

Resilienz neu gedacht: Was uns wirklich stark mach
In einer Welt voller Unsicherheiten, Dauerstress und emotionaler Turbulenzen suchen viele Menschen nach innerer Stärke und psychischer Stabilität. Doch was genau ist Resilienz – und wie können wir sie entwickeln, ohne in die Falle oberflächlicher Ratgeber zu tappen?
Im Healthwise-Podcast spricht Host Nils Behrens mit dem Psychiater, Neurowissenschaftler und Philosophen Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter über wissenschaftlich fundierte Wege zur mentalen Widerstandskraft – und räumt dabei mit gängigen Mythen auf.
Was ist Resilienz wirklich?
Resilienz ist kein starres Bollwerk, kein psychologischer Schutzschild, der alles abwehrt. Vielmehr beschreibt sie laut Walter einen dynamischen Prozess: Die Fähigkeit, sich trotz widriger Umstände psychisch zu stabilisieren oder wieder zu erholen. Sie ist ein Ergebnis – keine Eigenschaft, die man einfach "hat".
Der Baum im Sturm ist dafür das bessere Bild als der Gummiball: Ein resilienter Mensch passt sich flexibel an Belastungen an, wächst daran – oder erkennt, wann es Zeit ist loszulassen.
"Ordinary Magic": Resilienz ist nichts Übermenschliches
Ein zentraler Begriff in Walters Forschung: Ordinary Magic – eine „alltägliche Magie“. Gemeint sind alltägliche Ressourcen wie stabile Beziehungen, Emotionsregulation, Sinnorientierung und gesunde Routinen. Resilienz ist kein Superhelden-Gen, sondern das Ergebnis sinnvoller Mikroentscheidungen und sozialer Verbindungen.
Ein eindrückliches Beispiel dafür: Walters eigene Großmutter, die mehrere Fluchten, den Verlust ihres Mannes und die Versorgung von fünf Kindern mit Haltung und Optimismus meisterte. Sie war für ihn das lebendige Beispiel gelebter Resilienz.
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Emotionsregulation: Das mentale Yoga
Resilienz beginnt mit dem Erkennen und Akzeptieren eigener Emotionen. Viele Menschen können ihre Gefühle nicht klar benennen – verwechseln Traurigkeit mit Wut oder verdrängen Unangenehmes. Walter plädiert für emotionale Flexibilität: Mal Abstand nehmen, mal reflektieren – je nach Situation. Diese Fähigkeit nennt er das "Yoga des Geistes".
Stress ist nicht der Feind – sondern ein Trainingsfeld
Stress ist kein Gegner, sondern – ähnlich wie Muskeltraining – ein Reiz zur Entwicklung. Walter betont: Ein Leben ohne Stress schwächt das System. Positive Herausforderungen, neue Erfahrungen oder sportlicher Einsatz stärken die Anpassungsfähigkeit – aber nur, wenn auch Regeneration und Pausen zugelassen werden.
Kein Rezept, aber Werkzeuge: Die neun Taktiken der Resilienz
In seinem Buch „Resilienz zwischen Couch und Coach“ formuliert Walter neun Taktiken, darunter:
- Aufbau positiver sozialer Beziehungen
- Dankbarkeit kultivieren
- Sinnorientierung entwickeln
- Emotionsflexibilität trainieren
- Probleme als Training verstehen („mentales Treppensteigen“)
- Exit-Strategien erkennen und nutzen
Wichtig: Nicht alles passt für jeden. Resilienz ist so individuell wie die Herausforderungen, denen wir begegnen. Es geht darum, herauszufinden, welche Strategien zu mir passen – und welche mir in bestimmten Phasen helfen.
Die Rolle von Sinn, Spiritualität und Glaube
Interessant ist Walters Unterscheidung zwischen horizontaler Transzendenz (Sinn durch Gemeinschaft, Natur oder Werte) und vertikaler Transzendenz (Glaube an höhere Mächte). Beides kann Resilienz fördern – muss aber individuell stimmig sein. Für viele Menschen reicht schon die Orientierung an einem „Wofür“ im Leben.
Achtung vor dem Resilienz-Paradoxon
So hilfreich Resilienz sein kann – sie darf nicht instrumentalisiert werden. Walter warnt davor, Resilienz als Anpassung an schlechte Bedingungen zu glorifizieren: „Wenn ich Menschen resilient mache, kann ich ihnen mehr Leid zumuten.“ Resilienz darf nicht zur Ausrede für schlechte Arbeitsbedingungen oder gesellschaftliches Versagen werden.
Fazit: Resilienz ist machbar – aber nicht beliebig
Resilienz ist keine Wunderwaffe, sondern ein lernbarer Prozess – bestehend aus Selbstwahrnehmung, sozialen Beziehungen, sinnvoller Lebensgestaltung und mentaler Flexibilität. Die gute Nachricht: Wir sind von Natur aus resilient – und können diese Fähigkeit im Alltag weiter stärken.
Take Aways
- Resilienz ist ein dynamisches Ergebnis, kein statisches Persönlichkeitsmerkmal.
- Sie basiert auf vielen kleinen Faktoren – besonders auf sozialer Unterstützung, Sinn und Emotionsregulation.
- Emotionen zulassen, reflektieren und flexibel managen ist entscheidend.
- Stress ist nicht der Feind, sondern ein Trainingsreiz – wenn man ihn richtig dosiert.
- Dankbarkeit und weniger Katastrophisieren machen nachweislich glücklicher – und sogar langlebiger.
- Exit-Strategien gehören genauso zur Resilienz wie Durchhaltevermögen.
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Als Psychiater, Neurowissenschaftler und Philosoph widmet sich Prof. Dr. Henrik Walter der Frage, wie wir mentale Widerstandskraft aufbauen – und was wirklich hinter dem Begriff der Resilienz steckt. Dabei geht es ihm nicht um einfache Durchhalteparolen, sondern um wissenschaftlich fundierte, alltagstaugliche Strategien für psychische Gesundheit.
In seiner Arbeit verbindet er Erkenntnisse aus Medizin, Hirnforschung und Philosophie – und räumt zugleich mit gängigen Mythen rund um mentale Stärke auf. Sein Ansatz: differenziert, evidenzbasiert und tief menschlich. Wer Resilienz verstehen will, kommt an Henrik Walters Perspektive nicht vorbei.
[Nils Behrens] (0:00 - 0:49)
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Und jetzt die Spaß beim Shoppen und natürlich beim Zuhören der neuen Folge.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (0:51 - 1:14)
Und dann kommt die Frage, wie gehe ich jetzt mit denen um? Dafür muss ich auch erstmal kennenlernen. Viele Leute können über Emotionen gar nicht reden.
Also die sagen zum Beispiel, sie sind traurig, sind aber in Wirklichkeit wütend auf irgendjemand. Und das merkt dann der Partner und dann versteht man gar nicht, warum man nicht getröstet wird. Weil man denkt, man wäre traurig.
Also Emotionen kennenzulernen, sie zu akzeptieren und dann damit umzugehen, das kann man trainieren.
[Nils Behrens] (1:15 - 2:35)
Herzlich Willkommen zu HEALTHWISE, dem Gesundheits-Podcast präsentiert von Sunny Natural. Ich bin Nils Behrens und in diesem Podcast erkunden wir gemeinsam, was es bedeutet gesund zu sein. Wir tauchen ein in Themen wie Medizin, Bewegung, Ernährung und emotionale Gesundheit.
Immer mit einem weisen Blick auf das, was uns wirklich gut tut. In einer Welt, die uns immer wieder vor neue Herausforderungen stellt, suchen viele nach Wegen, um psychisch stabil und widerstandsfähig zu bleiben. Resilienz, die Fähigkeit trotz Widrigkeiten gesund zu bleiben und rasch wieder ins Gleichgewicht zu finden, wird dabei zu einem entscheidenden Schlüssel für ein erfülltes und zufriedenes Leben.
Prof. Dr. Dr. Phil Hendrik Walter ist Psychiater, Neurowissenschaftler und Philosoph mit einer Leidenschaft für die Erforschung von Resilienz, psychischer Gesundheit und positiver Psychologie. Als Experte auf seinem Gebiet leitet er Forschungsprojekte, die die Schnittstelle von Geist, Gehirn und sozialen Umwelt beleuchtet und vermittelt komplexe Themen auf eine zugängliche, praxisnahe Weise. Mit seinem Buch Resilienz zwischen Coach und Couch lädt er dazu ein, psychische Gesundheit und Widerschaftskraft in einen neuen Licht zu betrachten, zwischen wissenschaftlichen Tiefe und altersnaher Integration.
Und deswegen sage ich herzlich willkommen, Herr Prof. Dr. Dr. Hendrik Walter. Schönen guten Tag. Also Sie haben, wenn ich das richtig lese, zwei Doktortitel.
Einmal den Dr. Med und einmal Dr. Phil. Ist das richtig?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (2:36 - 2:38)
Genau, das ist korrekt. Einmal in der Philosophie und einmal in der Medizin.
[Nils Behrens] (2:38 - 2:48)
Okay, ausgezeichnet. Also mehr Kompetenz kann ich ja hier gar nicht am Tisch haben, kann ich ja sozusagen sagen. Und deswegen komme ich gleich zu meiner ersten Frage.
Sind Sonntage wichtiger für die Resilienz als andere Tage?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (2:49 - 3:05)
Also ich würde sagen, sie sind auf jeden Fall resilienzfördernd. Also als der liebe Gott uns gebot, am siebten Tage zu ruhen, das war schon, glaube ich, eine ganz gute Idee. Und Erholung ist wichtig und man könnte sagen, ein bisschen mehr Sonntag wagen.
Vielleicht nicht nur am Wochenende, sondern auch in der Woche.
[Nils Behrens] (3:06 - 3:33)
Ja, das ist, glaube ich, ein sehr, sehr guter Tipp. Ich finde das so schön. Ihr Buch beginnt mit einer Aussage, die mich ein bisschen erinnerte an die Biografie von Andre Agassi, die beginnt mit dem Satz, ich hasse Tennis.
Weil den Leuten, die Andre Agassi noch erinnern, einer der längsten Profitennisspieler der Welt, oder der längsten erfolgreichen Profitennisspieler der Welt ist natürlich ein schöner Start. Sie starten mit, ich hasse Ratgeber. Also warum haben Sie sich denn noch dazu entschieden, ein Buch zu schreiben über das Thema Resilienz?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (3:33 - 4:02)
Ganz genau heißt es, eigentlich hasse ich Ratgeber. Weil es zwar einerseits stimmt, andererseits aber nicht. Was meine ich damit?
Also ich meine, Ratgeber sind so ein bisschen wie Junk Food für die Seele, sage ich mal. Man möchte, dass es einem besser geht, dann sieht man diese Ratgeber und die versprechen einem dann ganz viel und nur ein paar Regeln beachten, ein paar Übungen machen und dann geht schon alles wieder gut. Nur leider ist man meistens danach, wie auch bei dem Naschwerk, sozusagen enttäuscht und langfristig hilft es nicht unbedingt.
Deswegen wollte ich keinen Ratgeber schreiben.
[Nils Behrens] (4:02 - 4:12)
Ja, ist eine gute Analogie. Kann ich schon sehr gut verstehen. Und dann hat sie es aber doch irgendwie davon überzeugt.
Also herzlichen Glückwunsch an Ralf Joost, war es quasi der Verleger oder wie kam es dazu?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (4:12 - 4:51)
Also tatsächlich war es so, es gab eine Person, Christine Kluge, die einen Film mit mir gesehen hatte, wo ich halt über Resilienz spreche und das so gut fand, dass sie mich kontaktiert hat und sagte, ob ich mal ein Buch darüber schreiben wollte. Und ich wollte sowieso schon mal wieder, seit längerer Zeit mal wieder ein Buch schreiben und dann sagte ich ja vielleicht, aber keinen Ratgeber. Ach, das ist aber dumm, weil ich hätte einen Ratgeberverlag.
Na ja, dann kommen wir nicht zusammen. Und dann hat sie mich aber doch, blieb sie beharrlich und hat mich überzeugt. Dann habe ich mich mit den Verlegern getroffen und die waren so nett und so angetan und ließen mir alle Freiheit, dass sie mich dann rumgekriegt haben, sage ich mal.
Und dann hat es richtig Spaß gemacht.
[Nils Behrens] (4:52 - 5:46)
Ja, und es liest sich ja auch tatsächlich etwas anders, muss man dazu sagen. Also es ist ein sehr, wie soll ich sagen, unkonventionelles Buch, insofern, dass man eher so ein bisschen, es hat einen sehr guten Flow. Man hat irgendwie das Gefühl, es ist fast wie eine Geschichte, die man liest.
Und von daher kann ich das schon sehr gut nachvollziehen, dass sie eigentlich was anderes wollten. Ich möchte nichtsdestotrotz mal auf den Begriff Resilienz kurz einmal eingehen, bevor wir dann stärker in ihr Buch einsteigen. Weil ich habe das Gefühl, dass dieser Begriff doch etwas sehr inflationär benutzt wird und teilweise auch aus meiner Sicht falsch, aber da mögen Sie mich vielleicht an der Stelle auch korrigieren, weil Resilienz wird immer ganz stark mit vereinfacht Widerstandskraft übersetzt.
Und Widerstandskraft klingt ja wie so ein Bollwerk, was dann wie auf dem Sylt quasi die Wellenbrecher dann da irgendwie so jeder Welle standhalten. Und ich glaube, zumindest nach meiner Definition und so wie ich auch ihr Buch verstanden habe, ist es das ja nicht so ganz.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (5:47 - 6:24)
Das stimmt. Und also eine gute Kollegin von mir hat gesagt, also nenn dein Buch bloß nicht Resilienz, der Begriff ist so ausgelutscht. Und da habe ich gesagt, naja, ich muss es aber so nennen, weil darüber habe ich die letzten fünf Jahre geforscht.
Und was damit gemeint ist genau das, was Sie sagen. Also man stellt sich Resilienz wie so Kraft, Widerstand, wie eine feste Eigenschaft vor, die man erwerben kann und die man nur haben müsste. Dabei ist Resilienz eigentlich ein Ergebnis.
Und Resilienz heißt nämlich, psychisch gesund zu bleiben oder es rasch wieder zu werden, auch wenn man unter vielen Widrigkeiten leidet. Und da tragen natürlich viele einzelne Faktoren dazu bei. Und es gibt nicht die Resilienz, sondern Resilienz ist ein Ergebnis.
Und die Frage ist, was trägt dazu bei?
[Nils Behrens] (6:25 - 6:52)
Ja, das heißt also, wenn man es mal so ganz genau betrachtet, es ist ja eigentlich aus der Materiallehre. Und da geht es ja darum, wie schnell eine Form wieder zurück in ihre alte Form eigentlich zurückgehen kann. Das heißt also, wenn man sich jetzt so einen klassischen Flummi vorstellt, da kann man sich vorstellen, dass der in dem Augenblick, wo er dann auf den Boden trifft, sich einmal so kurz den Boden anpasst, aber dann eben halt wieder zurück in seine alte Form springt und dadurch ja letztendlich auch so den Auftrieb kriegt.
Also würden Sie schon sagen, dass dieses Bild einigermaßen passt?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (6:53 - 7:17)
Ja, einigermaßen schon, weil es sozusagen die Rückkehr sozusagen in die Gesundheit wieder ist. Ein anderes Bild passt aber nicht, weil Resilienz bei einem Gummiball eben so etwas Feststehendes ist. Das sind physikalische Eigenschaften, die kann ich einfach messen, indem ich das Material richtig komponiere.
Und Resilienz ist eigentlich etwas, also psychologische Resilienz, etwas in lebenden Organismen, die sich dauernd verändern und an die Umwelt anpassen müssen. Insofern hinkt der Vergleich wie jeder.
[Nils Behrens] (7:18 - 7:45)
Ja, das ist ganz lustig. In meiner allerersten Folge von Healthwise haben wir auch mit dem Dr. Volker Busch darüber gesprochen. Und der sagte auch, naja, eigentlich ist es ja so, dass jeder Einschlag sozusagen zu einer doch irgendwie Veränderung führt, manchmal eben halt aber auch zu einer positiven.
Das heißt also, wenn ich eben halt, keine Ahnung, der allererste Todesfall eines Menschen, der mich viel bedeutet, mag sein, dass der stärkere Spuren hinlässt als der fünfte, sage ich mal so.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (7:45 - 8:10)
Also ein anderes Bild, was manchmal gebraucht wird, ist das des Baumes. Also ein Baum in einem Sturm, der kann, wenn der Sturm zu stark ist, brechen. Das ist sozusagen, wenn man nicht resilient genug ist.
Er kann sich sozusagen biegen, das heißt, er ist flexibel genug. Er kann seine Form ändern, zum Beispiel sich nach dem Wind ausrichten, sieht man ja in so Alleen auf dem platten Land. Oder ja, es kann auch was abbrechen und dann was Neues wachsen.
Insofern ist dieses Baumbild vielleicht ein bisschen besser als der Gummiball.
[Nils Behrens] (8:10 - 8:22)
Okay, dann einigen wir uns auf den Baum und gehen dann gleich weiter zu einer anderen Begrifflichkeit, die Sie auch haben, nämlich die Ordinary Magic, also die alltägliche Magie der Resilienz. Was meinen Sie denn damit?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (8:22 - 8:52)
Ja, das meint eigentlich, dass Resilienz eben keine Superkraft ist, sondern das Resultat ganz gewöhnlicher Eigenschaften, die wir alle haben. Und das Schöne ist ja auch, wir alle sind meistens resilient. Also ich habe den Begriff nicht erfunden, Ordinary Magic, der stammt von Anne Maaßen, das ist so eine Pionierin der Resilienzforschung.
Und die hat eben auch sozusagen betont, es geht hier nicht um Superkräfte, sondern es geht um ganz normale Eigenschaften, die aber in der richtigen Art und Weise zusammenwirken müssen, damit wir eben resilient werden, bleiben oder sind.
[Nils Behrens] (8:53 - 8:59)
Gut, gut. Und dann haben Sie gleich auch nochmal ein Role Model für das Thema Resilienz mit reingebracht, nämlich Ihre eigene Großmutter.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (8:59 - 9:57)
Ja, ja, meine eigene Großmutter. Ich habe da ein bisschen gezögert, weil die typischen amerikanischen Bücher erzählen ja immer Geschichten über Menschen. Und da habe ich gedacht, welcher Mensch ist denn da für mich wichtig?
Da wollte ich auch von einem erzählen und das ist eben meine Großmutter, meine verstorbene Großmutter, die 1906 geboren wurde, damals in St. Petersburg, wie es damals und auch heute wieder heißt, dann nach Estland ziehen musste, dann im Krieg vertrieben wurde, aus Estland nach Polen umziehen musste und am Ende des Krieges nochmal vertrieben wurde nach Deutschland. Und sie war eine sehr bewundernswerte Frau, sie hatte fünf Kinder, sie hat den Mann im Krieg verloren, sie hat die alle sozusagen, ich sage mal, durchgefüttert ohne irgendwelche Mittel und war immer eine angenehme, adrett gekleidete Frau mit Haltung gepflegt und für uns Kinder ein tolles Vorbild.
[Nils Behrens] (9:58 - 10:05)
Ja, und ich glaube gerade, wenn man sich das anhört, was die alles in ihrem Leben durchgemacht hat, kann man sich schon vorstellen, dass man da sehr resilient sein muss.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (10:05 - 10:05)
Ja.
[Nils Behrens] (10:05 - 10:16)
Was mich so ein bisschen zu meiner nächsten Frage bringt, also Sie sagen immer, dass die Resilienz immer relativ zur Belastung, gibt es also ein universales Maß für Belastbarkeit oder ist das immer individuell?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (10:16 - 11:14)
Beides, also es gibt ein universales Maß, was aber eben individuell bestimmt werden muss und es ist ja so, wenn ich wissen will, ob jemand resilient ist, kann ich eben nicht wie in meinem Gummiball eine Eigenschaft messen, sondern ich gucke einfach, bleibt er gesund, obwohl er Stress hat. Das heißt, wenn jemand keinen Stress hat und nicht krank wird, das heißt ja nicht, dass er besonders resilient ist, das heißt nur, dass er keinen Stress hatte. Wenn jemand sehr viel Schlimmes erlebt und trotzdem noch psychisch gesund bleibt oder es rasch wieder wird, dann ist er sehr resilient und deswegen, in der Wissenschaft machen wir das so, wir gucken bei ganz vielen Leuten, wie der Zusammenhang zwischen Stress und psychischer Gesundheit ist und das ist relativ klar, je mehr Stress, desto mehr Symptome.
Aber manche haben eben bei viel Stress wenig Symptome und manche bei wenig Stress viel Symptome und diese sogenannte Stressreaktivität ist für uns das individuell bestimmbare Maß an Resilienz und das funktioniert ganz gut, das sozusagen so zu messen, aber dafür müssen wir eben wissen, was in der Welt eines Menschen los ist.
[Nils Behrens] (11:15 - 11:38)
Ja und diese Messeinheit würde mich in dem Zusammenhang auch noch interessieren, weil zum Beispiel bei der Psychoneuroimmunologie, da wird ja gerne sich gewisse Botenstoffe angeschaut, zum Beispiel so ein Interleukin 6 kann man eben halt sehen, wenn man dann eben halt einen relativ hohen permanenten Interleukin 6 Level hat, dass man dann sieht, dass eben halt die Stresslevel permanent auf einem hohen Niveau ist. Haben Sie da etwas Vergleichbares, wo man sich richtig so an Zahlen orientieren kann?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (11:39 - 12:57)
Naja, wir können eine Zahl bestimmen, das ist sozusagen, es ist ein bisschen so, Sie müssen es sich so vorstellen, bei Kindern wissen wir, wie sie wachsen, schwerer werden und größer werden. Ja, da gibt es so Normkurven sozusagen. Ja, ja, die kenne ich.
Und dann gucken wir, auf welcher Perzentile unser Kind liegt. Und so ähnlich kann man Normkurven für Resilienz bestimmen innerhalb einer bestimmten Gruppe und dann gucken, auf welcher Perzentile der Mann liegt. Also bin ich im Vergleich zum Durchschnitt eher resilient oder eher weniger resilient.
Das ist unsere Maßeinheit. Das ist also kein Molekül, keine Röntgenaufnahme, kein MRT, sondern diese Maßeinheit in Bezug auf eine Gruppe. Okay, aber nochmal, wie wird gemessen?
Ich messe die Symptome und ich messe den Stress. Okay. Und viele Stressuntersuchungen zum Beispiel, also die versuchen solche Eigenschaften festzustellen, messen gar nicht den Stress.
Aber wie messen Sie den? Naja, man fragt die Leute zum Beispiel, was ist passiert in ihrem Leben? Ist was Schlimmes passiert?
Ist jemand gestorben? Ist jemand krank geworden? Haben sie die Arbeit verloren?
Haben sie eine Trennung hinter sich? Das sind sozusagen die großen Lebensereignisse. Und dann gibt es die vielen kleinen Nervereien des Alltags.
Die nennt man in der Wissenschaft Daily Hassles. Der Stau, die lärmenden Kinder, der nervige Chef, die inkompetente Verwaltung. All das stresst uns ja.
Und wenn ich davon sehr viel habe und trotzdem nur fröhlich und umgänglich bin, bin ich resilient.
[Nils Behrens] (12:58 - 13:11)
Verstehe, verstehe. Okay, sehr gut. Sie haben ja, komme ich ganz kurz zu dem Einstieg zurück, waren ja der Meinung, dass viele Ratgeber über Resilienz Sie bisher auch enttäuscht haben.
Ohne, dass wir jetzt hier irgendjemanden blamen wollen, aber woran liegt das?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (13:12 - 14:13)
Naja, es geht nicht nur bei Resilienzratgebern, sondern auch bei anderen sozusagen. Sagen wir mal, es geht einem nicht gut. Was macht man?
Man geht in die Buchhandlung. Also ich, andere Leute gehen heute ins Netz und gucken, was gibt es denn da für Leute, die Ähnliches erlebt haben oder vielleicht Ratgeber schreiben. Und die klingen dann immer ganz gut.
Die sagen, ja, das kennen wir alle. Man muss nur drei Tipps befolgen oder diese 20 Ratschläge oder morgens und abends sein Dankestagebuch schreiben und drei Übungen machen und dann wird alles wieder gut. Und dann sagt man, wow, das hätte ich auch gerne.
Kauft sich einen Ratgeber und dann merkt man, das klappt einfach so nicht. Und das enttäuscht einen dann so ein bisschen. Das ist so ein bisschen wie eine Droge, also sozusagen Junkfood für die Seele, habe ich das sozusagen beschrieben.
Und ich wollte halt nicht weiteres Junkfood produzieren, sondern eher, sagen wir mal, wenn man nochmal die Zuckeranalogie nennt, ja, nicht irgendwie eine Süßigkeit, die nicht nachhaltig ist, sondern eher so die 80-prozentige Schokolade, die man auch genießen kann und die ein bisschen nachhaltiger ist.
[Nils Behrens] (14:13 - 14:28)
Ja, liebe ich sehr mittlerweile, liebe ich sehr. Sie betonen ja dann auch in dem Zusammenhang nochmal, dass es wirklich Resilienz kein statischer Eigenschaft ist, sondern ein dynamischer Prozess. Wollen wir da vielleicht mal ein bisschen näher reingehen, damit unsere ZuhörerInnen da vielleicht ein bisschen mehr verstehen, was Sie damit meinen?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (14:28 - 15:43)
Genau, also dynamisch meint, es verändert sich über die Zeit. Das ist einfach nur ein kompliziertes Wort für was Einfaches. Es bleibt nicht immer gleich.
Also es kann sein, dass ich jetzt mal resilient bin und später nicht. Also zum Beispiel ist es bekannt, es gibt sowas wie ein Schlefereffekt. Also sagen wir mal, man erschlebt viele schlimme Sachen und erstmal kommt man ganz gut damit zurecht.
Ja, also Menschen sind sehr gut damit, mit akutem Stress zurecht zu kommen. Haben wir ja in der Corona-Pandemie gesehen. Aber wenn es länger andauert und chronisch wird oder wenn man später dann auf andere Situationen trifft, ist man auf einmal nicht mehr resilient.
Das heißt, es ist dynamisch. Gutes Beispiel wäre vielleicht, ja, sexueller Missbraucher. Ja, das ist ja ein Risikofaktor für ganz viele Dinge.
Steckt man vielleicht ganz gut weg, aber in dem Moment, wenn man selber in eine Beziehung geht, kommt alles wieder hoch. Ja, das heißt also, man kann zu einem Zeitpunkt resilient sein und zum anderen nicht. Das ist mit dynamisch gemeint.
Und das Zweite, was gemeint ist, ist ein Prozess. Ja, also man geht mit Dingen um, man lernt etwas. Es ist ein bisschen wie, sage ich mal, resilient werden ist wie ein bisschen wie ein guter Fußballspieler werden.
Ja, und dafür gibt es keine Ratgeber und nicht zu Unrecht, denn es gibt nicht die drei Tipps, wie man ein guter Fußballspieler wird. Man muss ein gewisses Talent dafür haben. Man muss sich selber ganz gut kennen und hat am besten dann noch einen guten Trainer.
Und vor allen Dingen muss man Fußball spielen.
[Nils Behrens] (15:44 - 16:24)
Das, was Sie jetzt beschreiben, zum Beispiel diese sexuelle Übergriffe oder etwas, was wirklich dramatisch ist, wenn ich das jetzt mal übertrage auf Ihr Baumbeispiel, was Sie eben gerade so am Anfang eingebracht haben, kann es dann durchaus sein, dass der, wenn ich jetzt der Baum bin und quasi durch diesen sexuellen Übergriff in dem Augenblick sozusagen als Baum stehen geblieben bin, dass es aber dann trotzdem dazu führen kann, dass es dann zu einem viel späteren Zeitpunkt dann tatsächlich der Baum bricht, wie Sie ihn beschrieben haben. Und wenn ja, liegt es einfach daran, dass es im Grunde genommen eigentlich schon damals so angeknackst war und dann es einfach sozusagen über die Jahre eine Ermüdung ist oder muss dann tatsächlich nochmal ein neuer Windstoß kommen?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (16:25 - 17:27)
Naja, also es ist ein gutes Beispiel. Die meisten Bäume bleiben nach dem Sturm stehen, aber nicht nach dem Feuer. Das heißt also, wenn es schlimm genug ist, dann hilft die ganze Resilienz nichts.
Es ist aber so, dass die Bäume auch durch Stürme widerstandsfähiger werden. Also natürlich, ein Baum ist ja dafür geschaffen, dass er dem Wind widersteht. Und indem er mal belastet wird durch stärkere Winde, bildet er die Strukturen in der richtigen Stelle aus, um dem nächsten Sturm zu widerstehen.
Und genauso ist es ein bisschen mit der Resilienz. Aber zum Beispiel nach einem Sturm ist man oft sehr empfindlich. Ich habe das früher nie verstanden, wenn davor gewarnt wurde, nach einem Sturm oder bei einem Sturm in den Wald zu gehen.
Aber der Grund ist ja einfach, weil dann fallen die angeknacksten Äste eben vom Baum ab. Und es ist gefährlich, wenn man in den Wald geht. Und so ähnlich ist es auch bei uns Menschen.
Manche Dinge sind angeknackst und funktionieren dann vielleicht nicht mehr so gut. Aber als Person selber, als Baum, wird man widerstandsfähiger durch Stürme.
[Nils Behrens] (17:28 - 18:22)
Gerade wenn ich jetzt bei so einem Beispiel bleibe, wo wirklich noch etwas Schlimmes, Traumatisches passiert ist, dann hat man ja häufig das zumindest von außen betrachtete Phänomen, dass solche Menschen dann auch anfangen, irgendwie härter zu werden, gewisse Dinge nicht mehr so an sich heranzulassen, gewisse Emotionen zu unterdrücken. So, da muss man dann vielleicht sagen, das ist vielleicht als Schutzmechanismus dann ja sehr schön, ist auf der anderen Seite, würde man sich ja eigentlich eher vielleicht den Menschen davor wieder zurückwünschen, der diese Freude, diese Herzlichkeit auch viel mehr nach außen lebt. Man weiß ja nicht genau, was da drin dann irgendwie vorgeht.
Aber wie sehen Sie das? Also würden Sie schon, ich meine, Sie sind ja auch Psychiater und haben ja auch Ihre positive Psychologieausbildung und allem drum und dran. Also ist es da nicht trotzdem auch wünschenswert, dass solche Themen aufgelöst werden?
Und wenn man sie auflöst, bedeutet das, dass man gegebenenfalls damit auch einen Teil seiner Resilienz wieder verliert?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (18:22 - 20:03)
Ja, da kommen wir wieder auf die Sache mit der Dynamik. Was Sie sagen stimmt, aber es kommt natürlich auf den Zeitpunkt an. Also wenn ich etwas ganz Schlimmes erlebt habe, hat man früher gedacht, dass man sofort darüber reden muss, dass das gut ist.
Und das hat sich tatsächlich herausgestellt, dass das schädlich sein kann. Also Leuten ein Gespräch aufzudringen, wenn sie es gar nicht wollen. Wenn sie wollen, ist es gut.
Oft ist es aber so, erstmal muss man eine akute Situation irgendwie bewältigen. Nehmen wir zum Beispiel eine Krankheit, ein anderes Beispiel, Brustkrebs. Ist eine schlimme Diagnose, aber man kann was machen.
Und natürlich ist es gut, wenn man da nicht verzweifelt. Aber zum Beispiel in Barbara Ehrenreich, das ist so eine Kritikerin der positiven Psychologie, die selber mal Brustkrebs gehabt hat, die hat beschrieben, wie es in Amerika ist, Brustkrebs zu kriegen. Sobald die Diagnose da ist, kriegt man rosa Blümchen, Sachen, dass man doch gut gestimmt sein muss, weil positive Laune gegen Krebs hilft, dass man sich vorstellen soll, wie die Killerzellen den Krebs umbringen.
Und wenn man dann trotzdem nicht gesund wird, dann ist man auch noch selber schuld. Also das heißt, zu früh, nach einem schrecklichen Ereignis sozusagen ins Positive überzugehen, kann schädlich sein. Und insofern ist das Timing wichtig und auch die innere Bereitschaft.
Wer dazu noch nicht bereit ist, entweder die Sache zu verarbeiten oder sozusagen auch mal auf die positive Seite zu sehen, dem muss man auch Zeit lassen. Und da fängt dann eben sozusagen die Therapie an, im Falle jetzt der Psychiatrie oder ein gutes Coaching für Leute, die ja auch nicht Mediziner, nicht Psychologen aufsuchen, um mit schwierigen Situationen fertig zu werden.
[Nils Behrens] (20:04 - 20:18)
Wie sind da Ihre Erfahrungen mit den Menschen, die dann so eine Hilfe suchen? Ist das dann sehr häufig so, dass die das selbst erkannt haben, dass die so eine Hilfe brauchen? Oder ist es dann doch sehr häufig, dass die auch davon berichten, dass der Impuls dazu von außen kam?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (20:19 - 20:40)
Nee, die Großteil würde ich sagen, kommen natürlich von selber. Und wenn man nicht von selber kommt, macht Therapie auch wenig Sinn. Man kann vielleicht jemanden dazu überreden und sozusagen gegen seine Überzeugung Medikamente zu nehmen und sie helfen trotzdem.
Bei Therapie funktioniert das nicht.
[Nils Behrens] (20:40 - 20:58)
Okay, das ist dann die Vorteil, die man als Psychiater hat, dass man auch Medikamente aufschreiben kann, was einem Psychologe eben halt dann nicht umbringen kann. Okay, verstehe. Dann kommen wir mal wieder zu ein bisschen grundsätzlicheren Themen, nämlich dem Thema Stress, die Rolle von Stress.
Ist quasi Stress immer der Feind oder gibt es auch den guten Stress?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (21:00 - 22:49)
Stress ist nicht immer der Feind, sondern Stress ist erstens unvermeidbar und zweitens auch unverzichtbar. Also vielleicht nochmal eine Analogie aus dem Körperlichen. Wer zu hygienisch lebt in einer sterilen Umgebung, dessen Immunsystem funktioniert nicht und der wird schon durch ganz leichte Dinge umgeschmissen.
Wir haben das ja in der Corona-Pandemie gesehen, als wir alle Masken trugen und zu Hause blieben. Hat zwar gegen Corona geholfen, aber dann jetzt auf einmal kriegen wir alle die normalen Erkältungen viel heftiger. Und so ähnlich ist es auch mit dem unvermeidbaren Lebensstress.
Also Stress ist erstmal was Normales, Physiologisches und Gutes. Also zum Beispiel, wenn ich was Aufregendes mache. Einen ersten Fallschirmsprung vielleicht zum Beispiel.
Oder einen neuen Job oder einen Umzug oder ein Studium oder eine romantische Begegnung. Draußen aus der Komfortzone. Ja, oder in die Komfortzone.
Romantische Begegnungen zum Beispiel können sehr stressvoll sein, aber sind ja auch was sehr Schönes. Und dafür ist unser Körper gemacht. Dann steigt der Herzschlag, dann weiten sich die Augen, dann muss man nicht schlafen.
Dann fühlt man sich fit und leistungsfähig und fröhlich. Also das ist ein guter Stress. Dann gibt es sozusagen noch einen anderen Stress, der mehr mit der Komfortzone zu tun hat.
Dass man sich auch mal ein bisschen stressen und herausfordern muss. Also ich zitiere auch da gerne meinen Schwager, der mal gesagt hat, wenn du willst, dass deine Kinder im Leben nichts erreichen, halte alle Probleme von ihnen fern. Denn mit Problemen umzugehen lernt man, indem man kleinere Probleme löst.
Also man muss auch, wie beim Fußballspielen, trainiert werden. Das Leben trainiert einen ja schon oft genug, aber man kann es ja auch selber trainieren. Also das weiß ja auch jeder Sportler.
Sport ist anstrengend. Und Training ist auch anstrengend, mühsam. Es braucht eine gewisse Disziplin.
Und man muss durch sozusagen anstrengende Phasen durch und dann wird man besser.
[Nils Behrens] (22:50 - 23:06)
Ja, kann ich sehr gut nachvollziehen. Sie sagen, und das finde ich sehr schön, weil es eigentlich nicht nur auf die psychische Gesundheit trifft, aber grundsätzlich sagen psychische Gesundheit ist mehr als dieses Abwesenheit von Krankheit. Das heißt also, definieren Sie doch mal für uns und unsere HörerInnen die psychische Gesundheit.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (23:07 - 24:32)
Also ich mache es erstmal sozusagen negativ. Also psychische Gesundheit ist mehr als die Abwesenheit von Symptomen. Ich bin nicht depressiv, nicht zwanghaft, nicht wahnsinnig und trotzdem geht es mir irgendwie nicht gut.
Und das, was da noch fehlt, das ist psychische Gesundheit. In der Literatur ist manchmal auch von Wohlbefinden die Rede, also emotionales, psychisches und soziales Wohlbefinden. Das klingt so ein bisschen nach Komfortzone, so nach Luxus.
Das ist aber nicht gemeint. Das ist eigentlich damit gemeint, dass man genug positive Emotionen erlebt, dass Sachen funktionieren, dass man sich auf Freunde verlassen kann, dass man Ziele hat und Motivation oder Sinn. All diese Dinge zählen zur psychischen Gesundheit dazu.
Und das Entscheidende ist jetzt sozusagen, dass es eben nicht so ist, dass psychische Gesundheit und Krankheit wie auf einem Schieberegler sind, also rechts gesund, links krank, sondern dass es eigentlich zwei Schieberegler sind. Ich habe sozusagen die Symptome, das ist die Krankheit und ich habe dieses Wohlbefinden, das ist das andere. Und ich kann zum Beispiel ein sehr sinnvolles Leben haben, auch wenn ich psychisch krank bin.
Oder ich kann glücklich sein, wenn ich Zwangssymptome habe. Oder ich kann Freunde haben, wenn ich eine Schizophonie habe. Und das wird manchmal so ein bisschen vergessen.
Und wir Psychiater gucken fast immer nur auf die Symptome und nicht auf das andere.
[Nils Behrens] (24:33 - 24:40)
Ich verstehe. Das heißt also, man kann auch grundlos gut drauf sein, auch wenn man vielleicht tatsächlich ganz große Probleme im Augenblick gerade hat.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (24:40 - 25:46)
Man kann auch mit Gründen gut drauf sein, wenn man große Probleme hat. Sagen wir mal, ich bin, keine Ahnung, ich habe eine schwere Zwangsstörung, aber wenn ich nach Hause komme und mit meinen Kindern spiele, fühle ich mich wohl. Vielleicht bis ich dann wieder Angst habe, dass meine Hände verschmutzt sind, aber das ist ein anderes Problem.
Aber warum ich das so wichtig finde, das ist jetzt mehr aus der psychiatrischen Perspektive, weil wir in der Psychiatrie und wahrscheinlich auch in der Psychotherapie gucken oft nur darauf, dass die Symptome weggehen. Und dann sagen wir jetzt unser Job fertig. Aber die Ursachen bleiben.
Aber die Ursachen bleiben und wir vernachlässigen dann sozusagen dieses Wohlbefinden, diese positiven Sachen. Also wir haben zum Beispiel bei uns in der Klinik mal, habe ich eine Gruppe gestartet, eben zum, ja, Phoenix heißt die, wo es genau darum geht, wir gucken jetzt mal nicht auf die Symptome, nicht auf ihre Probleme, die Sie schon zehnmal diskutiert haben, sondern wo ist eigentlich das Gute in Ihrem Leben? Was können Sie eigentlich gut?
Woran haben Sie Freude? Was sind Erfolge in Ihrem Leben? Und diese beiden Dinge gleichzeitig zu bedienen, ist, glaube ich, sehr wichtig.
[Nils Behrens] (25:46 - 26:16)
Aber es ist ja ganz interessant. Es klang eben so ein ganz kleines bisschen, als ob Sie sich despektierlich gegenüber solchen Journals ausgesprochen haben, wo man eben genau das ja macht. Man schreibt ja dann Aufruf, wenn man dankbar ist.
Was ist mir heute Gutes widerfahren? Was macht der Tag heute gut? Was habe ich vielleicht für jemanden heute Gutes getan?
All diese Fragen, die gibt es ja so in so vorgefertigten Journals. Ist das dann etwas, was Sie grundsätzlich dann doch gut finden, wenn es jemandem hilft? Oder sagen Sie eben halt, okay, kommt jemand drauf an, wem es hilft?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (26:17 - 27:02)
Genau, also in welcher Situation jemand ist. Die Dosis macht das Gift. Also es sollte nicht despektierlich klingen, sondern was ich nicht gut finde, ist, wenn man nur darauf guckt.
Und Sie haben ja selber vorhin schon gesagt, wenn etwas Schlimmes passiert ist, viele Leute drücken das einfach weg und stellen sich nicht den negativen Dingen. Und das haben diese Wohlfühljournale, Happiness und wie sie alle heißen, manchmal so ein bisschen drin, dass sozusagen ein wunderschöner Sonnenuntergang und ein schlankes Wesen sitzt auf dem Felsen und blickt aufs Wasser und das Meer. Und in der Küche duftet es wunderbar.
Und das blendet sozusagen das Negative völlig aus. Das ist, was ich sozusagen nicht so gut finde.
[Nils Behrens] (27:02 - 27:12)
Ich verstehe, dass Sie im Grunde genommen eigentlich durch eine Art von Ablenkung, Übertünchung sozusagen eigentlich die Realität sich nicht richtig konfrontieren lassen.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (27:12 - 27:35)
Genau. Und wir wissen sehr gut aus der Psychiatrie, dass die Vermeidung negativer Emotionen bewirkt, dass man noch viel empfindlicher für negative Sachen wird. Also es gibt ein sehr schönes Buch, dessen Titel ich auch als Kapitelüberschrift übernommen habe.
Das heißt Gute Gründe für schlechte Gefühle. Also es gibt auch sehr gute Gründe, die schlechten Gefühle nicht auszublenden und zu vermeiden.
[Nils Behrens] (27:35 - 28:28)
Ja, ich weiß sehr gut, was Sie meinen. Ich habe eine ganze Zeit lang immer News vermieden, weil das mal einfach zu viel geballte negative Energie war. Und hat es auch, glaube ich, schon mal in einem dieser Podcasts dann auch erzählt, dass ich deswegen höre ich zum Beispiel immer gerne so Apokalypse und Filtercafé, weil da unterhalten sich zwei Leute über die News und die vorverdauen das sozusagen so ein bisschen.
Das ist dann so ein bisschen, ich werde nicht mit der negativen Nachricht alleine gelassen, sondern ich werde in dem Augenblick, dann reflektiert es schon jemand dann für mich. Das heißt nicht unbedingt, dass ich die Meinung dann teile, aber es ist zumindest schöner, dass man nicht einfach nur sagt, jetzt ist gerade das und das Schlimme passiert und dann muss ich damit alleine leben, sondern die Personen reflektieren es dann einmal für mich. Das hört sich gut an.
Also von daher, aber ich weiß, was Sie meinen. Deswegen habe ich eine ganze Zeit lang keine News, weil ich dachte mir immer so, Mensch, nach einer Viertelstunde Tagesschau war ich immer grundlos schlecht drauf. Grundhaft schlecht drauf, muss man sagen so, weil es mich echt runtergezogen hat.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (28:29 - 28:39)
Man muss sich manchmal auch davor schützen. Manchmal ist das richtig abzuschalten. Ich will jetzt nichts davon wissen, aber wenn man daraus folgt, okay, ich gehe jetzt auch nicht mehr wählen, weil es bringt eh alles nichts, das ist dann sozusagen...
[Nils Behrens] (28:39 - 28:41)
Das sollte man nicht tun. Das sollte man auf jeden Fall nicht tun.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (28:42 - 28:42)
Gerade am 23.
[Nils Behrens] (28:44 - 28:52)
Kommen wir doch mal zu der positiven Psychologie, die in Ihrem Buch ja auch eine große Rolle spielt. Was hat Sie genau an diesem Forschungsfeld besonders fasziniert?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (28:53 - 29:42)
Ja, jeder Mensch interessiert sich natürlich für Glück und schöne Sachen. Ich habe das mit einer intellektuellen Skepsis wahrgenommen und habe darüber gelesen und darüber gehört. Und wie man das als Akademiker so macht, sage ich dann, gucke ich mir das mal an und habe dann einfach Kurse darüber gemacht.
Vor mehr als zehn Jahren an der Charité für Studierende Kurse über Glück gemacht. Und ich habe auch mal vier Monate in Amerika gearbeitet. Und was so ganz interessant war, dass ja in Deutschland vor, sagen wir mal vor 15 Jahren, heute ist es vielleicht ein bisschen anders, war eine große Skepsis gegenüber Glück.
Also da war das, was ich gesagt habe, muss auch mal die negativen Emotionen, da war so die Meinung, also Glück ist nur was so für die naiven Amerikaner und wir beschäftigen uns mit den richtigen und schlimmen Dingen.
[Nils Behrens] (29:43 - 29:54)
Vielleicht einmal ganz kurz zur Einordnung, weil es im Amerikanischen besser funktioniert oder im Englischen besser funktioniert als im Deutschen. Weil Glück kann ja auch Glück haben meinen, also dass man jetzt im Lotto gewinnt. Aber wir reden über Englisch happiness und nicht good luck.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (29:54 - 30:13)
Genau, ganz genau. Wir reden über happiness. Und dann gab es ja die sogenannte positive Psychologie, die so vor 25 Jahren gestartet hat, mit dem Anspruch, mal die wissenschaftlichen Methoden der Psychologie auch auf das Gute und Schöne und Glückliche anzuwenden.
Und die haben eben inzwischen sehr viele gute Ergebnisse produziert. Und dann habe ich etwas ganz Interessantes erfahren.
[Nils Behrens] (30:15 - 30:16)
Jetzt bin ich gespannt.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (30:16 - 31:20)
Genau. Und zwar, ich mag ja keine Glücksrezepte, aber was ich gemerkt habe ist, dass als ich mich auf diese Lehrveranstaltung vorbereitet habe, dass alleine das Lesen darüber mir bessere Laune gemacht hat. Und das kann man auch ganz einfach erklären.
Das ist wie mit diesen drei guten Dingen am Ende aufschreiben. Wir sind sehr gut darin, evolutionär geprägt, die negativen Dinge besonders Gewicht beizulegen. Und vergessen oft so das Gute.
Und wenn man sich damit beschäftigt, ist weniger Platz für das Schlechte. Das heißt, es wird besser erinnert, man schätzt das eher. Und alleine die Zeit, die man nimmt, ist ein ganz trivialer Mechanismus, der eben für diese drei guten Dinge ganz gut funktioniert.
Aber wenn ich jeden Tag drei Dinge aufschreibe, die gut waren, wird mir das nach drei Wochen langweilig. Und deswegen, so mein Stil war es, mich mit den Theorien zu beschäftigen, mit den Erkenntnissen, das zu diskutieren, mit Studierenden oder jetzt eben mit Patienten.
[Nils Behrens] (31:21 - 33:11)
Ich fand das ganz interessant, es gibt den Verleger Florian Langscheid, bekannt von diesem ursprünglichen Lexikon, das war mal so, und der hat mir hier mal in einem Gespräch gesagt, was ist der größte Erzeuger von Glück und was ist der größte Zerstörer von Glück. Und der größte Erzeuger von Glück ist Dankbarkeit. Und da muss ich wirklich sagen, seitdem ich quasi von ihm, das ist jetzt auch schon gute zehn Jahre her, dass ich erstmal dann dieses Thema nochmal so gehört habe, muss ich sagen, dass es schon etwas ist, was ich sehr gut in mein Leben integriert habe.
Und sehr oft für so Kleinigkeiten, das muss ich mir jetzt nicht in irgendein Journal reinschreiben, aber ich bin wirklich sehr häufig dankbar für gewisse Situationen, gewisse Themen, gewisse Umstände. Manchmal kann es sein, was mir am Tag passiert, manchmal kann es aber auch grundsätzlich sein, ich bin dankbar dafür, dass ich diesen Podcast machen darf. Mir macht das sehr viel Spaß, spannende Menschen wie Sie kennenzulernen.
Da bin ich einfach grundsätzlich dankbar für. Und das ist auch etwas, ich habe heute zwei Aufnahmen, wo ich mich einfach darauf freue, auf diese Gespräche. Das sind so Dinge, die ich immer wieder nicht als selbstverständlich wahrnehme und dankbar dafür bin.
Und der größte Zerstörer von Glück nach seiner Aussage ist Neid. Wenn ich jetzt irgendwie jeden Tag in die Podcast-Charts reinschaue und mich darüber ärgere, dass es vielleicht einen anderen Podcast gibt, der größer, erfolgreicher ist, schneller wächst als meiner, dann würde ich ja quasi dieses Glück, was ich durch die Tatsache habe, also es wird ja mein Spaß an dem Gespräch, das wir beide jetzt hier im Augenblick haben, nicht dadurch geschmälert, dass sich jemand anderes andere Gespräche häufiger anhört. Verstehen Sie, was ich meine? Nur weil viele der Meinung sind, dass das andere eben halt besser funktioniert, dann ist es ja nicht so, dass das eigentlich meine Dankbarkeit und mein Glücksgefühl, was ich jetzt hier in diesem Moment dann habe, mindern sollte.
Nichtsdestotrotz scheint das ja die ein oder andere so zu haben.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (33:11 - 34:01)
Ja, also Sie können ja, Sie haben schon alles Richtige fast gesagt. Also erstens, wenn Sie das richtig gut praktizieren, die Dankbarkeit, werden Sie länger leben. Das weiß man inzwischen.
Also Dankbarkeit ist ein lebensverlängernder Faktor. Und das denke ich dann auch wieder an meine Großmutter, die war für viele kleine Dinge dankbar. Die hat zwar alles verloren, ihren Mann, ihre sozusagen Heimat, alles Geld.
Aber sie war dann dankbar, dass sie eine kleine Wohnung hatte, dass sie Enkel hat etc. pp. Und andere würden vielleicht immer darüber nachdenken, was sie alles verloren haben.
Also auch ein Beispiel. Das Zweite, was Sie sagen mit dem Neid, ja. Es gibt sogar Theorien darüber, warum Depressionen zugenommen haben.
Durch unsere, sagen wir mal, verbesserte Kommunikation in der Welt, gibt es immer, immer, immer jemand, der besser, schneller, schöner, reicher, größer ist.
[Nils Behrens] (34:01 - 34:01)
Ja.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (34:02 - 34:26)
Also der Vergleich wird immer damit enden, es könnte noch besser sein. Und wer sich darauf einlässt, hat schon verloren. Aber es gibt noch einen anderen Zerstörer von Glück, der zum Beispiel in unserer Forschung sich auch immer wieder gezeigt hat.
Also und im Gegensatz eben zu der Fähigkeit, seine Emotionen zu regulieren oder Dankbarkeit zu suchen. Und das ist Katastrophisieren. Ah.
Katastrophisieren.
[Nils Behrens] (34:27 - 34:29)
Ein sehr schönes Wort. Ja. Ich kann mir vorstellen, was es ist, aber vielleicht erläutern Sie es mal.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (34:30 - 34:55)
Naja, das ist, dass man immer das Schlimmste erwartet, das Schlimmste sieht und sich auf die negativen Dinge fokussiert. Oh Gott, jetzt ist das schon wieder passiert und das passiert und es wird noch jenes passieren. Und das ist zwar manchmal leider berechtigt, weil manchmal passieren auch schlimme Dinge, aber wenn das die Grundeinstellung ist, dann ist das ein negativer Prediktor für Resilienz.
Das heißt, die Leute, die das gewohnheitsmäßig machen, sind wenig resilient.
[Nils Behrens] (34:56 - 34:58)
Sorgen sind wie Nudeln, man macht sich immer zu viel, habe ich mal gelernt.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (35:00 - 35:04)
Das ist sehr gut. Hätte ich das vorher gehört, wäre es jetzt in meinem Buch drin.
[Nils Behrens] (35:05 - 35:36)
Ja, und ich habe tatsächlich auch da eine Studie von Florian Langscheidt mal bekommen, dass 85 Prozent der Sorgen, die wir uns machen, quasi unbegründet sind und die anderen 15 Prozent tatsächlich in den seltensten Fällen so schlimm eintreten, wie man sie sich vorgestellt hat. Das heißt also, nicht nur, dass wir einen Großteil, ich meine, jeder Gedanke ist Energie, wenn wir also nicht nur den Großteil dieser Energie grundlos aufwenden, dann ist es eben halt selbst der, wenn man sagt, ja, aber die 15 Prozent sind ja noch da, aber auch die sind nur halb so schlimm meistens in dem Eintritt, wie sie dann tatsächlich sind.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (35:36 - 36:08)
Es kommt meistens weniger schlimmer, als man denkt in Wirklichkeit, das stimmt. Auch wenn viele schlimme Dinge passieren. Und manchmal, zum Beispiel in der Psychiatrie haben wir auch einen Trick oder einen Ratschlag oder eine Methode, um Sorgen zu begrenzen und das ist zum Beispiel zu sagen, okay, Sie machen sich dauernd Sorgen, wir können die jetzt auch nicht nehmen, aber wenn schon dann richtig, bestimmen Sie einen Sorgenstuhl, da dürfen Sie sich abends eine halbe Stunde hinsetzen und sich über so viele Dinge Sorgen machen, wie Sie nur wollen. Und das hilft manchmal, wenn man anfängt, sich tagsüber zu sagen, na, ich kann die heute Abend noch katastrophisieren.
[Nils Behrens] (36:09 - 36:35)
Sie haben eben gerade schon etwas gesagt, dass Sie eigentlich gar nichts von schnellen Glücksrezepten halten. Gibt es denn so etwas, was Sie sagen würden, was funktioniert? Oder ist Glück immer ein individueller Prozess?
Was immer funktioniert, würde mir nicht einfallen. Okay, dann gehen wir rüber zur nächsten Frage, würde ich einfach an dieser Stelle sagen. Sie haben die Verbindung von Resilienz und Emotionsregulation untersucht.
Wie wichtig ist es, Emotionen flexibel zu managen?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (36:36 - 37:50)
Ja, also ich habe schon früher über Emotionsregulation geforscht, weil mich das auch sehr interessiert. Emotionen sind für alle Menschen wichtig und für das Wohlbefinden wie für die Symptome, also für Gesundheit und Krankheit. Und die frühen Ansätze waren so, dass man sagt, es gibt gute Arten, seine Emotionen zu regulieren und schlechte.
Also eine gute Art wäre zum Beispiel zu sagen, naja, so schlimm ist es nicht. Also ich bewerte die Sache neu und sehe sie ein bisschen anders. Eine schlechte wäre zum Beispiel, Gefühle zu unterdrücken oder sie abzulenken.
Und heutzutage weiß man aber, dass es so nicht stimmt, sondern es kommt ganz auf die Situation an. Also wenn Sie zum Beispiel in einem Autounfall verwickelt sind und da helfen wollen, dann sollten Sie Ihre Emotionen unterdrücken. Und Sie nicht an den Straßenrand setzen und jetzt darüber grübeln, wie schlimm alles ist.
Also das heißt, in bestimmten Situationen ist es hilfreich und wichtig, sich abzulenken oder Emotionen zu unterdrücken. Und in anderen Situationen ist es wiederum wichtig, ja, Dinge neu zu bewerten und auch die positiven Sachen dran zu sehen. Das heißt, diese Flexibilität stellt sich als ein ganz wichtiger Faktor raus.
Ich nenne das Yoga des Geistes.
[Nils Behrens] (37:51 - 37:52)
Okay, sehr gut.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (37:52 - 38:16)
Weil so wie man körperlich Yoga das Gute ist, wenn man flexibel ist und sich ein bisschen biegen kann und gelenkig ist und nicht so eingerostet, ja, genauso ist das im Geiste der Fall. Das heißt, ich muss mich den erfordersten oder wenn ich mich den erfordersten der Situation clever anpasse, dann kann ich meine Emotionen so in den Griff kriegen, dass ich möglichst viel von den Guten habe und die Schlechten damit möglichst gut umgehe.
[Nils Behrens] (38:17 - 38:37)
Yoga kann ich ja trainieren. Ich glaube, dass insbesondere, wahrscheinlich kennen das die meisten, dass man besonders viel, ich nenne es mal Kopfkino, dann hat, wenn man zum Beispiel einen starken Konflikt hat. Das kann privat oder kann auch beruflich dann sein.
Gibt es denn da, sage ich mal so, was eine Übung oder etwas tun kann, um eben halt diese Emotionen besser regulieren zu können?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (38:38 - 39:33)
Ja, also das Erste ist mal, sie überhaupt zu akzeptieren. Denn die Negativen wollen wir nicht haben und nach den Guten streben wir. Und wenn ich mich hartnäckig bemühe, die Negativen loszuwerden, dann kommen sie erst recht.
Das kennt man so ein bisschen wie mit dem ... Rosa Elefanten. Genau, dem Rosa Elefanten oder dem blauen Eisbären oder was auch immer.
Wenn ich an den nicht denken soll, dann kommt er erst recht. Und das heißt also, der erste Schritt wäre überhaupt mal anzuerkennen, dass er Emotionen hat und dass man die nicht einfach wegkriegen kann. Und dann kommt die Frage, wie gehe ich jetzt mit denen um?
Dafür muss ich auch erst mal kennenlernen. Viele Leute können über Emotionen gar nicht reden. Also die sagen zum Beispiel, sie sind traurig, sind aber in Wirklichkeit wütend auf irgendjemand.
Und das merkt dann der Partner. Und dann versteht man gar nicht, warum man nicht getröstet wird, weil man denkt, man wäre traurig. Also Emotionen kennenzulernen, sie zu akzeptieren und dann damit umzugehen, das kann man trainieren.
Das ist eigentlich Psychotherapie im Übrigen.
[Nils Behrens] (39:33 - 39:39)
Okay, also einmal die Akzeptanz sozusagen und dann die Verortung, würde man da so sagen?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (39:39 - 39:47)
Ja, die Verortung, das sich selbst kennenlernen, wahrzunehmen und dann damit umzugehen, genau.
[Nils Behrens] (39:49 - 39:56)
Sehr gut, sehr gut. Ihr Buch enthält ja auch neurobiologische Erkenntnisse. Was kann uns die Forschung über das Gehirn in Bezug auf Resilienz denn lehren?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (39:57 - 40:42)
Weniger als manche Leute manchmal behaupten. Ich bin ja von Hause aus Neurowissenschaftler, ich finde das faszinierend, ich finde das super. Ich habe das jetzt seit mehr als 30 Jahren gemacht.
Aber es ist jetzt nicht so, dass da der Heilige Gral oder der Stein des Weisen verborgen ist. Aber es gibt schon ein paar interessante Dinge, die daraus kommen. Also was nicht überrascht zum Beispiel ist, dass Vernunft, Reflexion, das Stirnhirn, der präfrontale Cortex, bei der Emotionsregulation und Kontrolle eine große Rolle spielt.
Das ist wirklich nicht überraschend. Aber was schon ein bisschen überraschend ist, dass eben zum Beispiel der Hippocampus, unser Gedächtnissystem, und das Belohnungssystem ganz entscheidend für Resilienz sind. Also Belohnungssystem, wo die positiven Emotionen verortet sind.
[Nils Behrens] (40:43 - 40:51)
Ja, Belohnungssysteme werden ja teilweise schon von anderen Dingen, also wenn man sich allein anschaut, wie viele Belohnungssysteme teilweise schon aktiviert werden, wenn Leute eine WhatsApp-Nachricht bekommen.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (40:52 - 41:10)
Ja, das ist dann ein zweischneidiges Schwert, denn das geht ja dann schon in die Richtung von Sucht. Das Belohnungssystem ist ja zweischneidig, also wir brauchen es für Resilienz, aber es ist natürlich sehr leicht verführbar durch harte Drogen oder durch digitale Drogen.
[Nils Behrens] (41:11 - 41:18)
Digitale Drogen sind gut. Kommen wir doch mal zu dem Wort Resilienzparadoxon, was Sie auch in Ihrem Buch beschreiben. Was genau verbirgt sich denn dahinter?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (41:20 - 42:31)
Ja, also wir sind ja alle meistens resilient. Selbst nach schwersten Ereignissen, 80% aller Leute entwickeln keine posttraumatische Belastungsstörung nach Krieg, Katastrophen und Tod. Und die Frage ist, warum?
Jetzt erforscht man das, dann findet man irgendeinen Faktor raus, zum Beispiel Freunde haben oder dankbar sein oder gute Emotionsregulationsfähigkeit oder Optimismus. Und dann sagt jemand, das ist es. Wissenschaftlich erklärt das aber nur einen kleinen Teil von der Resilienz.
Und dann sagen wir nachher, dann nehmen wir doch mal alle zusammen. Also zum Beispiel, man kennt so mindestens 15 psychosoziale Resilienzfaktoren. Die brauche ich jetzt gar nicht alle aufzuzählen.
Wenn wir die alle zusammen nehmen, können wir dann Resilienz erklären. Dann können wir sie immer nur noch zum Teil erklären. Dann müssen wir noch weiter forschen und noch 30 andere Faktoren finden.
Und wenn man sich das als Tortenstück vorstellt, wie viel von der Resilienz ist erklärt? Also wenn man diese kleinen Tortenstücke, das sind jetzt die Faktoren, nehmen würde, die idealisierte Resilienztorte, irgendwann ist die ganze Torte ausgefüllt. Aber in Wirklichkeit ist es immer nur ein Drittel oder die Hälfte.
Und der andere Rest ist nicht erklärbar. Das heißt, wir wissen immer mehr, aber können nicht alles erklären. Das ist das Resilienzparadoxon.
[Nils Behrens] (42:31 - 43:08)
Was mir in der Aufzählung so ein bisschen fehlt, ist etwas, was wir ja auch aus den Blue Zones gelernt haben, dieses Thema Belief, also dass man etwas glaubt. Im Zweifelsfall ist es ja dann sehr häufig religiös geprägt, aber eben halt eine in dem Sinne irgendwie geartete höhere Macht, von der man glaubt, dass sich schon alles im Griff hat und es einen großen göttlichen Plan gibt oder etwas wie Schicksal, wie auch immer. Es gibt Bücher von Paulo Coelho, wo eben halt dann irgendwie darüber steht, dass alles sowieso schon geschrieben ist.
Also dass man einfach das auch nutzt, um mit Rückschlägen besser zurechtzukommen. Haben Sie sowas auch Teil der Forschungsuntersuchung dann mit betrachtet?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (43:08 - 45:43)
Ja, also das ist ja das Thema Sinn. Und bei Sinn gibt es viele sinngebende Dinge im Leben. Und eines davon ist eben, was man auch Transzendenz nennt.
Und Forschung sagt, es gibt zwei Arten davon. Das eine ist so den Sinn, also horizontale Transzendenz nennt man das so, ist den Sinn im größeren Ganzen zu finden, zum Beispiel in einer harmonischen Natur oder indem man für etwas Größeres als einen selber arbeitet, also eine Schule für die Erziehung, für die Wissenschaft, für die Musik. Und das andere ist eben diese Vertikale, ein höheres Wesen.
Und das ist tatsächlich ein Resilienzfaktor, aber nur ein kleines Stück in der Torte. Auch nur ein kleines Stück in der Torte? Nur ein kleines Stück in der Torte.
Und natürlich ist es so, wenn ich schon religiös bin, ist es ein großes Tortenstück. Aber für die, die nicht religiös sind, ist es ein kleines oder nicht existentes Tortenstück. Das heißt, es ist auch kein Allheilmittel eben, aber sehr, sehr wichtig tatsächlich.
Und es gibt noch so einen anderen Begriff, der heißt Kohärenzsinn. Was ist damit gemeint? Damit ist gemeint, dass die Welt irgendwie einen Sinn hat, dass die Welt verstehbar ist und dass sich auch was an ihr ändern kann.
Also dass ich glaube, alles passt irgendwie unter einem Gesichtspunkt, der nicht nur mein eigener individuell ist, ganz gut zusammen. Also die Welt ist sinnvoll, verstehbar und auch veränderbar. Und das ist ja jetzt immer unabhängig von einem Gott.
Und wer das glaubt, für den ist es viel besser. Und gerade in extremen Situationen, und da gibt es ja Beispiele eben, es gibt einen, also eine der aus unserer Sicht natürlich, aus deutscher Sicht gerade, schlimmsten Sachen war ja der Holocaust. Ja.
Und einer der Begründer der sogenannten Sinntherapie, Viktor Frankl, ist ein Arzt und Psychiater, der eben das KZ Auschwitz überlebt hat und da ja ein Buch zugeschrieben hat. Und was eigentlich auch ein ganz guter Slogan ist, das heißt nämlich, trotzdem Ja zum Leben sagen. Also selbst unter widrigsten, schlimmsten, unmenschlichen, tödlichen Bedingungen.
Und da, sagt er, da hält der Glaube an was anderes, was hinter den Dingen liegt, einen aufrecht. Und damit ist nicht unbedingt der Religiöse gemeint. Es kann sogar sein, ich weiß, da draußen warten noch Familienmitglieder auf mich.
Oder ich kann für jemanden etwas tun, ja. Oder solche Dinge. Also diese Wofür, diese Frage Wofür, ist ein sehr starker Resilienzfaktor, aber nur ein Tortenstück.
[Nils Behrens] (45:45 - 46:00)
Sie hatten heute schon ein paar Mal das Thema Covid angesprochen oder kurz gestreift, sage ich mal so. Es ist ja tatsächlich eine sehr kollektive Belastung gewesen. Und haben Sie aus dieser Zeit neue Erkenntnisse für das Thema Resilienz gewonnen?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (46:02 - 46:55)
Ja, also zum einen haben wir gesehen, dass Leute mit akuten Problemen sehr gut umgehen können. Also wir haben in der Charité gleich ein Krisentelefon eingerichtet, weil wir erwartet haben, da rufen jetzt ganz viele an, die Angst haben und sich bedroht fühlen, das Telefon hat nicht geklingelt. Die Leute waren erstmal damit beschäftigt, akute Probleme zu lösen.
Und erst mit der Zeit wurde das sozusagen schwieriger für die meisten Leute, wo so langsam die gut eingespielten Sachen zusammengebrochen sind. Man konnte nicht mehr dahin gehen, nicht mehr dorthin gehen. Und wir haben auch erwartet, dass sie so zitraten zu nehmen.
Erstmal sind sie gesunken. Aber jetzt steigen sie langsam wieder, aus verschiedenen Gründen, man weiß nicht genau. Und was wir vor allen Dingen lernen mussten, ist, wie wichtig soziale Kontakte gerade für Kinder und Jugendliche sind.
Also das haben, glaube ich, die meisten Experten und auch Politiker unterschätzt.
[Nils Behrens] (46:56 - 47:21)
Das würde ich auch so sagen, ja. Also ich glaube auch tatsächlich, dass jetzt aus meiner leidenhaften Betrachtung, wahrscheinlich die Kinder und Jugendlichen die meisten Schäden aus diesem Social Distancing, wie es dann hieß, gezogen haben. Also zumindest hat man das Gefühl, dass da tatsächlich mehr Probleme langfristig geblieben sind, als es vielleicht bei Erwachsenen der Fall war.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (47:21 - 47:46)
Ja, aber zum Beispiel, wir haben ja vorhin mal, oder ich habe mal ganz kurz über das Handy geschimpft. Aber das war ja ein Segen in der Pandemie. Absolut.
Also zum Beispiel meine Tochter, die hat dieses Handy benutzt, um gemeinsam mit ihren Freunden Hausaufgaben zu machen. Das blieb dann halt zwei Stunden an und man redete die ganze Zeit. Das wäre früher unmöglich gewesen.
Also insofern sind Handys nicht nur schlecht.
[Nils Behrens] (47:47 - 47:55)
Das ist sehr gut, dann ist die Frage, ist Resilienz eigentlich immer etwas Gutes? Nein. Was sind denn die negativen Aspekte der Resilienz?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (47:56 - 49:16)
Naja, also Potenziel gibt es mehrere. Und ich glaube, das Wichtigste ist das, was ich vorhin schon mal bei dem Brustkrebsbeispiel erläutert habe, dass man also, wenn man die Leute resilient macht, sofern man es kann, dann kann man ja auch mehr von ihnen verlangen. Und es könnte zum Beispiel jemand sagen, naja, die meisten Leute sind doch eh resilient und dann können sie auch schreckliche Dinge erleben.
Oder ich mache die Leute widerstandsfähig gegen Leid und Tod, dann können sie besser andere umbringen. Also grob gesagt. Oder die Leute ertragen Widrigkeiten ganz gut, dann muss ich nicht für gute Arbeitsbedingungen sorgen.
Also das sind so Befürchtungen, die vielleicht nicht immer berechtigt sind. Wenn es jetzt nur noch darum geht, die Leute sozusagen fit fürs Leid zu machen, dann kann ich ihnen auch mehr Leid zumuten. Das wäre sozusagen die Zusammenfassung, wo eine übertriebene Betonung der Resilienz negative Folgen haben kann.
Und das Zweite ist, denke ich, auch enttäuschte Hoffnungen. Also wenn ich verspreche, mach mal meinen Kurs und dann bist du widerstandsfähig, dann funktioniert es nicht, dann ist man enttäuscht, frustriert und wird wahrscheinlich sagen, es liegt ja an mir. Weil bei den anderen funktioniert es doch allen.
[Nils Behrens] (49:18 - 50:03)
Wenn ich jetzt persönlich mein größtes Kuchenstück definieren müsste, wie Sie es eben so schön sagten, wären es bei mir wahrscheinlich tatsächlich meine sozialen Kontakte. Also ich merke das immer wieder, und da haben wir ja gerade auch im Zusammenhang mit Corona drüber gesprochen, dass ich, egal was mir passiert, ich immer wieder sehr gut aufgefangen fühle, dadurch dass ich eben ein gutes Verhältnis zu meiner Familie habe, ein gutes Verhältnis zu meinen Freunden, dass ich auch einen sehr großen Freundeskreis und Bekanntenkreis habe, dass ich insgesamt viele Menschen habe, die einfach mich mögen und auch nett zu mir sind, sage ich mal so, und ich auch hoffentlich zu Ihnen. Und wie würden Sie das einschätzen? Würden Sie sagen, das ist generell ein großes Kuchenstück, oder ist das nur das große Kuchenstück von Nils Behrens, weil er auch ein großes Netzwerk hat?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (50:03 - 51:14)
Also erstmal herzlichen Glückwunsch, dass es bei Ihnen so ist. Das ist ein wichtiges Kuchenstück. Es muss aber nicht so sein, dass es ganz viele sind.
Also die Forschung zeigt, dass ein paar genügen. Also es muss ein paar Leute geben, oder mindestens eine Person, Minimum, oder drei bis vier, was so der Durchschnitt vielleicht ist, die eben sehr gute Freunde sind. Tatsächlich hat die Resilienzforschung ein bisschen so angefangen.
Die hat ja durch Emmy Werner angefangen und mit der berühmten Kaui-Studie, das ist eine Insel im Hawaii-Archipel, und hat dort festgestellt, dass obwohl die Leute da sehr arm sind oder in sehr widrigen Umständen leben, nicht alle ein schlechtes Leben haben, sondern ein paar Kinder wirklich sehr, sehr resilient sind. Und dann haben die angefangen zu untersuchen, woran das liegt. Und ein wichtiger Faktor, der sich sehr schnell rausgeschildert hat, war, dass es mindestens eine positive Bezugsperson gibt.
Und das war damals sozusagen kontrovers, das versteht man heute gar nicht, aber der Grund ist, weil damals sagte es, es muss Mutter oder Vater sein. Und das stimmt nicht. In der Kaui-Studie waren das dann auch vielleicht Onkel oder Tante oder Nachbar.
Aber eine Person, die einen versteht, die einen hilft, die einen unterstützt, die einen fördert, ist ein sehr großes Kuchenstück.
[Nils Behrens] (51:15 - 52:22)
Wenn es mehr sind, auch gut. Ich fand es ganz interessant, ich habe gestern gerade ein Statement von Andrew Huberman, dem Neurowissenschaftler von Stanford, der gesagt hat, wie wichtig er es einordnet, dass man jeden Morgen jemanden einen guten Morgen wünscht. Also per Text sozusagen.
Er meinte, wenn man jeden Morgen, ich glaube, er meinte einmal der gleichen Person, dass man einfach wirklich so eine, wie er es sagte, so einen anderen Menschen einfach hat, der selben Spezies ist, der einfach, man dadurch das Gefühl bekommt hat, dass jemand da ist. Und er meinte, es müsste gar nicht viel mehr Konversation sein, aber einfach dieses Guten Morgen sich wünschen, einfach einen anderen Start in den Tag gibt, dadurch, dass man irgendwie das Gefühl hat, nicht allein zu sein. Und ich fand das einen ganz interessanten Aspekt.
Ich hatte das mal im Interview mit Guido Maria Kretschmer gehört, der dann sagt, dass der erste und der letzte Gedanke immer seinem Partner gehört. Er ist ja auch sehr viel am Reisen, aber nichtsdestotrotz, der erste und der letzte Gedanke des Tages gehört immer seinem Partner. Können Sie das so nachvollziehen, dass das quasi sich damit matcht?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (52:22 - 53:15)
Kann ich total unterschreiben. Und ich glaube, es ist vor allem wichtig, sich das klarzumachen für Leute, die Partner haben, die man ja manchmal nicht immer gut behandelt. Julian sagt ganz bewusst, das muss nicht der Partner sein.
Ja, okay, gut, da wollte ich jetzt nämlich darauf hinaus. Es gibt ja Leute, die haben keine oder die sind sogar einsam. Also nicht nur keinen Partner, sondern auch keine Freunde oder fast keine Freunde.
Was ist denn mit denen? Aber auch da gibt es ja Möglichkeiten, die auch für Leute mit Partner gelten. Zum Beispiel eine Sache, die ich empfehlen würde, wäre einfach mal freundlich sein.
In der Bäckerei, in der Straßenbahn oder der U-Bahn. Und so wie man in den Wald hinein lächelt, so lächelt es zurück. Oder wie man das sagen sollte.
Und das ist ja nicht immer verbreitet. Und Berlin ist ja auch ein etwas härteres Flachster als manche anderen Städte, würde ich mal sagen.
[Nils Behrens] (53:15 - 53:29)
Ja, definitiv. Aber ich weiß genau, was Sie meinen. Ich bin ja noch nicht so lange in Berlin, aber ich habe es zumindest geschafft, in den Lokalen hier drumherum, wo ich regelmäßig hingehe, dass die sich zumindest positiv an mich erinnern.
Ich glaube alleine, das ist schon schön.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (53:29 - 53:43)
Ja, so sein kleines Dorf hier. In die gleichen Geschäfte gehen, die Leute wiederkennen, sich zu grüßen. Das tut extrem gut und hilft einem, auch schwierige Zeiten zu überstehen.
Sprich, resilient zu sein.
[Nils Behrens] (53:43 - 54:04)
Ja, radikale Freundlichkeit nennt das meine Bekannte Nora. Die kommt ja auch nochmal im Podcast. Aber das ist tatsächlich ein sehr, sehr guter Punkt, sehr guter Approach.
Sie haben ja schon gesagt, es gibt eigentlich keine Glücksformel. Dennoch gibt es in Ihrem Buch neun konkrete Taktiken für Resilienz. Und welche davon halten Sie denn persönlich für am wirkungsvollsten?
Haben Sie einen Favoriten?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (54:05 - 56:02)
Also, es ist ein bisschen so, wenn ich sage, welche Übung ist am besten, um ein guter Fußballer zu werden? Ach, okay. Sie erinnern sich.
Also, ich glaube, was vielleicht am wichtigsten ist, ist sich klarzumachen, dass Stress und Probleme nicht nur schlimm sind, sondern ein Trainingsfeld. Also dann hilft es einem leichter, das zu ertragen. Ich nehme nochmal ein Beispiel aus dem Körperlichen.
Also, sagen wir mal, ich gehe einkaufen und muss schwer schleppen. Normalerweise schimpft man darüber. Super, dann muss ich ja heute nicht mehr ins Fitnessstudio gehen, wenn ich jetzt diese schweren Tüten hier auftragen muss.
Und deswegen sage ich auch, mentales Treppensteigen. Also, dass man manche Probleme und Herausforderungen als ein Training für Resilienz annimmt oder sich sogar sucht. Also, ich gehe mal davon aus, so wie ich Sie einschätze, duschenkalt.
Ja, lustig. Das ist ja ein sehr verbreitetes Mittel, um sich körperlich fitter zu machen. Und man kann auch mental kalt duschen.
Ich weiß, da ist jetzt ein schwieriges Gespräch, aber ich gehe da jetzt rein und sage, ich werde etwas daraus lernen. Oder ich habe jetzt hier ein Problem zu lösen und anstatt zu sagen, ich würde jetzt lieber Netflix gucken, sage ich, mache ich das doch, dann kann ich später besser. Also, diese innere Einstellung, das ist, glaube ich, ein ganz wichtiger Punkt.
Und dann muss man eben gucken, weil Sie sagten ja schon, vier Strategien und neun Taktiken, kann man sich ja gar nicht merken. Und man muss dann gucken, was kann ich schon gut, das muss ich nicht mehr trainieren. Und wo kann ich mich noch verbessern?
Und da sollte ich mich dann darauf fokussieren. Deswegen keine allgemeine Antwort, sondern sich selbst kennen, die innere Einstellung haben und dann das machen, was mir persönlich oder in dem Fall Ihnen persönlich wahrscheinlich am schnellsten helfen wird.
[Nils Behrens] (56:03 - 56:46)
Ich finde es ganz lustig, was Sie sagen, weil mich erinnert das an eine Taktik, die ich schon einige Male angewendet habe, dass wenn mich etwas immer total nervt, weil es immer wieder passiert, gerade wenn Personen gewisse Dinge immer wieder so machen, dass ich es dann mal für mich umdrehe und einfach so reingehe in diese Begegnung und sage, wer denn die macht das jetzt gleich wieder so? Dann fühlen, dann sich bestätigen. Und dann sage ich, zack, ich wusste es doch.
Ich wusste es doch. Also dass ich mich eher darüber freue, dass ich recht hatte, als dass ich mich getriggert dafür fühle, dass es schon wieder passiert ist. Also von daher, ja, es resoniert bei mir, würde ich sagen.
Ist Resilienz trainierbar? Hatten wir schon im Grunde genommen ein bisschen darüber gesprochen. Deswegen komme ich eigentlich tatsächlich schon zu meiner letzten Frage.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (56:46 - 57:26)
Lassen Sie mich noch eine Sache vielleicht vorher sagen, die mir noch wichtig ist. Ja, wir können Resilienz trainieren. Ja, wir sind meistens resilient, aber es macht nicht immer Sinn.
Manchmal muss man auch aufgeben oder aussteigen, sage ich mal. Deswegen habe ich auch Exit-Strategien definiert. Das heißt, es macht nicht Sinn, jeder Widrigkeit widerstehen zu wollen.
Manchmal muss man einfach sagen, okay, das ist jetzt zu viel oder hier kämpfe ich nicht mehr oder das gebe ich jetzt auf. Denn wenn man immer nur kämpft und immer nur widersteht, erschöpft das irgendwann auch das System. Also deswegen nicht glauben, wenn man resilient ist, dass man alles ertragen kann und auch nicht alles ertragen muss.
[Nils Behrens] (57:28 - 58:23)
Ja, das ist ein sehr gutes Bild. Es gibt diese Geschichte von diesem alten Mann, der quasi in einen Bach reinfällt und dann in den Wasserfell runterfällt und dann unten rausgeht und ihm nichts passiert ist. Und dann wird er gefragt, wie es denn passiert ist.
Und er hat gemeint, er wurde zum Wasser. Das heißt also, er hat sich nicht versucht zu widersetzen, sondern eben halt sich wirklich voll quasi dem Wasser hingegeben hat. Ob das wirklich funktioniert, würde ich jetzt mal da hinstellen.
Aber nichtsdestotrotz ist ja ähnlich, was Sie sagen. In dem Augenblick, wo man dann einmal sagt, okay, jetzt versuche ich mich nicht mehr zu widersetzen. Also die Überlebensgefahr oder die Überlebenswahrscheinlichkeit, einen Wasserfall zu überleben, sage ich mal so, wenn man sich eher fließen lässt, als wenn man sich versucht irgendwie dagegen anzuschäumen, ist wahrscheinlich tatsächlich die richtige Variante.
Und insofern passt das Bild ein bisschen da an dem. Ich komme trotzdem zur letzten Frage. Was wünschen Sie sich, dass die Leserinnen und Leser aus Ihrem Buch mitnehmen?
Also wenn Sie sagen, es gibt so dieses Eine, was man da vielleicht daraus ziehen kann. Hoffnung und Zuversicht, würde ich sagen. Hoffnung und Zuversicht.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (58:23 - 58:28)
Ja. Und nochmal gelernt zu haben, dass Resilienz häufig ist und dass sie machbar ist und keiner Superkräfte bedarf.
[Nils Behrens] (58:29 - 59:09)
Ich sage vielen Dank für das Gespräch. Für alle, die Lust bekommen haben, das Buch heißt nochmal Resilienz zwischen Couch und Coach. Und ich muss sagen, also wenn man gewohnt ist, normalerweise Ratgeber zu lesen, dann wird man auf jeden Fall überrascht sein, wenn man Ihr Buch liest.
Also es ist einfach eine sehr ungewöhnliche Darstellung im positiven Sinne. Nichtsdestotrotz sind eben halt auch gewisse Tabellen nochmal so drin, die einem dabei helfen, das Ganze auch nochmal ein bisschen strukturierter sozusagen zu verfassen, als wir es vielleicht heute in diesem Gespräch tun konnten, weil es eben halt auch nochmal visuell dann dargestellt war. Und von daher, also es ist erschienen im Becker Jus Volk Verlag.
Und ansonsten sage ich vielen Dank für das Gespräch.
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (59:09 - 59:10)
Vielen Dank.
[Nils Behrens] (59:14 - 59:16)
Herr Professor, haben Sie eigentlich ein Lieblingssupplement?
[Über Prof. Dr. med. Dr. phil. Henrik Walter] (59:17 - 59:48)
Ich nehme wenig, aber ich würde Vitamin D hier nennen, weil das tatsächlich vielen von uns fehlt. Es ist einfach zu supplementieren. Am besten natürlich durch viel draußen sein.
Aber auch als sozusagen Tropfen oder Kapselform kann es helfen gegen viele Dinge. Also das sollte man machen. Die meisten haben Vitamin D Mangel.
Und was ich persönlich auch nicht falsch finde, sind Fischölkapseln.
[Nils Behrens] (59:48 - 1:00:12)
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