogar schon Ideen für Lösungen, die manchmal gar kein Geld kosten. Also es ist manchmal überraschend, was da kommt. Ja, der Kaffee schmeckt nicht.
Ja, okay, dann kaufen wir einen anderen. Das ist ein ernstes Beispiel aus der Zusammenarbeit. Aber zu sagen, manchmal sind es kleine Dinge, die wir drehen können, die nicht die Riesenbudgets brauchen.
Aber ich muss erst mal verstehen, was ist das? Und ich brauche eine Art Benchmark. Also wie belastet sind wir?
Wie gestresst sind wir? Wie erschöpft sind wir? Wie vielleicht auch deidentifiziert mit dem Job sind wir?
Um dann zu wissen, was sind die richtigen Hebel? Ich glaube, das ist total wichtig. Und dann, für mich gibt es dann halt so zwei Ebenen.
Also das eine ist Topmanagement. Versuchen, die ins Boot zu holen. Weil Senior Buy-in ist so das eine, dass sie sagen, ja, ja, macht mal.
Wir geben euch ein Budget. Ist schon großartig. Machen viele Organisationen nicht.
Aber noch besser wäre ja eigentlich Senior Ownership. Also zu sagen, mir gehört das Thema. Und ich stehe dafür mit meinem Namen und auch mit meinen Zielen.
Weil dann ist es nicht nur so eine Feelgood-Strategie, sondern tatsächlich eine Unternehmensstrategie. Das ist total wichtig. Und machen die wenigsten Organisationen.
Nur eine von zehn Vorständen hat eine klare Verantwortung für das Thema definiert. Und nur 30 Prozent aller Vorstände gucken sich die Daten an. Also was passiert eigentlich?
Was tun wir aktiv? Und wenn das fehlt, dann können wir sozusagen hier viel machen. Aber wenn die Unternehmensstrategie unrealistisch bleibt und Gesundheit nicht mitdenkt, dann ist es eben immer nur so ein Pflasterkleben.
Und was wir immer machen können, sind Grassroots-Bewegungen. Als Parallele sozusagen. Zu sagen, was können die Teams lernen an Fähigkeiten, um Gesundheit selber in ihren Alltag zu integrieren.
Was im Verhalten, in der Beziehung steht. In Formaten, die sie machen können, wie euer Montags-Check-in sozusagen. Das ist ein Format, wo es um Gesundheit geht.
Kostet vielleicht 15 Minuten, 30 Minuten. Wir begegnen uns, starten ganz anders in die Woche. Das kostet erstmal alles kein Geld.
Im Zweifel Zeit und Bewusstsein. Aber darin liegt unglaublich viel Kraft. Wenn es wirklich darum geht, ihr wollt Geld ausgeben und extern was einkaufen, dann würde ich wahrscheinlich immer erstmal mit einer Form von ERP gehen.
Also so einem anonymen Weg für belastete Mitarbeitende, wo sie anrufen können und Hilfe bekommen. Um diese Brücke zu schlagen zwischen ich bin belastet und ich kriege therapeutische Hilfe. Weil dazwischen liegen manchmal Jahre.
[Nils Behrens] (27:07 - 28:07)
Ja, verstehe ich sehr gut. Wir machen das tatsächlich, was du zum Thema Daten sagst, wir machen immer quartalsweise eine Pulse-Study, wo wir dann eben wirklich gucken, was bewegt die Leute im Augenblick jetzt gerade. Und da gab es eben halt jetzt gerade auch, witzigerweise auch heute gerade vorgestellt, gab es eben halt ein, die Werte sind insgesamt sehr gut, aber es gab eben halt Werte, die jetzt schlechter geworden sind und wo dann aber auch jetzt gerade dann direkt die Maßnahmen vorgestellt wurden.
Wo es dann eben halt auch darum ging, dass die Vision und Mission nicht für alle präsent genug ist in dem Sinne, dass wir das eben halt jetzt Teil des Montag-Meetings eben halt machen. Dann aber auch zum Beispiel die versuchen eben halt, dass alle Chiefs einfach mal auch so in einem eigenen Format nochmal ein bisschen von ihrer persönlicheren Seite auch kennenlernbarer sind, übergreifend so. Und nicht, dass dann eben halt jeder nur seinen direkten Chief sozusagen kennt, sondern dass man eben halt dann auch darüber hinaus nochmal die anderen auch ein bisschen mehr von der persönlichen Seite wahrnimmt.
Also von daher, das sind so Dinge.
[Nora Dietrich] (28:08 - 28:27)
Und da merkst du, ist Beziehung viel wichtiger, ne? Es ist dann gar nicht unbedingt der nächste coole Workshop, sondern es ist eher, wer bist du eigentlich? Wie können wir anders miteinander sprechen?
Wie machst du es mir einfacher dann auch zu sagen, hey, jetzt bei mir ist gerade einfach viel los. Wenn ich ein bisschen chaotisch bin die nächsten Tage, weiß, dass ich das ja auf dem Schirm hab. Egal.
Also da fängt Gesundheit an.
[Nils Behrens] (28:28 - 28:29)
Und wie du schon sagst, eigentlich kostet es nicht.
[Nora Dietrich] (28:29 - 28:46)
Ja, genau. Und ich glaube, zu verstehen, Daten sind eben, weil ganz viele erheben ja Daten, aber reagieren nicht drauf. Und ich glaube, Daten sind vor allen Dingen eine Handlungseinladung und keine Briefmarkensammlung, die wir dann in die Schublade packen, sondern darauf zu reagieren, ist das wichtigste Zeichen auch, an das Team zu sagen, wir nehmen euch ernst.
[Nils Behrens] (28:48 - 28:59)
Du sagst in deinem Buch auch, mentale Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Krankheit. Hast du ja vorhin auch schon einmal kurz in diesem Beispiel mit den Farben genannt. Wie sieht es denn für dich ein wirklich gesunder Arbeitsalltag aus?
[Nora Dietrich] (29:01 - 30:59)
Huh, ja, also das ist natürlich eine immer unbequeme Antwort, weil das ist natürlich hochgradig individuell, aber ich glaube, was für mich wichtig ist, ist, dass ich genug Zeit habe, die Dinge zu tun, die ich wirklich tun muss. Also darüber spreche ich auch im Buch von der Diagnose Bürosklerose. Also, dass wir so verknöchert sind von Bürokratie, von Phantomarbeit, von Aufgaben, die uns null weiterbringen, aber den ganzen Tag irgendwie unsere Zeit und Kraft kosten.
Also diese Vielzahl an Meetings, wo ich To-Dos einsammle, aber meine eigentliche Arbeit dann erst am späten Nachmittag oder Abend mache und zu sagen, nee, die eigentliche Arbeit kommt zuerst und dann kann ich auffüllen mit dem kleinen Kram, der halt noch so passieren muss, aber das macht es schon gesünder, weil ich nicht mit Stress nach Hause gehe und denke, scheiß, habe ich wieder nicht geschafft, woran ich eigentlich arbeiten muss, was wirklich wirksam ist. Ich glaube, das ist wichtig und vor allen Dingen zu verstehen, dass Pausen ein Leistungsförderer sind und kein Zeitfresser.
Also die meisten von uns machen auch, Eva Elisa Schneider sagt immer, keine ehrlichen Pausen, also wir machen Pausen, aber dann hören wir den Podcast, machen hier noch, rühren hier rum, antworten doch nochmal kurz auf die E-Mail, sind nochmal schnell auf LinkedIn. Also auch das ist keine regenerative Pause, das ist eine abgelenkte Pause, ist auch okay, aber ich glaube, das ist ganz wichtig und natürlich geht es ganz viel darum, also Kultur ist für mich immer so dieses, wie fühlt es sich an? Weißt du, das kann man gar nicht so kognitiv immer in Worte fassen, aber so, ich komme in einen Raum und es ist halt da oder es ist nicht da und gesund arbeiten heißt, hoffentlich in Räumen zu sitzen, wo es oft da ist, also wo ich das Gefühl habe, hier findet Humor statt, hier kann ich andere Seiten von mir zeigen, hier kann ich eine wilde Idee reinwerfen, die wird gehört, hier findet irgendwie eine Wertschätzung und eine Neugierde aneinander statt. Wie gesagt, das sind eben diese subtileren Dinge, die gesund sind, neben den klassischen ich mache eben Pause, trinke, bewege mich im Alltag, auch das gehört dazu.
[Nils Behrens] (30:59 - 31:54)
Ja, total wichtig, was du sagst, also ich finde gerade, was du sagst, das Thema, wie sehen die Pausen denn eigentlich aus? Das ist schon ein ganz wichtiger Punkt und ich finde für mich, das ist auch etwas, was ich mal aus einem Podcast-Gespräch vor einigen Jahren mal mitgenommen habe, da ging es um ein anderes Thema, aber dieser Spaziergang nach dem Essen, habe ich so für mich mittlerweile gemerkt, dass selbst wenn ich nur für manchmal unter 10 Minuten rausgehe, aber einfach mal ganz kurz hier, gerade wenn ich hier im Office auch noch esse, einmal kurz rausgehen, einmal frische Luft schnappen, einmal mal kurz nichts mit dem Office zu tun zu haben, du sagst auch, das Thema Podcast, also ich mache das manchmal dann schon, dass ich zumindest Musik höre, aber weil es mir dann in dem Augenblick irgendwie gut tut, um vielleicht auf meine Stimmung einzustehen, aber alleine diese 10 Minuten auch mal nicht kommunizieren, in jeglicher Form, finde ich total angenehm.
[Nora Dietrich] (31:54 - 33:00)
Und es ist ein absoluter Nervensystem-Reset, also die Bewegung dazu, die frische Luft, das periphere Sehen, also wir starren ja den ganzen Tag so vokal auf etwas Kleines und ein Screen vor uns, was für das Gehirn einfach Stress bedeutet, und es gibt unglaublich viel Forschung dazu, warum das so wertvoll ist, aber ich glaube allein das zu tun, ist ganz, ganz wichtig und was es zusätzlich macht, ist, dass es uns hilft, den Kontext zu verändern, also wir haben unglaublich viele Kontext-Switcher im Alltag, wo du von Meeting zu Meeting hüpfst, mit unterschiedlichen Rollen, unterschiedlichen Inhalten und dann von der Arbeit rennen wir nach Hause, holen das Kind von der Kita ab, jetzt in meinem Fall, und ich habe irgendwann gemerkt, ich bin ganz oft noch total im Arbeitsmodus, also wenn ich mit meinem Kind da ankomme, habe ich den Hut Arbeit noch nicht abgesetzt, weil ich keine Übergangszeit hatte zwischen Nora Psychologin und Nora Mama und dann gestretzt da stehe und sage, Leo, komm jetzt, du wolltest schon schaukeln und noch so im Effizienzmodus bin und so denke, warte mal, ist doch egal, wenn er da mit Kastanien glücklich ist, ist es mindestens genauso wertvoll und diese Transitions, die brauchen wir im Alltag, im Joballtag, zwischen den Meetings, zwischen den Aufgaben, aber auch zwischen den Rollen und dafür haben wir nie Zeit.
[Nils Behrens] (33:01 - 33:27)
Total gut, was du sagst, weil das ist wirklich, ich habe es auch schon mehrfach in diesem Podcast auch erzählt, dass alleine, was für mich schon einen Unterschied gemacht hat, wenn ich, ich fahre mit dem Fahrrad dann nach Hause, nach der Arbeit und habe da früher auch immer noch so Podcasts dabei gehört oder getelefoniert oder sonst was und da habe ich immer gar nicht mitbekommen, dass ich sozusagen, genau was du sagst, die Transition zwischen Arbeit und Zuhause dann da irgendwie so da war und seitdem ich das nicht mehr mache, merke ich einfach, wie viel besser ist, wie anders ich zu Hause ankomme.
[Nora Dietrich] (33:27 - 34:10)
Ja, weil eben nicht alles plötzlich schnell gehen muss und kein To-Do mehr ist, sondern halt klar ist, okay, jetzt anderer Modus, andere Stimmung und sich das zu erlauben, sowohl im Job als auch dann in diesem Übergang, ist unglaublich wichtig und tatsächlich eine uralte Tradition aus dem Buddhismus. In alten Tempeln im Buddhismus gibt es immer so eine ganz hohe Holzschwelle, wenn du von deiner normalen Welt in die heilige Welt trittst oder Sacred Space, um dich zu fragen, wie komme ich gerade und was muss ich hinter mir lassen und ich habe manche Coaches, die jetzt mittlerweile so kleine Rituale haben, wenn sie die Bürotür auch im Homeoffice verlassen, mit einem kleinen Zettel, so wie gehe ich gerade, um nochmal kurz um diese Schwelle zu übertreten, bewusst und zu sagen, okay, jetzt bin ich Papa und nicht mehr Führungskraft, macht einen riesigen Unterschied.
[Nils Behrens] (34:11 - 34:19)
Finde ich total schön. Welche Rolle spielt Selbstfürsorge für dich und wie unterscheidet sie sich von dem, ich sage mal so, was Instagram darunter versteht?
[Nora Dietrich] (34:21 - 36:17)
Ah, ja, wir sind ja in so einer Welt, wo Selbstfürsorge vor allen Dingen schön ist, alles hat Beestöne und Wellbeing und so. Für mich ist Selbstfürsorge oft deutlich hässlicher als das, was wir auf LinkedIn und Instagram sehen, weil echte Selbstfürsorge eben auch bedeutet, auch bei sich selbst den Finger in die Wunde zu legen und zu sagen, wo lebe ich ein Leben, was eigentlich gar nicht zu meinen Werten passt? Wo lebe ich in Beziehungen, die nicht gut für mich sind?
Wo trete ich über meine eigenen Grenzen, ohne mich zu fragen, warum eigentlich, also was treibt mich da an? Wie bin ich mit mir? Und ich meine, ich bin Therapeutin, ich habe viele Menschen gesehen, die in echter Selbstfürsorge sitzen und das ist nicht immer angenehm, weil es bedeutet häufig viele Tränen, es bedeutet ehrlich in den Spiegel zu gucken und zu sagen, manche Muster von mir sind auch nicht so schön und nicht so freundlich.
Es bedeutet manchmal, sich von Beziehungen zu lösen, sich aus Jobs zu lösen. All das sind richtig harte Entscheidungen, die aber häufig langfristig extrem nachhaltig sind, weil ich plötzlich ein anderes Leben lebe, was mir vielleicht wirklich dann erlaubt, auch Pausen zu machen, weil ich finde Hacks, Tipps, das ist alles super wertvoll. Ich habe aber das Gefühl, dass die meisten, denen fehlt es nicht an Wissen darüber, was potenziell gesund wäre, sondern es fehlt ihnen an der Erlaubnis, das zu leben oder an der Energie, wirklich dann gesund zu essen und für sich zu sorgen.
Und diese Brücke, also zu fragen, warum darf ich denn nicht gesünder sein zu mir, ist extrem unbequem, aber natürlich ein absoluter Game Changer. Das heißt, für mich ist das auch Selbstfürsorge. Und der Rest sind dann Routinen, die sind wichtig und sind sozusagen die Sichtbarkeit dann von diesen inneren Themen, die ich habe.
Und deswegen ist es für mich so, wenn jemand sagt, ich gehe in Therapie, ist das ein extrem mutiger Schritt, wo wir alle applaudieren sollten und nicht sagen sollten, Nase rümpfen, was ist denn bei dem los, weil es extrem viel Mut erfordert.
[Nils Behrens] (36:17 - 36:46)
Ja, wobei ich finde wirklich das so toll, dass so viele Menschen mittlerweile da so offen darüber reden auch. Und ehrlich gesagt, ich würde auch sofort jetzt irgendwie eine Therapie starten. Ich habe ehrlich gesagt noch nicht so die Fragestellung dafür, welches Problem ich damit gelöst haben möchte.
Verstehst du, was ich meine? Aber ansonsten bin ich, wäre ich da total offen für. Ich würde es eigentlich, mich reizt es auch total, aber ich fühle mich momentan vielleicht zu glücklich, zu ausgeglichen, ich weiß es nicht so genau.
[Nora Dietrich] (36:46 - 36:47)
Das ist total okay.
[Nils Behrens] (36:48 - 36:52)
Dass ich mir ein bisschen dummer vorkommen würde, es zu tun. Verstehst du, was ich meine?
[Nora Dietrich] (36:52 - 37:07)
Na klar. Ja, und das ist ja auch total schön, das zu realisieren. Weißt du, also ob ich glaube, einfach nur zu sagen, Selbstfürsorge hat halt einfach zwei Aspekte.
Das tiefe Innen- und das sozusagen Außenverhalten. Und das ist total schön, wenn wir beides erlauben und mitdenken.
[Nils Behrens] (37:08 - 37:15)
Was können Kolleginnen denn konkret tun, wenn sie merken, da ist jemand im Team, der still leidet?
[Nora Dietrich] (37:17 - 37:53)
Für mich ist das allerwichtigste, sich nicht zu scheuen, das anzusprechen. Und das können manchmal, es muss gar nicht so das Große sein, zu sagen, ja, du wirkst auf mich in den letzten Monaten, irgendwie sehr müde, sehr abgekämpft, anders als sonst, so kenne ich dich nicht. Ruhiger.
Wollen wir sprechen? Das ist dann schon das große Gespräch. Aber manchmal fängt es noch viel kleiner an.
Bei den kleinen Gesprächen. So dieses, du kommst aus dem Meeting, fällst in deinen Stuhl, seufzt und ich merke irgendwie, deine Anspannung ist total hoch, tackerst so in die Kasten und bist irgendwie gar nicht so richtig präsent. Dass ich dann schon mal sage, hey, jetzt ist alles gut.
Weißt du, so brauchst du kurz was, wollen wir kurz eine Runde gehen. Also, dass wir bei den kleinen Momenten anfangen.
[Nils Behrens] (37:53 - 37:54)
Ja.
[Nora Dietrich] (37:54 - 39:27)
Also die Gottmans, das Forscherpaar, was sich viel so mit Beziehungen oder Ehen beschäftigt, nennen das auch Bits for Connection. Also so kleine Beziehungsangebote, die wir häufig ignorieren, weil wir so busy sind. Weil wir selber überladen sind.
Wie zum Beispiel das Seufzen, oder jemand sagt, hey, hast du den Film gesehen? Auch das ist schon eine Einladung, in Beziehung zu gehen. Und wenn wir da schon reagieren, bauen wir sozusagen die Beziehung und das Vertrauen auf, was wir dann brauchen, um ins große Gespräch zu gehen und zu sagen, bei uns ist es okay, zu sagen, du bist mir wichtig und mir fällt was auf und ich möchte, dass du weißt, dass es mir auffällt und dass ich hier bin, wenn du mich brauchst.
So, und nicht davor zurückzuscheuen. Weil wir häufig noch erwarten, dass die Person, die belastet ist, sich Hilfe sucht. Wir wissen aber, dass der Großteil, also maximal ein Viertel, aktiv im Job darüber spricht.
Oder sprechen würde. Das heißt, wir können nicht warten, bis jemand sich meldet, sondern wenn wir das wahrnehmen, können wir darauf reagieren. Und dann öffnet sich ja häufig ein Lösungsraum, zu sagen, können wir dir was abnehmen?
Können wir Kapazität umshiften? Sollen wir einfach gar nicht fragen? Hatte ich auch schon mal Fälle, wo eine Führungskraft eine sehr schwer erkrankte Mutter hatte und gesagt hat, hey, ihr als Team, ich will nur, dass ihr es wisst, aber fragt mich nicht jeden Tag, wie es ihr geht.
Das schaffe ich nicht. Also auch da zusammen auszuloten, was ist denn dieser Space von Hilfe? Wie sieht Hilfe aus?
Und das nicht anzunehmen, sondern zu sagen, wie sieht Unterstützung von uns für dich aus? Heißt es zurücktreten? Heißt es reinspringen?
Was auch immer. Aber ich glaube, das ist das Allerallerwichtigste.
[Nils Behrens] (39:28 - 39:51)
Aber ich finde ja, in dem Zusammenhang hattest du eben schon mal gesagt, wie groß, als ich dich nach Mythen gefragt hatte, war einer der ersten Punkte, wo du gesagt hast, dass Leute, die eine psychische Belastung haben oder vielleicht auch sogar mental nicht ganz gesund sind, dass die häufig dann auch gleich so ein Stigma bekommen. Was würdest du denn jetzt jemandem raten, der Angst hat, in seinem Job über seine psychische Belastung zu sprechen?
[Nora Dietrich] (39:52 - 40:10)
Erstmal würde ich sagen, total nachvollziehbar und wichtig, das wirklich zu hinterfragen, ob ich das teilen sollte, weil wir in einer noch diskriminierenden und stigmatisierten Welt leben, auch wenn das in unserer Bubble, auch in dieser Gesundheitsbubble wirkt es so, das ist ein Thema überall und ich gehe zur Therapie, das ist cool. Der Großteil der Welt ist da überhaupt gar nicht.
[Nils Behrens] (40:10 - 40:11)
Überhaupt nicht.
[Nora Dietrich] (40:11 - 41:23)
Also vor allen Dingen über die Generationen gesehen, über auch unterschiedlich kulturelle Hintergründe gesehen, gerade in diversen Teams haben wir sehr unterschiedliche Haltungen. Das heißt, ich würde nicht jedem empfehlen, sag das, weil dann kriegst du Hilfe, sondern es gibt eine ganz tolle Webseite, die heißt sagichs.de, glaube ich, wo es tolle Assessments gibt, wo gefragt wird, hey, was hast du denn beobachtet? Wie reagieren Führungskräfte, wenn Menschen sagen, schaffe ich nicht oder ich setze eine Grenze?
Gab es Fälle bei euch? Wie sind die da vorgegangen? Also wirklich zu überlegen, sollte ich überhaupt darüber sprechen und wenn ja, mit wem?
Das muss ja auch nicht allen erzählen, es reicht ja manchmal auch einer Person das zu teilen. Und warum? Also was erhoffe ich mir davon?
Und ist sozusagen der Job dann der richtige Ort? Denn allein arbeitsrechtlich müssen wir niemandem irgendwas erzählen, vor allen Dingen keine Diagnose und trotzdem würde ich natürlich empfehlen, zu gucken, gibt es Möglichkeiten, entweder einen Teamkollegen und vor allen Dingen die Führungskraft zu involvieren, weil da natürlich ein ganz anderer Lösungsraum wartet, also wenn es darum geht, Projekte umzushiften oder was auch immer, den wir alleine nicht zugänglich machen können. Aber da finde ich, die Website ist super und sich wirklich zu fragen, mit wem, warum, wie viel, sag ich es, ja.
[Nils Behrens] (41:23 - 42:25)
Okay, kann man ja mal googlen. Ich finde es aber wirklich interessant, wir haben uns ja kennengelernt mal über Michael Trautmann und der geht damit ja sehr offen um, dass er eben auch mal eben halt in einer psychischen Klinik dann eben halt war. Jetzt muss man dazu sagen, der hat, war in der Führung, war auch C-Mobile Audi, war dann Agenturgründer und alles und ist jetzt ja in seiner Selbstständigkeit, wo es ja um New Work geht, eben halt auch da muss man sagen, da passt es fast ja sogar, dass man auch selbst mal betroffen war und so.
Das ist natürlich, also ich erinnerte mich, wie er anfing, da so offen drüber zu kommunizieren, dass ich dann mich gefragt hatte, würde ich das genauso tun? Und ich finde erst dadurch, dass er jetzt, sage ich mal so, self-employed ist, natürlich in einem anderen Umfeld-Setting, sage ich mal so, als jemand, der angestellt ist von allen, die jetzt hier zuhören, werden wahrscheinlich dann 70 Prozent oder keine Ahnung wie viel in einem Angestellten-Dasein sein. Deswegen ist es natürlich schon noch mal eine deutlich andere Situation.
[Nora Dietrich] (42:26 - 44:17)
Genau, weil die Abhängigkeit eine ganz andere ist und ich glaube, deswegen ist es eben so wichtig, sich das ehrlich zu fragen und vielleicht sonst auch mal mit dem Team oder einer vertrauten Person rückzuspielen, die den Kontext kennt und sagt, was glaubst du, was passiert, wenn? Ich glaube, trotzdem sich das zu erlauben, das mal durchzuspielen, ist total wichtig, weil häufig ist die Erfahrung tatsächlich positiver, als wir denken, aber es gibt eben ein Risiko und ich glaube, das Risiko müssen wir einkalkulieren und was du beschreibst ist, glaube ich, kein Michael-Persil-Phänomen, Grüße gehen raus, das ist ganz großer Teil meines Buches, seine Geschichte, aber auch für mein Buch zum Beispiel, war es extrem schwer, Menschen zu finden, die gerade noch belastet sind.
Es ist relativ einfach, irgendwann die Entrepreneure zu finden, die irgendwann mal einen Burnout hatten und jetzt die Learnings daraus gezogen haben oder die Politiker oder Stars und Athleten. Wir hören die Geschichten halt immer erst sehr, sehr spät, wenn es verarbeitet ist und it is dangerous for the person in power to talk, also es ist noch so, dass das gefährlich sein kann und ich habe eine Geschichte von Vino Philips, der ist Executive Board Member bei Siemens Energy, der so ein bisschen seine Geschichte erzählt und er arbeitet da noch, aber es ist sehr selten und es ist sehr schwer, weil natürlich die Angst ist, wie nimmt das die Öffentlichkeit wahr? Buch ist natürlich nochmal eine andere Ebene, aber das war nochmal ganz wichtig, auch für mich zu verstehen, wie viel Ängste da sind und gleichzeitig hatte ich ganz tolle Momente, zum Beispiel ist Mona Gazis Geschichte da drin und ich habe sie vor langer, langer Zeit interviewt für das Buch, da hatte sie das noch nicht öffentlich gemacht, dass sie einen Burnout hatte und wollte erst anonym bleiben im Buch und hat sich dann im Verlauf, also umentschieden und dann dachte ich, wie schön, also manchmal ist es ja auch, dass ich das erstmal ownen muss, dass es meins ist, dass es okay ist, dass ich krank war oder krank bin und dann gehört es zu mir und ich schäme mich nicht mehr. Aber damit anonym zu bleiben ist sehr nachvollziehbar.
[Nils Behrens] (44:18 - 44:32)
Ja, total, total nachvollziehbar und deswegen für mich wäre ja mal interessant, du arbeitest ja auch viel mit jungen GründerInnen zusammen, was würdest du sagen, was brauchen die, um von Anfang an wirklich auch eine gesunde Arbeitskultur zu bauen?
[Nora Dietrich] (44:32 - 46:43)
Puh, ich glaube, also ich habe wirklich mit GründerInnen zusammengearbeitet, die 17 sind und dann ein, zwei Startups gegründet haben, also das ist ja einfach, wo man, ich dann manchmal auch als Kinder- und Jugendpsychotherapeutin sitze und denke so, hä, aber geh doch erstmal spielen, hab Sex, keine Ahnung, mach ein lebtes Leben, geh feiern, weiß ich nicht, mach erstmal Leben, bevor die Business- und damit ja auch die Erwachsenen-Welt mit all den Anforderungen, Bewertungen kommt.
Aber es sind natürlich sehr intelligente, sehr motivierte junge Menschen und ich glaube, bei denen ist es ganz wichtig zu verstehen, warum ist mir das so wichtig, also welchen Bezug habe ich zu Leistung, welchen Bezug habe ich zu Business, warum mache ich das, obwohl alle meine MitschülerInnen oder Mitstudierenden was ganz anderes machen, weil da schon mal so das Muster sichtbar wird. Und wir wissen aus der Forschung, dass GründerInnen ein extrem hohes Risiko haben, also doppelt so hohes Risiko für Depressionen, höheres Risiko für Suchterkrankungen, sechsmal so hohe Wahrscheinlichkeit für ADHS, zehnmal so hohes Risiko für Bipolarität, also das ist einfach eine vulnerable Gruppe und das gut zu beobachten. Und deswegen ist es glaube ich wichtig, im Selbstcoaching zu sein, also sich selbst zu verstehen, da Support zu bekommen im 1 zu 1, aber auch zu überlegen, okay, ich als Gründer präge die Kultur meiner Organisation maximal, also alle gucken zu mir und das, was ich tue, signalisiert, so arbeiten wir hier.
Und was mir oft in den Coachings aufgefallen ist, dass GründerInnen sehr enttäuscht waren von ihrem Team, weil die nicht genauso hart arbeiten wie sie und nicht genauso hart hinter der Mission stehen wie sie selbst. Und das zu verstehen, dass es total normal ist, weil es nicht ihrs ist. Aber da sind ganz oft so Konfliktpunkte entstanden, weil der Leistungsanspruch an sich selbst so hoch ist, dass ich den auf andere übertrage und das aber gar nicht erwarten kann.
Und ich glaube, dann zu verstehen, was für eine Kultur will ich prägen, das braucht wirklich eine Reflexion. Und zum Beispiel Massawa ist ein VC Fund, sitzt doch hier in Berlin, die ganz wenige Gesundheitsstartups investieren und die haben das als Teil ihrer Investitionsstrategie. Also wenn ein Startup bei denen sozusagen das Funding bekommt, müssen sie Mental Health Coaching machen, für sich selbst und für die Kultur, weil wir so viele Startups sehen, wo die Burnout-Raten extrem hoch sind.
[Nils Behrens] (46:45 - 46:50)
Gibt es eine Geschichte oder ein Zitat aus deinem Buch, das dich selbst immer wieder berührt oder auch vielleicht sogar motiviert?
[Nora Dietrich] (46:51 - 46:59)
Es gibt zwei, glaube ich. Das eine ist, Neugierde liegt auf der anderen Seite von Bewertung.
[Nils Behrens] (47:00 - 47:02)
Neugierde liegt auf der anderen Seite von Bewertung.
[Nora Dietrich] (47:03 - 47:04)
Von Skotch Sigeova.
[Nils Behrens] (47:05 - 47:06)
Das muss ich erstmal verstehen.
[Nora Dietrich] (47:06 - 48:37)
Ja, ich kann es dir erklären. Also das ist genau so dieses, wir sind halt, wir alle haben Bysies. Ich bin Psychotherapeutin, doch ich laufe am Kottbusser Tor lang und denke mir, oh, Junkies.
Kein schöner Gedanke. Ich sollte es besser wissen. Ich weiß, da steht ein Leben dahinter, was im Zweifel extrem traumatisch ist.
Trotzdem habe ich diesen Impuls, der unreflektiert geerbt ist. Und zu verstehen, wenn ich in die Bewertung gehe, bin ich nicht mehr neugierig der Person gegenüber. Also ich bin in der Abwertung, weißt du?
Ich habe bewertet und wende mich sozusagen ab. Und diese Frage nach, kann ich offen im Job darüber sein, hängt ganz viel damit zusammen, wie neugierig sind andere mir gegenüber und wie neugierig bin ich anderen gegenüber. Weißt du, will ich mehr von dir wissen oder habe ich dich direkt in die Box gepackt und dann bleibst du da drin und dann bewerte ich dein Verhalten oder verändere meine Art und Weise, wie ich mit dir bin.
Das heißt zu sagen, Neugierde ist ein ganz großer Treiber, glaube ich, von einer gesunderen Welt und Menschlichkeit. Weil das heißt, ich will dich verstehen. Ich will verstehen, warum bist du so gereizt?
Warum schreibst du so eine fiese E-Mail? Statt zu sagen, ja, du bist halt ein Arschloch-Chef, zu sagen, was passiert bei dem vielleicht gerade im Hintergrund, was ich nicht weiß. Also, weißt du, nur so zwei, drei Minuten länger neugierig zu bleiben, verändert vielleicht sofort, wie ich reagiere und wie sich unsere Beziehung weiterentwickelt.
Und das Gleiche gilt dann natürlich für die großen Themen wie zum Beispiel psychische Erkrankung extrem. Und das versuche ich eben immer, wenn ich merke, ah, da kommt wieder Beweis, Bewertung, kurz einen Schritt zurückzugehen und zu sagen, ich bleib mal kurz ein bisschen neugierig und guck, gibt es vielleicht noch andere Erklärungs- Hintergründe als nur meine erste Annahme.
[Nils Behrens] (48:38 - 48:39)
Okay, erste Zitat, zweite Zitat?
[Nora Dietrich] (48:41 - 49:12)
Connection is the intervention and the solution, glaube ich. Also, das Verbindung, diese Beziehung, häufig sowohl die Intervention als auch die Lösung des Problems ist, weil viele von uns eben sehr einsam sind mit dem, was passiert und häufig alleine dieser zwischenmenschliche Kontakt extrem heilend ist. Und wir wissen aus der Glücksforschung und der Resilienzforschung, dass der größte Treiber für beides, für Glück und Resilienz, Beziehung ist.
Und ich glaube, deswegen ist Verbindung essentiell als Gesundheitsfaktor.
[Nils Behrens] (49:13 - 49:24)
Ja, aber wie würde man das jetzt auf die Arbeitsweite übertragen? Das heißt also, dass man schon schaut, dass man mit seinen Kollegen, mit seinen Chefs oder mit wem in Verbindung bleibt oder einfach mit allen?
[Nora Dietrich] (49:24 - 50:09)
Ja, aber ich glaube, dass wir bewusster in Beziehung investieren, weil wir kriegen Trainings für alles, Marketing, für Personal Branding, für Strategie, keine Ahnung, aber ganz, ganz wenige Organisationen haben wirklich ein gutes Trainingsegment für Beziehungskompetenz, Beziehungsintelligenz, für zum Beispiel Mental Health Skills, wie gehe ich in solche Gespräche? Und wir haben ja vorhin von diesen Bits of Connection gesprochen, da beginnt es einfach. All das, was wir brauchen, um Ideen zu teilen, aber auch um Probleme zu teilen und ich glaube, das ist total wichtig, mehr Zeit inzwischen menschliche Facetten von Arbeit zu stecken und nicht nur in diese klassisch strategischen To-dos zu investieren.
Genau und ja, wenn jeder von euch mal zwei Minuten länger neugierig ist heute, dann peilen euch bestimmt Dinge auf, die ihr sonst nicht gesehen hättet.
[Nils Behrens] (50:09 - 50:41)
Ich bin ja, also ich glaube ja sowieso, dass Neugier und damit meint das positive Wert, das heißt, dieser Wort, die Offenheit für Neues, für andere Menschen, wirklich auch die, ja und Offenheit ist eigentlich nicht genug, sondern es ist ja schon auch das Wort Gier da drin, also wirklich auch das echte Interesse, solche Themen sich einzuhören, dass das einer der wichtigsten Schlüssel auch für das Thema langes, glückliches Leben einfach so grundsätzlich ist, also weil nur wenn man eben halt genau diese Neugier sich erhält, bleibt das Leben ja auch spannend und interessant.
[Nora Dietrich] (50:41 - 51:02)
Ja, total, genau und es ist eben genau das, was Brücken schafft zwischen uns, weißt du, weil wenn ich merke, guck mal, du hast ein Thema und das macht mich neugierig, dann haben wir sofort ein Thema zusammen, wenn ich das nicht habe, dann laufen wir so aneinander vorbei und ich glaube, wie du sagst, sich selbst zu hinterfragen und neugierig zu bleiben, aber auch zu sagen, hey, das kann man doch besser machen und wie sind essentielle Faktoren.
[Nils Behrens] (51:02 - 51:25)
Ich hab neulich jemanden kennengelernt und da hab ich dann im Nachhinein, hab ich dann wirklich so drüber nachgedacht, also wir haben lange miteinander geredet und dann ist mir aber im Nachhinein aufgefallen, die Person hat mir nicht eine einzige Frage gestellt, also ich hab, vielleicht hab ich dann einfach zu viele Fragen selbst gestellt, sag ich mal so, aber es geht ja immer mal darum, dass man irgendwann auch mal vielleicht dann so den Sprechstand auch mal wieder zurückgibt, sag ich mal so.
[Nora Dietrich] (51:26 - 51:27)
Ja, Reziprozität.
[Nils Behrens] (51:27 - 51:44)
Ja, genau, ja genau und das ist wirklich interessant, ich fand das ja nichtsdestotrotz irgendwie, ich fand das ja sehr, sehr interessant, was ich da alles so erfahren habe und so, aber muss sagen, so im Nachhinein fand ich es trotzdem merkwürdig, dann einfach keine einzige Frage zurückgestellt zu bekommen, also.
[Nora Dietrich] (51:44 - 52:45)
Ja, und dann entsteht so eine, gar nicht bewusst, aber so eine Unsichtbarkeit, weißt du, also so, das ist nicht, dass wir dann denken, oh, ich bin nicht interessant für dich oder, ne, du, weiß ich nicht, du möchtest keine, keine Verbindung mit mir, das denken wir nicht, aber man fühlt irgendwie so ein bisschen, dass wir uns einen Schritt nach hinten bewegen, voneinander, ne, und das, genau das ist der Effekt, oder auch bei, in meinem Fall war es so, ich bin Psychotherapeutin, das heißt auch viele meiner Freundinnen haben mich immer nur angerufen, wenn es schlimm war, mir so ihre Last gegeben und ich war da, aber waren, dann haben mich nicht angerufen, wenn gerade irgendwas cool war, ne, so, und dann dachte ich so, nee, ich will beides, also auch das, ne, so. Welche Rolle spielen wir eigentlich füreinander?
Total wichtig. Ja, und ich glaube, andere kennenlernen zu wollen, in ihrer Art, was sie brauchen, um gesund zu arbeiten, aber auch, wer sie sind, ist sozusagen das Fundament, auf das wir auch zurückfallen, wenn's mal brennt, ne, also wenn Dinge scheiße laufen, dann fallen wir zurück auf das, was schon da ist, an Beziehung, Vertrauen, an ne, vielleicht auch Problemkompetenz. Die bauen wir in dem Moment nicht auf.
Das heißt, da kontinuierlich zu investieren und zu sagen, hey, ähm, was bewegt dich, ist super wertvoll.
[Nils Behrens] (52:45 - 52:55)
Super wertvoll. Hast du denn noch mehr? Ich meine, du hast jetzt schon ein paar Beispiele von dir persönlich gegeben, aber hast du sonst irgendwie, was war das Letzte, was du so in Bezug auf deine mentale Gesundheit für dich gelernt hast?
[Nora Dietrich] (52:58 - 53:57)
Ich glaube, für mich ist wichtig, plakativ, aber ganz wichtig, ist die Frage nach Grenzen. Also, gerade mit Kind, ne, ich arbeite in Teilzeit den Großteil der Zeit, außer ich reise für den Job und ich bin so radikal geworden in Dingen, die ich mache und nicht mache, weil ich muss. Das wär von Natur aus nicht passiert, weil ich eben auch ein People Pleaser bin und ich merke, wie gut es tut, für mich zu sortieren, wo ist die größte Wirksamkeit drin, wo ist die größte Energie drin, was bringt mich wirklich weiter, was macht mir Spaß, mit wem arbeite ich gerne und das kann natürlich nicht jeder, gerade im Angestelltenverhältnis sind Grenzen immer ein bisschen schwieriger, weil die Abhängigkeiten auch da andere sind, aber mein größtes Learning war, Grenzen sind nur für die Personen schwierig, die davon profitieren, wenn du keine hast.
Weißt du? Also Menschen, die dich lieben oder die dich sehen, die verstehen auch, dass bestimmte Dinge Grenzen brauchen und wenn sie dagegen gehen, dann weil sie selbst damit was verlieren.
[Nils Behrens] (53:58 - 54:07)
Ja, wobei ich finde tatsächlich, man muss es genau nicht immer so sagen, weil People Pleaser ist so das eine, aber es gibt halt einfach auch so viele Dinge, die mich auch wirklich interessieren.
[Nora Dietrich] (54:07 - 54:08)
Ja, das kenne ich.
[Nils Behrens] (54:08 - 54:51)
Das ist einfach auch so ein Thema und deswegen merke ich halt auch, also per se, ich glaube das Einfachste, um etwas von mir zu bekommen, ist mich zu fragen, weil ich per se dann erstmal so denke so, oh warte mal, da kann ich helfen, dann helfe ich auch so nach dem Motto und merke dann für mich, dass es dann nochmal gar nicht darum geht, die Person dann nur zu pleasen, sondern dass es A, irgendwie vielleicht so ein bisschen meine grundsätzliche Hilfsbereitschaft ist, aber B, auch teilweise ich dann Lust auf die Aufgabe dann habe und das ist dann immer so ein Punkt, wo ich dann immer merke, so okay, jetzt merkst du schon, dass das eigentlich ist dir die Lösung so klar und du weißt genau, was du tun musst, aber am Ende kostet es dich dann trotzdem Zeit.
[Nora Dietrich] (54:51 - 56:06)
Ja, ja und ich glaube, also bei mir ist es deswegen, habe ich so eine Art Zukunfts To-Do-Liste. Also es gibt Projekte, die finde ich total toll, auch einen eigenen Podcast zu haben. Traum, keine Zeit, es funktioniert einfach nicht und dann zu sagen, das heißt ja aber nicht, dass es nicht stattfindet, das heißt nur, dass es jetzt gerade nicht stattfindet und wenn ich in einem Jahr drauf gucke und sage, es ist immer noch genau das, was ich machen will, dann ist es vielleicht Zeit, mir das anzugucken.
Also auch sich selber und seine eigene Neugierde grenzen zu setzen, auch das kann manchmal ein Effekt sein, aber ich habe halt irgendwann gemerkt, ich sage so viel ja aus Begeisterung oder eben aus Angst vor Ablehnung, also es gibt so diese beiden Flammen in mir und ich muss verstehen, aus welcher agiere ich gerade, ist es Angst vor etwas, dass jemand negativ über mich denkt oder ist es wirklich die Begeisterung und dann zu fragen, okay, kann ich das verschieben oder wenn ich dazu ja sage, kann ich die Qualität liefern, die mir wichtig ist und das habe ich halt gerade mit Kind gemerkt, ich stand auf Bühnen mit einer Slide, die dann nur halb übersetzt war, halb Englisch, halb Deutsch, wäre mir vor zwei Jahren niemals passiert, aber weil ich so gemerkt habe, over committed, under delivered, ist nicht schlimm, ist nahbar, alles gut, war jetzt kein großer Fehler, aber das hat sich halt geholft und ich so dachte, das ist nicht der Qualitätsanspruch, den ich an mich habe, das heißt, jetzt muss ich gucken, entweder hole ich mir Hilfe oder ich muss mir Nein sagen, damit ich dann am Ende das liefere, was mir wirklich am Herzen liegt, weißt du so?
[Nils Behrens] (56:07 - 56:07)
Ich weiß genau, was du meinst.
[Nora Dietrich] (56:07 - 56:40)
Und dann ist wieder was mit sich zu tun, nicht nur mit Abgrenzen von anderen, sondern auch, okay, wer will ich sein und wie kriege ich das hin, dass ich die Person bin und ich bin zum Beispiel auch keine gute Mutter, wenn ich 0, gar keinen Raum für mich hatte, also ich brauche in der Woche mindestens mal zwei Stunden weg und zwei Abende weg, ich brauche das, damit ich mit vollem Herzen zurückkomme. Auch das ist eine Begrenzung für das Familiensystem, aber ich bin nur dann richtig da, mit Lust zu spielen und mit Geduld, wenn ich das habe.
Und ich glaube, zu verstehen, wie sich das gegenseitig benetzt, macht Grenzen manchmal leichter.
[Nils Behrens] (56:41 - 57:36)
Ja und ich glaube, am Ende ist es auch ein bisschen eine Art von Priorisierung, die man dann eben halt auch vornehmen muss und ich hatte jetzt gestern gerade wieder eine WhatsApp von einem Verleger bekommen. Ich habe im Augenblick vier Verlage, die alle gerne mit mir ein Buch schreiben wollen und ich komme einfach immer nicht dazu. Ich habe eigentlich auch eine Idee darüber, was ich da reinschreiben würde, aber ich komme nicht dazu.
Und dann denke ich mir auf der anderen Seite, ich habe im Augenblick vier Kolumnen, die ich regelmäßig schreibe. Davon ist eine im Fokus, habe ich bestimmt schon, also ich würde jetzt sagen, das sind schon über 30 Artikel, die ich da geschrieben habe. Wenn man sich das mal zusammenrechnet, den Aufwand, allein da reden wir nur über die eine Kolumne sozusagen, die ich habe.
Wenn man sich diesen Aufwand mal zusammenrechnet, könnte man sich ja auch überlegen, wie viel Zeit hätte ich da schon gehabt, auch an ein Buch zu schreiben. Weißt du, das ist so genau der Punkt. Da muss man sich dann natürlich fragen, willst du es wirklich oder denkst du nur, ach wäre auch cool?
[Nora Dietrich] (57:36 - 58:13)
Müsste man mal gemacht haben, total. Also ich habe das Exklusiv für mein Buch vor vier Jahren geschrieben und das hat dann einfach, dann bin ich schwanger geworden, es gab andere Prioritäten und ich dachte auch immer, ja okay, bei LinkedIn schreibe ich und dann geht das so ins Nirvana, ne, plopp, weg. Und dann dachte ich, okay, wie viel Zeit ich da investiere, das wäre locker zwölf Bücher gewesen gefühlt.
Aber manchmal war es halt noch nicht der Moment, um dann zu sagen, meine Mama sagt immer beim Shoppen, ein simples Beispiel, aber sie sagt immer, ist es ein Flirt oder ist es Liebe? Und wenn es nur ein Flirt ist, dann muss man es vielleicht nochmal sitzen lassen und nicht sofort greifen, wenn es Liebe ist, dann machst du es sowieso. Also dann machst du ja dafür Zeit, weil es wichtig ist.
Und ich glaube...
[Nils Behrens] (58:13 - 58:22)
Na, der Payoff ist halt manchmal auch ein bisschen schneller, muss man ja sagen. Wenn du dann was Intelligentes bei LinkedIn geschrieben hast, gibt es gleich ein paar Likes dafür, wenn du dein...
[Nora Dietrich] (58:22 - 58:25)
Wenn du dein Buch machst.
[Nils Behrens] (58:25 - 58:29)
Wollte ich gerade sagen, da sitzt du sehr lange dran und im Zweifelsfall...
[Nora Dietrich] (58:29 - 58:30)
Wir sind sonst 500 Menschen, ja.
[Nils Behrens] (58:31 - 58:52)
Genau. Das ist ja das, was glaube ich die wenigsten Leute, die sich damit noch nicht beschäftigt haben, wissen, wie wenig normale Bestseller ja eigentlich dann trotzdem verkauft werden, also Sachbuch-Bestseller. Wir reden ja wirklich so, dass du in eine Spiegel-Bestseller-Liste kommen kannst bei den Sachbüchern, wenn du zwischen 3.000 bis 5.000 Bücher in der ersten Woche verkaufst.
[Nora Dietrich] (58:53 - 58:56)
300 bis 600 Bücher in der ersten Woche.
[Nils Behrens] (58:57 - 58:57)
So wenig?
[Nora Dietrich] (58:58 - 59:13)
Das durchschnittliche Businessbuch weltweit verkauft sich 300 bis 500 Mal. Insgesamt. Ein Verlag ist happy, je nachdem was du machst und was du schreibst, aber bei klassischen Businessbüchern ab 1.500 verkauften Bücher. Das ist die Realität.
[Nils Behrens] (59:13 - 59:14)
Das ist die Realität, okay.
[Nora Dietrich] (59:14 - 59:18)
Und ein Liegeimpuls von mir sehen, weiß ich nicht, 60.000 Leute, ich weiß es nicht.
[Nils Behrens] (59:18 - 59:21)
Aber darum geht es nicht.
[Nora Dietrich] (59:21 - 59:22)
Manchmal geht es ja auch um andere Werte.
[Nils Behrens] (59:24 - 59:26)
Ja, Gott, die Zahl ist ja noch mal niedriger.
[Nora Dietrich] (59:27 - 59:34)
Jetzt kannst du es dir noch mal besser überlegen, ob du das machen willst. Ich finde, es ist ein sehr therapeutischer Prozess. Ich würde es immer wieder machen.
[Nils Behrens] (59:35 - 59:48)
Ja, ich finde es auch. Ich muss ja auch sagen, wenn ich nicht gerne schreiben würde, würde ich auch diese Kolumne nicht machen. Also von daher.
Kommen wir mal zur letzten Frage. Stell dir vor, die Zukunft ist gut und du bist Schuld daran. Was hast du getan?
[Nora Dietrich] (59:49 - 1:00:28)
Ich bin unbequem geblieben. Also genau darauf aufmerksam zu machen, wo unser System vielleicht hakt, wo wir Marge über Menschen stellen, wo wir dazu beitragen zur Ungesundheit und darauf aufmerksam zu machen, auch wenn es unbequem ist. Dass ich zumindest in meinem kleinen Dunstreich, wo ich Einfluss habe, genau versuche, das zu leben, was ich sage, nämlich authentisch zu sein, verletzlich zu sein, mein Chaos mitzubringen und in Beziehungen zu investieren, weil das für mich unglaublich wichtig ist.
Aber ich glaube, unbequem ist die größte Kraft, die ich habe.
[Nils Behrens] (1:00:29 - 1:00:30)
Sagt eine ehemalige People Pleaser.
[Nora Dietrich] (1:00:30 - 1:00:34)
Ja, genau. Für ein Thema kann ich das, nur für mich nicht.
[Nils Behrens] (1:00:35 - 1:00:47)
Vielen Dank für das Gespräch. Für alle, die jetzt noch mehr erfahren möchten, denen sei vor allem das Buch empfohlen. Es heißt Mental Health at Work und ist im Franz-Falen-Verlag in München erschienen.
Ich sage vielen Dank für das Gespräch.
[Nora Dietrich] (1:00:47 - 1:00:48)
Danke dir.
[Nils Behrens] (1:00:52 - 1:00:53)
Hast du eigentlich ein Lieblingssupplement?
[Nora Dietrich] (1:00:54 - 1:01:13)
Ja, also im Moment, ich nehme gar nicht so viele, aber Magnesium, wie heißt es jetzt? Bi-Glucinat. Genau, weil ich einfach, wenn ich Sport mache und so, ein super Allrounder finde, auch für Schlaf und Co.
Das ist so eines der Basiselemente.
[Nils Behrens] (1:01:13 - 1:01:40)
Dann pass ich, was ich dir heute noch mitgeben muss. Wenn euch diese Folge gefallen hat, würde es mir sehr helfen, wenn ihr eine Bewertung bei Apple Podcast oder Spotify hinterlasst. Damit ihr nichts verpasst, abonniert unseren Newsletter.
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