

Frauen, Alkohol und der Weg in ein freies Leben
Alkohol gilt als sozial akzeptiertes Genussmittel, gerade bei Frauen steht der abendliche Wein oft sinnbildlich für Entspannung und Lebensqualität. Doch was, wenn sich dieser scheinbar harmlose Konsum langsam in Abhängigkeit verwandelt, still, schleichend und gesellschaftlich gut getarnt?
In dieser eindrucksvollen Healthwise-Episode spricht Nils Behrens mit der Journalistin, Autorin und Gründerin Nathalie Stüben über ihr neues Buch „Frauen und Alkohol“ und ihren persönlichen Weg in ein nüchternes, selbstbestimmtes Leben. Ein Gespräch über Scham, stille Signale, gesundheitliche Fakten und die große Chance, sich selbst zurückzugewinnen.
Warum trinken Frauen und was ist anders als bei Männern?
Einer der spannendsten Befunde des Buchs: Frauen trinken oft aus anderen Gründen als Männer. Während Männer häufiger aus Geselligkeit zur Flasche greifen, trinken Frauen laut Studien signifikant häufiger, um Stress, Ängste oder depressive Gefühle zu lindern. Das bedeutet: Der Alkoholkonsum vieler Frauen ist funktional, aber eben auch besonders tückisch.
Ein zentrales Thema ist auch der sogenannte Teleskopeffekt: Frauen bauen Alkohol langsamer ab, haben mehr Körperfett und weniger Wasseranteil, die toxische Wirkung entfaltet sich stärker und schneller. Die Folge: Gesundheitliche Schäden und psychische Beeinträchtigungen zeigen sich oft früher und gravierender als bei Männern.
Der Mythos vom „moderaten Trinken“
Ein Glas zum Feierabend? Kein Problem? Doch, sagt die Wissenschaft: Schon geringe Mengen Alkohol können das Risiko für Krebserkrankungen, Schlafstörungen, depressive Verstimmungen und Demenz erhöhen. Studien zeigen, dass selbst bei moderatem Konsum Gehirnareale schrumpfen können, insbesondere der präfrontale Cortex, verantwortlich für Impulskontrolle, Entscheidungsfähigkeit und Selbstregulation.
Was häufig übersehen wird: Auch das berühmte „Trinkfestsein“ ist kein Zeichen von Robustheit, sondern ein Risikofaktor, wer viel verträgt, trinkt oft auch mehr. Und je mehr man trinkt, desto größer die Gefahr, in eine Abhängigkeit zu rutschen, ganz unabhängig von Herkunft, Beruf oder Lebensstil.
Scham, Schuld und der späte Ausstieg
Besonders bei Frauen und hier nochmal bei Müttern – spielt Scham eine zentrale Rolle. Der gesellschaftliche Druck, in allen Rollen zu funktionieren, verstärkt die Tendenz, Warnzeichen zu ignorieren. Nathalie Stüben spricht offen über die Ängste vieler betroffener Frauen: Die Angst vor Stigmatisierung, vor Kontrollverlust und vor dem Verlust der eigenen Rolle als Mutter, Partnerin oder Führungskraft.
Der Einstieg in die Abhängigkeit erfolgt bei Frauen oft später als bei Männern, nicht selten sogar erst nach dem 40. Lebensjahr. Die gute Nachricht: Auch der Ausstieg ist in jedem Alter möglich und lohnt sich doppelt.
Mehr erfahren im healthwise Podcast von sunday natural
Nüchternheit als Lifestyle, nicht als Stigma
Nathalie Stüben ist eine der wichtigsten Stimmen der neuen Nüchternheitsbewegung in Deutschland. Ihr Ziel: Enttabuisierung. Raus aus dem Sucht-Narrativ, rein in eine positive Erzählung von Freiheit, Klarheit und Selbstbestimmung. Man muss kein Alkoholproblem haben, um vom alkoholfreien Leben zu profitieren, so wie beim Veganismus oder Fasten kann auch Nüchternheit ein bewusster Lifestyle-Entscheid sein.
Erste Schritte in die Nüchternheit, ganz ohne Etikett
Was tun, wenn man sich angesprochen fühlt? Stüben empfiehlt: Erst mal 30 Tage ohne Alkohol. Als Experiment. Als Projekt. Ohne Dogma. Ohne Etikett. Und dann beobachten, was passiert.
- Wie verändert sich der Schlaf?
- Die Stimmung?
- Die Beziehungen?
- Die Lebensqualität?
Für viele beginnt genau hier ein neuer Lebensabschnitt, nicht als Verlust, sondern als Gewinn.
Das Buch "Frauen und Alkohol" mit Prof. dr. Falk Kiefer


Take-Aways aus dem Gespräch mit Nathalie Stüben
- Menge ist nicht das Kriterium: Entscheidend ist, wie sehr Alkohol die Lebensqualität einschränkt.
- Frauen trinken funktionaler, oft um zu funktionieren, nicht um zu feiern.
- Scham verhindert den Ausstieg, vor allem bei Müttern.
- Nüchternheit ist kein Verzicht, sondern ein Gewinn an Klarheit, Selbstwirksamkeit und Lebensenergie.
- Ein erster Schritt kann alles verändern: 30 Tage ohne Alkohol können neue Perspektiven eröffnen.
- Alkohol ist ein Zellgift, auch in kleinen Mengen, besonders für Frauen.
- Gesellschaftlich enttabuisieren: Nüchtern leben sollte genauso normal sein wie vegetarisch essen.
Produktempfehlungen von sunday natural
Nathalie Stüben ist Journalistin, Podcasterin und SPIEGEL-Bestsellerautorin, die sich mit großer Offenheit dem Thema Alkoholfrei leben widmet. Nach Stationen bei renommierten Medien wie der Süddeutschen Zeitung und dem Bayerischen Rundfunk teilt sie heute ihre persönliche Geschichte, um andere zu inspirieren.
Mit ihrem Podcast „Ohne Alkohol mit Nathalie“ und den Programmen „Die ersten 30 Tage ohne Alkohol“ und „Abstinenz stabilisieren“ begleitet sie Menschen in ein Leben ohne Alkohol. Ihr Bestseller „Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens“ steht für ihre Mission, Abstinenz als Gewinn zu begreifen.
[Nathalie Stüben]
Es ist tatsächlich, irgendwann fühlt es sich sehr gut an, nicht mehr trinken zu müssen. Weil es sehr schön ist, seine Gefühle echt zu fühlen.
[Nils Behrens]
Herzlich Willkommen zu Healthwise, dem Gesundheitspodcast, präsentiert von Sunday Natural. Ich bin Nils Behrens und in diesem Podcast erkunden wir gemeinsam, was es bedeutet, gesund zu sein. Wir tauchen ein in Themen wie Medizin, Bewegung, Ernährung und emotionale Gesundheit.
Immer mit einem weisen Blick auf das, was uns wirklich gut tut. Alkohol ist in unserer Gesellschaft allgegenwärtig und oft mit Feiern, Entspannung und Stressbewältigung verbunden. Doch für viele wird aus dem gelegentlichen Glas ein ernstes Problem.
Insbesondere Frauen stehen dabei vor besonderen Herausforderungen, die sowohl gesundheitlicher als auch gesellschaftlicher Natur sind. Und genau darüber möchten wir heute sprechen. Nathalie Stüben ist eine Journalistin und Autorin, die sich intensiv mit dem Thema Alkoholabhängigkeit und Sucht auseinandersetzt.
Selbst ehemals alkoholabhängig hat sie es geschafft, nüchtern zu werden und setzt sich seitdem leidenschaftlich dafür ein, andere Frauen auf ihrem Weg aus der Sucht zu helfen. In ihrem Buch Frauen und Alkohol beleuchtet sie die besonderen Herausforderungen, denen Frauen bei Alkoholkonsum und Entzug begegnen und zeigt auf, wie ein Leben ohne Alkohol Freiheit und Selbstbestimmung bringen kann. Und deswegen sage ich herzlich Willkommen, Nathalie Stüben.
[Nathalie Stüben]
Hi, danke für die Einladung, Nils. Ich helfe auch Männern bei dem Weg raus. Aber die meisten von mir sind weiblich.
[Nils Behrens]
Ich weiß, aber es geht ja nun mal um dein neues Buch, was du da auch hast. Nathalie, bist du froh, dass deine Sonntage bei dir hangoverfrei sind?
[Nathalie Stüben]
Nicht nur die Sonntage. Ich denke das jeden Morgen, an dem ich aufwache, tatsächlich. Jetzt bin ich fast neun Jahre nüchtern und ich habe das immer noch, dass ich aufwache und denke, alles ist gut.
Mein Leben läuft. Ich habe keinen Kater. Ich muss mich nicht fragen, wo kommen diese Hämatome her?
Was habe ich gestern gemacht? Ich muss nicht gucken, wo ist mein Handy, wo ist mein Schlüssel, sondern ich lebe ein stabiles Leben und das liebe ich über alles. Nach wie vor.
Das wird wahrscheinlich nie sein Zauber verlieren.
[Nils Behrens]
Das hoffe ich doch sehr. Von daher steigen wir doch mal ein, wie wir auch alle in diesen wunderbaren Zustand kommen. Insbesondere die Frauen, worum es ja heute geht.
Du hast ja schon gesagt, die Männer können jetzt hier ruhig auch weiter zuhören. Ich glaube mit Sicherheit, da werden zumindest im vorderen Teil, was meine Fragen betrifft, dann noch einiges da drin sein.
[Nathalie Stüben]
Auch hinterher, weil wir natürlich auch im Vergleich lernen. Durch den Vergleich lernen wir ja immer auch. Also insofern, das ist auch für Männer interessant, total.
[Nils Behrens]
Ja, also bleibt dabei Männer, wenn ihr jetzt zuhört. Was war dein persönlicher Auslöser, das Buch über Frauen und Alkohol zu schreiben?
[Nathalie Stüben]
Ich wurde tatsächlich von Journalistinnen und Journalisten immer wieder gefragt, ja trinken Frauen denn anders und geraten die irgendwie anders ins Alkoholproblem und werden die anders nüchtern und so. Und ich hatte nur anekdotische Evidenz. Ich kannte halt die Geschichten durch meinen Podcast Ohne Alkohol mit Nathalie, durch den YouTube-Kanal oder eben durch mein 30-Tage-Programm oder das Folgeprogramm Abstinenz stabilisieren.
Da habe ich natürlich Einblick bekommen und dachte, ja, es gibt Unterschiede, aber irgendwie auch nicht so richtig. Und so pauschal kann ich es eigentlich nicht sagen. Das heißt, ich hatte keine griffige Antwort auf diese Frage.
Und das war so der Grund, warum ich schon wahrscheinlich unbewusst angefangen habe, mich mit diesem Thema anzufreunden. Und dann ist es ja generell so, dass nicht nur in der Suchtforschung und in der Versorgung und in der Selbsthilfe, Frauen eher so als Abklatsch von Männern behandelt wurden. Das ist ja ein generelles Thema in der Medizin.
[Nils Behrens]
Gendermedizin generell, ja.
[Nathalie Stüben]
Genau, in dem Bereich ist es eben auch so, ah, das funktioniert für Männer, gut, dann funktioniert das auch automatisch für Frauen. Und das ist halt oft nicht der Fall. Und dann kam diese Idee auf mich zu, mit Professor Falk Kiefer, der so einer der renommiertesten Experten im Bereich der Suchtmedizin und Suchtforschung ist, ein Buch zum Thema Frauen und Alkohol zu schreiben.
Und ich hatte zu der Zeit wahnsinnig viel zu tun und habe nach meiner Assistentin gesagt, ich gehe jetzt in diesen Call und bitte erinnere mich vorher dran, dass ich auf jeden Fall sage, dass ich das auf keinen Fall mache. Und kam raus und hat gesagt, ach, so ein Buch, das kriege ich schon noch rein. Weil das, wie das so ist mit Themen, die man unbedingt machen will, ne, dann denkst du dir plötzlich so, nee, das schaffe ich, dafür ist dann Zeit da.
Und ich muss auch ehrlich sagen, das hat mich total getragen, weil ich durch Schreiben lerne und es für mich kaum was Schöneres gibt als zu lernen. Also ich liebe das. Und dementsprechend war das tatsächlich auch echt die richtige Entscheidung.
Und jetzt habe ich eben auch eine Antwort auf diese Fragen.
[Nils Behrens]
Ich finde es total super und ich kann es total gut nachvollziehen. Ich habe ja auch das Vergnügen, dass ich ab und zu immer mal eine Kolumne schreiben darf für verschiedene Veröffentlichungen und bei mir geht es genauso. Also zu allem, wozu ich mal was geschrieben habe oder wozu ich mal einen Podcast aufnehmen durfte und mich da vorwiegend auseinandersetzen durfte, umso tiefer ist dieses Wissen natürlich auch drin.
Und ich finde
[Nathalie Stüben]
Wozu schreibst du denn Kolumnen?
[Nils Behrens]
Immer Longevity eigentlich. Das sind immer, wie wir idealerweise länger besser leben können. Und ich glaube, kein Alkohol trinken gehört auf jeden Fall auch dazu, würde ich behaupten.
Also von daher... Ich komme aber trotzdem nochmal zu meiner nächsten Frage. Im Vorwort sprichst du über die Frage, ab wann hat man ein Problem mit Alkohol?
Und was ist für dich die wichtigste Erkenntnis zu dieser Frage?
[Nathalie Stüben]
Dass die Menge bei der Beantwortung dieser Frage eine total unwichtige Rolle spielt. Und ist nicht total außer Acht zu lassen. Aber wie viel jemand trinkt, ist mit der unwichtigste Faktor bei der Beantwortung der Frage, ob er ein Alkoholproblem hat.
[Nils Behrens]
Krass! Das ist ja echt eine Überraschung.
[Nathalie Stüben]
Was ist denn die Problemfrage? Da gibt es verschiedene Ebenen, auf denen man das beantworten kann. Aber ich glaube, so diese zentrale Ebene ist, wie sehr pfuscht er dir ins Leben?
Wie krass reißt er deine Lebensqualität runter? Und da gibt es eben so ganz verschiedene Anzeichen, die Menschen oft auch gar nicht mit Alkohol in Verbindung bringen. Zum Beispiel dieses sich megamäßig gestresst fühlen und dann abends scheinbar Ruhe finden durch das Glas Wein, um runterzukommen.
Das ist zum Beispiel so etwas, da ist es ein bisschen versteckter, dass er eigentlich deine Lebensqualität runterreißt. Weil Alkohol den Körper massiv stresst, schon moderate Mengen sorgen dafür, dass wir uns deutlich gestresster fühlen. Und das wäre dann zum Beispiel so eine Antwort, er zieht deine Lebensqualität runter.
In dem Fall ist es aber nicht so offensichtlich. Manchmal ist es natürlich offensichtlicher, wie bei mir zum Beispiel. Ich bin halt immer wieder so abgestürzt und sobald ich angefangen habe zu trinken, konnte ich nicht aufhören, zumindest die meiste Zeit der Fälle.
Da war das ziemlich offensichtlich, dass Alkohol meine Lebensqualität runtergezogen hat. Aber er wirkt halt auf so vielen Ebenen. Und ja, ich denke, das ist so der entscheidende Faktor.
Aber wir haben uns im Buch diese verschiedenen Ebenen eben genau angeschaut, haben geguckt. Okay, was bedeutet das denn auf körperlicher Ebene, rein medizinisch betrachtet? Was bedeutet das auf psychischer Ebene?
Was bedeutet es auf sozialer Ebene, ein Alkoholproblem zu bekommen? Und woran erkenne ich das eigentlich?
[Nils Behrens]
Ja, also das Thema Schlaf kann ich nur unterstreichen. Also ich track ja relativ viel und bei mir ist es tatsächlich auch so. Also es reicht ein Glas Alkohol in irgendeiner Form, die es schon schlechter machen.
Und ich hatte gestern Abend lustigerweise so einen wirklich wahnsinnig netten Abend und habe vier alkoholfreie Bier getrunken. Und das war kein 0,0, sondern eine 0,5 alkoholfreie Bier, wo ich am Ende dachte, wow, jetzt hast du eigentlich schon fast einen Alzer getrunken. Und tatsächlich, meine Schlafqualität war letzte Nacht auch nicht so gut.
Ich hoffe, man hört es nicht so sehr. Aber nichtsdestotrotz, also man merkt dann schon, dass auch jede Minimenge Alkohol einfach nicht gut ist. Aber ich möchte trotzdem mal jetzt wirklich auf diesen Gender-Unterschied nochmal reingehen.
Was in deiner Recherche hat dich denn am meisten überrascht, wenn es um den Unterschied im Alkoholkonsum zwischen Frauen und Männern geht?
[Nathalie Stüben]
Ja, also wo ich total froh war, endlich mal eine Antwort zu haben, war so dieses Trinken Frauen denn aus anderen Gründen. Weil das war zum Beispiel so eine Frage, wo ich dachte, ja, aber irgendwie auch nicht. Und da haben wir im Buch eine Abbildung zu, die zeigt, dass Männer am häufigsten trinken, um gesellig zu sein.
Also um praktisch mit anderen in Kontakt zu treten. Das sind jetzt alles statistische Werte. Das ist nichts Absolutes.
Nicht Männer trinken, weil und Frauen trinken, weil. Aber wenn wir uns halt so die Gesamtbevölkerung angucken, dann zeigen sich halt Unterschiede zwischen den Geschlechtern. Männer trinken am häufigsten, um in Kontakt zu treten, um gesellig zu sein.
So, das machen Frauen auch. Aber Frauen trinken viel häufiger als Männer eben auch, um Stress zu lindern, um depressive Symptome zu lindern, um Ängste zu betäuben. Und bei dem Stress, und das wird im Buch eben auf verschiedenen Ebenen deutlich, das kann sowas sein, wie ich habe halt einen Vollzeitjob und muss noch Fürsorgearbeit leisten.
Entweder für kleine Kinder oder für meine Eltern oder irgendwelche anderen Verwandten, weil meistens bleibt das eben noch an den Frauen hängen. Die haben dann praktisch noch einen Vollzeitjob obendrauf. Oder Stress, weil ich meine, einem Schönheitsideal entsprechen zu müssen.
Oder Stress, weil ich irgendwie das Gefühl habe, dieses Leben, das ich lebe, ist ziemlich bequem für andere, aber passt vielleicht gar nicht so gut zu mir. Also ich interpretiere diese Daten so, dass Frauen viel häufiger trinken, um zu funktionieren. Und ganz oft eben, um für andere zu funktionieren.
Und das ist eben das Interessante, es passt nämlich dann auch total gut zu den Gründen, aus denen Menschen abstinent werden. Also alle, egal ob Mann oder Frau oder divers, haben als oberstes Ziel, ich möchte wieder Herr im eigenen Kopf sein, sozusagen. Ich möchte diese Fremdbestimmung loswerden.
Ich möchte selbstbestimmt leben. Ich möchte gute Lösungen für meine Probleme finden und nicht mehr diese Scheinlösung Alkohol. Und dann zeigen sich aber wieder Unterschiede.
Und bei Männern spielt zum Beispiel danach viel häufiger der Wunsch, die Rolle in einer intakten Familie zu leben oder in einer intakten Partnerschaft zu leben, also sich zu binden. Bei Frauen steht aber an zweiter Stelle zum einen dieses, ich will mich nicht mehr so schämen. Ich will mich nicht mehr so schuldig fühlen, weil Frauen ja oft den Grund für ihre Probleme in sich selbst sehen.
Und aber auch, steht auch an zweiter Stelle, und das finde ich halt so bezeichnend, der Wunsch danach, sich zu verwirklichen und Sinn zu finden und Selbstwert zu stärken und überhaupt mal herauszufinden, wer bin ich eigentlich? Und wofür will ich eigentlich stehen? Was ist mir im Leben eigentlich wichtig?
Und damit konnte ich mich zum Beispiel total identifizieren, weil das war zwar nicht mein erstes Ziel, als ich aufgehört habe zu trinken, aber das hat sich sehr schnell als so mein Nordstern herausgestellt, dass ich gemerkt habe, okay, alles das oder sehr vieles von dem, was ich dachte, dass ich bin, bin ich offensichtlich nicht. Partygirl, Jetsetterin oder so war ich offensichtlich alles nicht, habe ich gemerkt, als ich nicht dann geworden bin. Aber dann stellte sich eben die Frage, wer bin ich denn?
Wofür will ich denn stehen? Was ist mir denn wichtig? Und das herauszufinden war absolut mein Ziel und scheint eben für viele Frauen auch ein Ziel zu sein, das sie trägt und das sie verfolgen wollen.
Und ich finde, das ist ein sehr, sehr schönes Ziel.
[Nils Behrens]
Das ist ein Megaziel und ich finde das sehr interessant, die Aufbereitung, wie ihr es im Buch gemacht habt. Du beschreibst fünf Frauen aus fünf Generationen und jede von denen hat ja wirklich eine sehr einzigartige Geschichte. Was hat dich aber dazu inspiriert, quasi sozusagen das Ganze nochmal aus einer Generationsperspektive dann auch anzugehen?
[Nathalie Stüben]
Das war eine Idee von einer meiner Mitarbeiterinnen, von Rosa Muscheit, das eben auf diese Art und Weise anzugehen. Eigentlich war das ein stilistisches Experiment. Also wir kombinieren da Romanelemente mit populärwissenschaftlichen Texten.
Und ich habe das gehört und dachte sofort, geil, lass uns das auf jeden Fall machen, weil das halt ermöglicht, Falks und meine Erfahrungen so zu verdichten und eben so schön zu transportieren, dass wir möglichst viel abdecken können an, ich sag mal, Lebensgeschichten. So was kriegst du ja gar nicht gecastet, sag ich mal, oder recherchiert. Und ich meine, da kam eben auch noch eine persönliche Komponente hinzu.
Ich hatte auch so Bock, so Romanelemente zu schreiben. Also das war dann tatsächlich auch etwas, woran ich richtig, richtig Spaß hatte. Und wir haben dann ein Probekapitel zusammengeschrieben und hatten das dann hinterher fertig, in Anführungsstrichen, und dachten, alles klar, das funktioniert Bombe, das machen wir.
Das funktioniert halt so gut, weil wenn du jetzt nur so diese populärwissenschaftlichen Texte hast, dann kommt das halt auf den Verstand an oder dann kommt das im Verstand an. Aber das Schöne an Geschichten ist ja immer, dass dann auch diese emotionale Spur bedient wird und dass das halt ermöglicht, Dinge wirklich zu begreifen, wirklich zu verstehen, was es bedeutet, ein Alkoholproblem zu bekommen und tatsächlich auch dann auch, was es bedeutet ist, zu lösen.
[Nils Behrens]
Ja, und ich finde, man kann sich ja mit diesen verschiedenen Charakteren auch wirklich sehr gut relaten. Also diese Situation auch mit so ein bisschen Toxismanaging, männlichen Konferenzsituationen, die du da so beschreibst, als Beispiel. Das sind natürlich alles so Dinge, wo ich glaube, sehr viele Frauen auch dann wirklich sich auch wiedererkennen könnten oder zumindest jemanden kennen, der sowas schon mal passiert ist.
Also von daher finde ich das sehr, sehr gut.
[Nathalie Stüben]
Ja, und das hat halt auch Spaß gemacht zu recherchieren. Also für diese, wie diese Männer da auftauchen, da habe ich halt einen ehemaligen Vorstand von einem DAX-Konzern interviewt und so, bei dem ich mal ein Führungscoaching gemacht habe. Und das war natürlich geil.
Und eben für diese Frau, die in einer hohen Führungsposition ist und immer wieder erlebt, egal was ich mache, ich starte immer ein bisschen weiter unten als meine männlichen Kollegen, habe ich halt Frauen in hohen Führungspositionen interviewt. Und das ist, das macht dann eben total Spaß, das mit dem Wissen zu kombinieren, was ich eben über eine Entstehung von Alkoholproblemen habe. Also das hat echt, das hat richtig, richtig Spaß gemacht.
[Nils Behrens]
Trotzdem ist ja hinter der Idee ja auch ein größerer Gedanke, weil du sagst ja, dass die Generation, in der wir aufwachsen, auch unser Trinkverhalten prägen. Und hast du das selbst für dich auch so erlebt?
[Nathalie Stüben]
Ja, ich habe das erlebt. Also bei mir war, ich bin Generation Y, ich bin wert jetzt 40, also so klassische Millennial-Frau. Und bei uns war das so, dass Trinken cool war.
Und wer nicht getrunken hat, der war eigentlich uncool. Also dieses sich Abschießen, auch durchaus bis zum Blackout, das war total witzig. Da hat sich nie jemand Gedanken drüber gemacht, dass das vielleicht auch schwierig sein könnte.
Und das war zum Beispiel in der Generation meiner Eltern überhaupt nicht so. Also die, bei denen war das eher so dieses kultivierte Glas zum Essen und sich völlig aus dem Leben zu schießen, da hat man schon eher so die Nase gerümpft. In der Generation meiner Oma war das total verpönt.
Und wenn wir uns jetzt so die Generation Z angucken, also die Generation nach mir, das finde ich eigentlich total interessant, weil es ja immer heißt, die trinken weniger. Das stimmt aber so nicht, weil sich der Konsum da stärker ausdifferenziert. Das heißt, du hast immer mehr junge Leute, die sehr, sehr wenig oder gar nicht trinken, die zu so einem sehr vernünftigen Pool tendieren.
Und dann hast du aber eben auch so circa ein Drittel, die sich einfach regelmäßig aus dem Leben schießen, die sich so richtig wegballern, die voll auf Eskapismus setzen. Und da hat sich bei den problematischen Trinkmustern, hat sich das bei Männern und Frauen mittlerweile angeglichen. Und das ist echt krass, weil da sehen wir in diesen älteren Generationen immer noch, dass Männer viel häufiger ein problematisches Trinkverhalten an den Tag gelegt haben als Frauen.
Deswegen sind auch viel mehr Männer aktuell noch abhängig als Frauen. Aber das wird sich ändern, weil in der Generation Z bestehen diese Unterschiede nicht mehr. Und eigentlich ist es sogar noch viel krasser, dass so viele Frauen der Generation Z so viel trinken, weil die Folgen, die Alkoholkonsum für Frauenkörper hat, einfach so viel heftiger sind, als sie das auf Männer haben.
[Nils Behrens]
Ja, wir haben schon mal eine Folge zum Thema Alkohol aufgenommen mit dem Baskas, der sich ja mal sehr tief mit der Studienlage auseinandersetzt. Ich fand das so interessant bei einer Flasche Wein. Wenn ein Mann eine Flasche Wein trinkt, dann hat sie ungefähr einen Äquivalenz vom Krebsrisikoerhöhung von 5 Zigaretten.
Und er sagte, bei einer Flasche bei einer Frau hat die selbe Flasche dann 10 Zigaretten. Also einfach das Doppelte. Und das sind natürlich schon echt einfach krasse Zahlen, muss man so sagen.
Was sind denn deiner Meinung nach die größten Mythen oder Missverständnisse über Frauen und Alkohol?
[Nathalie Stüben]
Ich überlege gerade, ob ich das so geschlechtsspezifisch beantworten kann. Ich glaube, dass man bei Frauen noch viel häufiger denkt, wenn die ein Problem kriegen, dann steckt da irgendwie ein Kindheitstrauma hinter oder so. Bei Männern denkt man das tatsächlich nicht so oft.
Da denkt man eher so, ja, die haben es krachen lassen. Das ist aber etwas, das mir generell in meiner Arbeit super wichtig ist, einfach darauf hinzuweisen, in ein Alkoholproblem zu rutschen oder eben auch eine Abhängigkeit zu entwickeln. Da spielen so unfassbar viele Faktoren mit rein.
Es ist nie nur eine Sache, die das praktisch ausgelöst hat. Und ja, bei Menschen, die Vernachlässigung erlitten haben oder traumatische Kindheiten, sexuelle Übergriffe, Gewalterfahrungen und so weiter, die sind schon überrepräsentiert bei Menschen mit Alkoholabhängigkeit. Aber es gibt halt auch unfassbar viele, die über Gewohnheit reinrutschen, die über Genuss reinrutschen, die über dieses sehr normalisierte Na ja, wenn wir feiern, dann trinken wir halt, da reinrutschen.
Und das war bei mir zum Beispiel auch so. Ich bin in einem sehr stabilen, liebevollen Elternhaus groß geworden mit sehr vielen Möglichkeiten. Und ich bin dann aber eben in so eine Peergroup geraten, in der es total cool war, zu trinken.
Und wie gesagt, von diesen Peergroups gab es in der Generation Y sehr, sehr viele. Und dann hat mir das auch gefallen. Ich war so das Mädchen aus gutem Hause, das viele unter den Tisch trinken konnte.
Da sind wir schon beim nächsten Risikofaktor. Wenn du nämlich viel verträgst, ist ein riesen Risikofaktor, weil du nämlich in so einer Umgebung wie Deutschland, wenn du viel verträgst, eben auch oft viel trinkst. Und so setzt sich das so nach und nach zusammen, dass du, wenn du dann eben Pech hast, in Abhängigkeit geraten kannst.
Aber ich schreibe zum Beispiel in meinem ersten Buch Ohne Alkohol die beste Entscheidung meines Lebens. Sucht diskriminiert nicht. Wer Alkohol trinkt, der geht das Risiko ein, einen Schaden davon zu tragen.
Und Schaden heißt nicht zwangsläufig Abhängigkeit. Das kann auch Krebs bedeuten oder schlechte Haut oder Magengeschwüre oder ich weiß nicht was. Aber Abhängigkeit ist eben auch eine Konsequenz, die sich aus diesem Alkoholkonsum ergeben kann.
Schneller als wir denken.
[Nils Behrens]
Wollen wir vielleicht da mal tiefer reingehen? Ich habe zwar eben schon die Weinflasche so ein bisschen erwähnt, aber trotz allem, also in dem Buch ist es ja wirklich so, dass auch dieses Thema, die weibliche Gesundheit und Alkohol, das nimmt ja einen relativ großen Raum ein. Und welche gesundheitlichen Folgen von Alkoholkonsum jetzt neben der Abhängigkeit, wird denn deiner Meinung nach oft übersehen?
[Nathalie Stüben]
Also zunächst mal ist Alkohol ein Zellgift und ist für jeden Körper toxisch. Und für Frauenkörper ist er einfach nochmal giftiger als für Männerkörper, weil Frauen Alkohol langsamer abbauen und weil sie im Vergleich zu Männern weniger Wasser und mehr Fett im Körper haben. Das heißt, wenn Frauen trinken, ist er im Vergleich zu Männern höher konzentriert und auch länger im Körper.
Und eine negative Folge neben Abhängigkeit ist zum Beispiel sowas wie nachlassende Motivation oder Konzentration. Es ist auch sowas, was so ein bisschen eher blurry daherkommt, dass man so weniger Freude hat an alten Hobbys oder wichtigen Beziehungen, dass wir mehr Stress empfinden, dass wir schlechter schlafen, dass wir gereizter sind, emotional deutlich instabiler, dass wir depressive Verstimmungen bekommen, tatsächlich bis hin zu Depressionen, Angststörungen, Hautalterungen, Pickel, brüchige Nägel, Bluthochdruck, Demenz, Diabetes, Schlaganfälle und eben alle möglichen Krebsarten.
Und das ist so krass, das mit dem Krebs wusste ich zum Beispiel lange nicht. Ich auch nicht. Beim Rauchen wissen das alle, beim Alkohol ist das ähnlich lange bekannt, weil es wissen erschreckend wenige.
Und was mir aber vor allem eben auch lange nicht klar war, sind so diese krassen psychischen Auswirkungen. Also wie stark der die Stimmung runterzieht, wie traurig der macht, wie ängstlich der macht, wie unsicher der macht. Das war, ich habe in meinen 20ern irgendwann gedacht, na ja gut, ich bin halt so ein bisschen unsicher und ich trage so Weltschmerz in mir.
Und irgendwie fand ich es ein bisschen komisch, dass ich plötzlich so ängstlich war, weißt du, wenn das Telefon geklingelt hat, mich so voll zusammengezuckt und dachte Gott, wer ruft denn da jetzt an und sowas. Und als ich aufgehört habe zu trinken, ist mir da bewusst geworden, dass das der Alkohol war. Und ich habe halt lange gedacht, ja okay, wenn ich trinke, kann ich abhängig werden und vielleicht irgendwie auch Leberzirrhose bekommen.
Aber mehr wusste ich nicht.
[Nils Behrens]
Ja, ich finde auch, also man hat so irgendwie so dieses Gefühl, dass man, wenn man irgendwie, ich sage jetzt mal so, diesen Hangover dann hat, also ich bin in der glücklichen genetischen Verfassung, dass ich sowas gar nicht habe, aber dass grundsätzlich, wenn man dann ein, zwei Tage braucht und dann sich wieder hergestellt fühlt, dass man denkt, damit ist dann auch alles wieder okay. Und das ist es halt nicht. Und das ist eben halt genau das, was du sagst, dieses Zellgift, dass das eben etwas ist, was dann eben halt auch nachhaltige Schäden dann auch tatsächlich dann auch für den Körper bedeutet.
Und gerade, was du sagst, dieses Trinkfeste ist natürlich nochmal so ein nächster Faktor. Also ich bin im Vorort von Hamburg groß geworden und ehrlich gesagt, die Landjugend, die hat zu Recht ihren Ruf, da auch wirklich viel Alkohol zu trinken. Und von daher ist es tatsächlich so, dass du, wenn man sich das dann wirklich überlegt, in der Summe, wie viel Gift dann so ein Körper dann irgendwie auch teilweise nur an einem Tag aufnehmen kann, dass, glaube ich, wenn man das in irgendeiner Weise mal visualisieren würde, würde, glaube ich, kein Mensch mehr trinken.
[Nathalie Stüben]
Das ist halt echt vor allem auch erstaunlich, weil bereits eben diese moderaten Mengen, die wir also als harmlos abgestuft haben, so das kleine Glas Wein am Abend, dass das schon dazu führt, da gab es eine sehr, sehr stark beachtete Studie in Nature, also einem der Magazine, der wissenschaftlichen Fachmagazine, die haben Hirnscans von 30.000 Briten untersucht. Und da hat sich eben gezeigt, dass bereits Moderatorkonsum tatsächlich dazu führt, dass dein Hirn schrumpft, dass der präfrontale Kortex schrumpft. Und das ist echt so krass, weil da geht es dann schon um solche Dinge, ich bin viel impulsiver, als ich eigentlich wäre.
Also ich fahre schneller aus der Haut oder ich esse mehr, als ich eigentlich essen will oder ich mache schneller aus Mücken, Elefanten und ich kann mich weniger konzentrieren. Ich bin nicht mehr so gut dazu in der Lage abzuwägen, zu planen. Also das geht dann halt auch wirklich auf Kompetenzen, die sehr, sehr praktisch sind zum Leben.
Und das wirkt aber so schleichend und so unterschwellig, dass wir das nicht so richtig bemerken. Also da kommt dann vielleicht eben so ein Gedanke wie, oh krass, irgendwie konnte ich mir Dinge mal besser merken. Oder irgendwie war ich mal entspannter oder ausgeglichener.
Oder irgendwie war mir das mal wichtiger, mit Freundinnen wandern zu gehen und so was. Oder wenn sich Leute gar nicht mehr vorstellen können, essen zu gehen, ohne Alkohol zu trinken und so. Dann übernimmt Alkohol nach und nach so eine Stellung und präsentiert sich als so wahnsinnig wichtig für ein gelungenes Leben.
Und das ist aber eigentlich halt Folge eines veränderten Hirnstoffwechsels, aber eben auch tatsächlich einer veränderten Hirnstruktur. Und das ist so gruselig. Und ich glaube, wenn das so langsam mal in den Köpfen landet, dann könnte sich tatsächlich was verändern und für viele ihre Lebensqualität halt auch verbessern.
[Nils Behrens]
Aber da sprichst du einen ganz interessanten Punkt an. Und ich weiß gar nicht, ob man denen diese Frage jetzt tatsächlich so genderspezifisch stellen muss, aber ich tue es einfach mal, weil wir ja über Frauen reden. Warum ist es für Frauen schwieriger, Alarmsignale und Augenöffner zu erkennen, wenn es um das Thema Alkohol geht?
[Nathalie Stüben]
Ich glaube, also da denke ich vor allem so an die Mütter in meinem Programm. Ich glaube, dass du als Frau und vor allem als Mutter da eher noch diese Schamkomponente mitspielen hast. Also ich habe mich zum Beispiel total geschämt, aber ich merke zum Beispiel auch an den Müttern in meinem 30-Tage-Programm, dass da auch immer so die Sorge mitschwingt, wenn ich jetzt sage, ich habe da irgendwie ein Problem entwickelt, dass da sofort irgendwie der unausgesprochene Vorwurf im Raum steht, aha, und du hast dich nicht gut um deine Kinder gekümmert und du bist eine Rabenmutter.
Und sich das einzugestehen, also überhaupt sich ein Alkoholproblem einzugestehen, ist schon richtig, richtig badass. Aber sich das dann auch noch einzugestehen, wenn man Kinder zu versorgen hat, ist nochmal eine ganz andere Nummer. Also ich glaube oder ich bin mir sicher, für Frauen sind Scham und diese sogenannte Selbststigmatisierung, also sich selbst dafür verachten und die Schuld geben, dieses Problem entwickelt zu haben, sind einfach nochmal stärker ausgeprägt und haben wir tatsächlich noch eine größere Hürde zu überwinden.
[Nils Behrens]
Ja, kann ich sehr gut nachvollziehen. Ich meine, das ist ja ein generelles Problem von Frauen, insbesondere die Mütter sind, dass sie auch immer sehr vielen Rollen gerecht werden müssen. Es gibt dann häufig die Mutterrolle, es gibt die Partnerrolle, es gibt dann häufig auch nochmal die Berufsrolle.
Und von daher sind das natürlich auch immer viele Teller, die dann gleichzeitig in der Luft bleiben müssen. Und dann glaube ich, kann ich mir sehr gut vorstellen, dass wenn dann auch nochmal so ein Fragezeichen, wie machst du das denn mit dem Thema Alkohol, dann noch da reinkommt, dass das relativ schwierig ist. Du schreibst in deinem Buch über den Teleskopeffekt, dass Frauen schneller und intensiver unter den Folgen von Alkohol leiden.
Wie sieht das denn aus? Magst du das mal vielleicht für unsere Hörer:innen erklären jetzt?
[Nathalie Stüben]
Das ist genau das, was ich eben angesprochen habe. Durch diese andere körperliche Konstitution erleiden Frauen diese psychischen und körperlichen Folgen heftiger und schneller. Und das ist eben das, was in der Fachsprache Teleskopeffekt genannt wird.
[Nils Behrens]
Okay, gut. Und was meinst du, wie können Frauen diesen Kreislauf durchbrechen?
[Nathalie Stüben]
Meiner Meinung nach hilft es total, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen auf eine positive Art. Also es gibt ja mittlerweile eine deutsche Nüchternheitsbewegung, die angefangen hat, anders über dieses Thema zu sprechen. Also ich habe da als Erste vor fünf Jahren mit angefangen, indem ich zum Beispiel auch in Deutschland gesagt habe, du, wenn du aufhörst zu trinken und du hattest ein Problem, du musst dich nicht Alkoholikerin nennen.
Musst du nicht. Du musst auch nicht erst am Boden liegen, um mit dem Trinken aufhören zu können. Du darfst das tatsächlich jederzeit.
Und selbst wenn du am Boden gelegen hast, du kannst dieser Sucht entwachsen. Du bist nicht ein Leben lang krank. Du musst auch nicht ein Leben lang fürchten, irgendwie rückfällig zu werden oder abgestempelt zu werden oder ein langweiliges Leben zu führen.
Es ist tatsächlich, irgendwann fühlt es sich sehr gut an, nicht mehr trinken zu müssen. Weil es sehr schön ist, seine Gefühle echt zu fühlen und intensiv zu fühlen und diese Gefühle als Kompass dafür zu nutzen, wo will ich denn eigentlich hin? Oder Spaß zu haben, der so echt ist.
Also ich erinnere mich zum Beispiel an meinen ersten nüchternen Lachkrampf, wo ich echt dachte, oh mein Gott, das ist so viel geiler als alles, was mir Drogen je hätten geben können.
[Nils Behrens]
Wir hatten eben gerade auch Schneider, aber den haben wir leider rausgeschnitten.
[Nathalie Stüben]
Und das ist halt so geil, weil echte menschliche Verbindung, die ist halt so befriedigend. Und das Gemeine ist, wenn Leute jetzt zum Beispiel sagen, ich höre mal 30 Tage auf zu trinken. Sehr, sehr vieles verbessert sich schon, aber das Allerschönste ist eigentlich, wenn du merkst, dass sich so ein Hirnstoffwechsel wieder regeneriert und dass so diese natürlichen Dopaminkicks wieder richtig zünden, wie richtig gutes Essen, richtig guter Sport, Rittenlachkrampf oder die Verbindung zu deinen Kindern oder zu Menschen, die du liebst.
Und da möchte ich immer so für plädieren. Du hast so viel zu gewinnen, schlussendlich gewinnst du dich zurück. Und das ist einfach unwahrscheinlich schön.
[Nils Behrens]
Ja, total, total, weil man letztendlich ja eine Art von Benebelung dann irgendwie auch so ein Stück weit hat. Und ich glaube tatsächlich, wenn man dieser Nebel dann komplett einfach mal irgendwann weg ist, dass das dann eben halt genau das ist, was du beschreibst. Du sagst, du beschreibst in deinem Buch unter anderem auch den späten Einstieg in die Abhängigkeit.
Was hat es denn damit auf sich?
[Nathalie Stüben]
Ja, das ist ganz interessant, dass das bei Frauen häufiger der Fall ist als bei Männern. Also wenn Männer Probleme mit Alkohol entwickeln, dann ist das statistisch betrachtet vor dem 25. Lebensjahr.
Und bei Frauen ist es häufiger so, dass sie danach eben auch noch Alkoholprobleme entwickeln. Also tatsächlich teilweise auch noch im Rentenalter. Und das finde ich insofern eben so wichtig zu wissen, als wir im Kopf immer so haben, nee, ich bin ja nur eine moderate Trinkerin, ich hatte nie Probleme mit Alkohol.
Ja, das kann sein, aber das kann sich halt auch entwickeln. Und wir müssen raus aus diesem Schubladen denken, das sind so die, die Probleme mit Alkohol haben und ich gehöre zu dieser anderen Seite, weil Sucht etwas ist, das sich entwickelt oder Alkoholprobleme etwas sind, das sich entwickelt. Wie jede andere psychische Erkrankung auch bewegt sich Abhängigkeit auf einem Spektrum.
Und dass du heute hier bist, heißt halt nicht unbedingt, dass du für immer in einem vermeintlich unproblematischen Bereich bleibst. Denn solange du trinkst, besteht halt die Möglichkeit, dass sich das in eine Richtung entwickelt, die du nicht so gerne hättest.
[Nils Behrens]
Mich würde mal interessieren, ich habe tatsächlich im Rahmen von verschiedenen Führungspositionen, die ich schon eingenommen habe, auch mal ein Training bekommen für den Umgang mit Alkoholikern im Team, also bei der Arbeit. Also erstens die Früherkennung und zweitens eben halt auch den Umgang damit. Und da war es dann auch so, dass man sagt, wenn ein gewisser Status da erreicht ist, also ich hatte auch tatsächlich eine Alkoholikerin bei mir im Team, und wenn da so ein gewisser Status erreicht ist, dann muss man die einfach auch so mit einer gewissen Härte behandeln.
Das ist aber sehr oldschool. Ja, ich will jetzt ja auch gerade das mal mit dir reflektieren. Und ich hatte jetzt gerade so einen persönlichen Downer, weil ich hatte auch eine Freundin, die eben halt Alkoholikerin war und wo ich dann irgendwann auch für mich merkte, so Mensch, wenn die mich nach 14 Uhren rief, dann bin ich gar nicht mehr rangegangen, weil ich wusste, dieses Gespräch wird eh nicht mehr gut.
Und habe dann irgendwann auch tatsächlich den Kontakt abgebrochen, weil ich einfach ihr sagte, dass ich so weiter mit ihr nichts mehr anfangen kann. Und bewusst eben halt so ein bisschen eher diese Abwendung sozusagen, um mir deutlich zu machen, dass es so nicht weitergeht. Und jetzt habe ich gerade ihre Schwester getroffen, und die sagte, das war jetzt gerade Weihnachten, und die sagte, sie glaubt nicht, dass ihre Schwester das nächste Weihnachten noch erlebt, weil sie eben halt nicht aufgehört hat zu trinken.
Da habe ich mich dann auch nochmal zusätzlich schlecht gefühlt, wo ich dachte so, war die Entscheidung eigentlich richtig, diese Abkehr? Und da komme ich jetzt tatsächlich lang ausgeholt zu dieser Frage. Inwieweit, was würdest du raten, inwieweit können Freundschaften, Beziehungen sozusagen helfen, quasi in so einer Situation den Menschen wieder auf den richtigen Weg zu bringen?
[Nathalie Stüben]
Also zunächst mal mein Mitgefühl für dich und auch für deine Freundin. Das hat zwei Seiten. Ich halte es für sehr wichtig, dass Menschen, die unter dem Konsum eines anderen Menschen leiden, Grenzen setzen und sich schützen.
Und eben auch sagen, dieses Verhalten kann ich jetzt nicht mehr tolerieren, ich kann damit nicht mehr umgehen, so. Aber das zu kombinieren mit, man muss mit den Leuten richtig hart umgehen, das ist halt ein Trugschluss. Also in meinem Programm beispielsweise begrüße ich die Menschen mit, weil ich der Meinung bin, dass ganz, ganz viel Liebe da rein muss und Empathie da rein muss.
Ich weiß allerdings auch, dass es nicht einfach ist, mit Menschen umzugehen, die ein Thema damit entwickelt haben. Was wir raten im Buch, ist zum einen so eine Augenhöhe herzustellen durch sogenannte Ich-Botschaften. Also nicht zu sagen, du hast das nicht mehr im Griff, du musst aufhören zu trinken, du bist anstrengend, du fährst gerade dein Leben vor die Wand.
Weil das einfach klingt wie ein Angriff und weil das nie dazu führt, dass Leute sagen, ach so, ja okay, dann höre ich jetzt auf zu trinken. Augenhöhe durch Ich-Botschaften klingt nach, ich mache mir Sorgen, ich gehe nicht mehr ins Telefon, wenn du nach 14 Uhr anrufst, weil ich dich kaum noch verstehe und ich möchte, dass du weißt, wenn du das ändern möchtest, dann feiere ich dich und stehe hinter dir und gucke, dass ich dich da unterstütze. Das ist keine Garantie dafür, dass Leute sagen, okay, dann mache ich das, aber das kann so einen Samen säen.
Und wozu wir noch raten ist, den Leuten Links zu schicken zu Podcasts wie meinem, oder da gibt es mittlerweile so viele gute, Soda Club zum Beispiel ist auch ein sauguter Podcast zu dem Thema, oder zu meinem YouTube-Kanal, oder zu irgendwelchen, oder zu meinem Buch, oder zu irgendwelchen Inhalten, die zeigen, es kann besser werden und schreiben, hey, guck mal, das habe ich mir gerade angehört, das ist interessant, vielleicht interessiert dich das auch. Das hat den Vorteil, dass das noch ein bisschen niedrigschwelliger ist und dass vielleicht, vielleicht, weil jeder Mensch mit Alkoholproblemen hat diese Zeitfenster, in denen er denkt, okay, ich will was ändern, ich kann das nicht mehr, das ist so schrecklich, ich will nicht mehr trinken, ich will irgendwie was verändern und dann könnte es halt sein, dass er oder sie auf so einen Link klickt und dann vielleicht die Hand nimmt, die ihm da gereicht wird. Aber, wie gesagt, das ist alles ohne Garantie, aber das sind so Maßnahmen, die Leute noch am ehesten erreichen können.
Aber du trägst da keine Schuld dran.
[Nils Behrens]
Die Schuld würde ich mir selbst auch nicht unbedingt jetzt geben wollen. Ich finde nur einfach den grundsätzlichen Punkt, dieser Punkt der Abkehr, sage ich mal so was, also ich glaube, dass alles, was du erzählt hast von der Kommunikation, habe ich, glaube ich, auch soweit klar und transparent gemacht, aber dieser Punkt der Abkehr und dann zu wissen, dass es zumindest damit kein Signal gesetzt wurde, dass irgendwie etwas Positives bewegt hat, ist schon etwas, was schade ist.
[Nathalie Stüben]
Ja, was da auch noch helfen kann, ist tatsächlich, also wenn man jetzt, wenn man sich Hilfe suchen möchte, man kann auch als Angehöriger zu einer Suchtberatungsstelle gehen und sich da beraten lassen. Und man kann tatsächlich auch eben in so Angehörigen-Selbsthilfe-Gruppen gehen. Wenn jetzt zum Beispiel jemand trinkt, mit dem man vielleicht verheiratet ist oder eine sehr, sehr enge Freundin oder ein Kind oder so, das hilft auch total, das hilft total dabei, eben auch selbst diesen Schmerz zu bewältigen, den man ja hat, wenn man sieht, da entgleitet mir jemand total, da verschwindet jemand regelrecht.
Das ist ja so schmerzhaft. Also das sind auch noch Angebote, um sich praktisch selbst zu stärken, weil das ist, das stelle ich mir wahnsinnig schwer vor, in so eine Situation zu geraten, zu sehen, ja, da entgleitet mir jemand.
[Nils Behrens]
Ja, der Partner, der dazu der Freundin gehört, der ist, glaube ich, auch keine Säule. Aber ich will jetzt gar nicht mehr von diesem Privatthema so ein bisschen nachkommen und habe das nur als Beispiel mal so reingebracht, weil ich es wirklich interessant finde, weil ich glaube tatsächlich, dass einige Menschen, die das jetzt hier hören, wahrscheinlich auch vielleicht Leute in ihrem Umfeld haben, wo sie das Gefühl haben, dass es einfach zu viel ist. Und ich glaube tatsächlich, das, was du jetzt als Rat mitgegeben hast, auch wirklich gut ist, dass man es wirklich auch so offen anspricht und versucht eben halt tatsächlich da eine Art von Hilfe reinzugeben.
Was würdest du denn aber grundsätzlich sagen, sind deiner Meinung nach die ersten Schritte, um aus einem Alkoholproblem herauszukommen? Weil vielleicht der eine oder andere, der jetzt zuhört, hat vielleicht das auch selber.
[Nathalie Stüben]
Sich mit dem Thema auseinandersetzen. Sagen wir mal so, also für manche hilft es total. Bei mir war es zum Beispiel so, für mich war total wichtig, dass ich sage, ich höre jetzt ganz auf zu trinken.
Weil bis dato habe ich immer noch probiert, das irgendwie zu kontrollieren, es irgendwie krampfhaft in mein Leben integriert zu kriegen, indem ich mir Trinkregeln aufstelle, indem ich mich super, super doll anstrenge, wirklich nur ein Glas Rotwein zu trinken oder Bier, weil mir Bier nicht so gut schmeckt oder nur noch nach 18 Uhr oder was nicht alles. Für mich war es total hilfreich, diesen ganz oder gar nicht Entschluss zu fällen im Sinne von, ich höre jetzt ganz auf zu trinken. Aber für manche klingt dieses ganz und für immer eben auch total unheimlich und da hilft es zum Beispiel auch zu sagen, ich mache jetzt mal 30 Tage ohne Alkohol.
Ich will einfach mal sehen, wie sich das anfühlt, wie sich das entwickelt für manche und lustigerweise auch für Männer hilft es total, das so als Projekt zu begreifen.
[Nils Behrens]
Challenge, es ist eine Challenge.
[Nathalie Stüben]
Genau, es ist eine Challenge und werte aus und tracke meinetwegen. Und dann, wenn die 30 Tage vorbei sind, dann mache ich vielleicht nochmal 30 Tage und dann mache ich vielleicht ein halbes Jahr. Wenn es zwischendurch ein bisschen schwieriger wird, mache ich vielleicht mal wieder eine Woche.
Also sich praktisch Zeiträume zu setzen, die überschaubar sind. Das ist auch ein Tipp, den ich in meinem Programm nenne. Das ist auch so ein klassischer Tipp der anonymen Alkoholiker.
Heute trinke ich nicht. Ich habe es ein bisschen umformuliert in heute bleibe ich nüchtern und ich habe eben auch noch so ein paar Optionen mitgegeben für diesen Tipp, weil manchmal ist heute auch ziemlich lang. Aber dann trinkst du halt, bleibst du halt die nächste Stunde nüchtern.
Oder jetzt und jetzt und jetzt bis wieder eine Stunde geht. Und das meine ich. Also sich das so einfach machen wie möglich, das halte ich für total wichtig.
Und dann einfach zu gucken, was funktioniert, auch was diese Hilfsangebote angeht. Für manche sind so Online-Programme wie meine genau das Richtige. Für andere funktioniert am allerbesten eine Selbsthilfegruppe, wo die jede Woche hingehen.
Für manche funktioniert Psychotherapie am allerbesten. Manche nehmen alles mit, was irgendwie geht. Und manche hören eine Podcast-Folge und es macht Klick.
Und da einfach zu schauen, wo zieht es mich hin, wo fühle ich mich gut, wo habe ich das Gefühl, dass hier könnte mir was bringen, das könnte mich wirklich tragen in dieses alkoholfreie Leben.
[Nils Behrens]
Also es ist ja im Grunde eigentlich die Abstinenz als Chance. Und ich finde, was für mich an dieser Stelle noch mal ein ganz wichtiger Punkt ist, ich glaube, man muss, kommen wir wieder zum Anfang der Frage zurück, man muss nicht wirklich ein Problem haben. Deswegen finde ich deinen Punkt so gut zu sagen, die Menge ist nicht das Problem, sondern es ist eben viele andere Faktoren, die da reingehen.
Sondern grundsätzlich sich einfach jetzt vielleicht dieses Gespräch als Anlass zu nehmen und zu sagen, nein, ich mache das jetzt mal, ich probiere das jetzt mal aus. Und man muss deswegen ja kein Alkoholproblem schon gehabt haben, sondern als einfach eine grundsätzliche Entscheidung für sich und für seine Gesundheit. Und deswegen, ja.
[Nathalie Stüben]
Nee, deswegen finde ich diesen Longevity-Trend auch so cool, weil der natürlich auch total darauf einzahlt, dass Nüchternheit ein Lebensstil wird, der keiner weiteren Erklärung bedarf. Ähnlich wie Vegetarismus, am Anfang waren das noch die Freaks, heute krät kein Hahn mehr danach. Es gibt immer mehr alkoholfreie Alternativen auf den Speisekarten.
Also das geht gerade in genau die richtige Richtung. Und ich feiere das so ab, dass immer mehr Menschen, die Interesse haben an Longevity, sagen, also ich hatte kein Problem mit Alkohol, aber ich bin mir einfach wichtig. Meine Gesundheit ist mir einfach wichtig.
Was für einen Teufel werde ich tun, mir da dieses toxische Zeug reinzukippen? Ist mega.
[Nils Behrens]
Ja, deswegen lass uns doch mal drüber sprechen. Was kann man denn gewinnen, wenn man den Alkohol hinter sich lässt?
[Nathalie Stüben]
Oh, boah. Sehr, sehr viel. Also was bei mir, oh Gott, es kam so viel.
Was am tollsten waren wirklich diese Morgen für mich, an denen ich aufgewacht bin und dachte, geil, es gibt nicht mehr verschiedene Versionen von mir, sondern es gibt nur noch diese eine. Und ich führe dieses eine Leben. Ich brauche nicht mehr zu lügen.
Ich kann wieder integer sein. Ich kann wieder zuverlässig sein. Das sind so Werte, die mir wahnsinnig wichtig sind, die ich immer wieder verletzt habe zu Alkoholzeiten.
Das war schön. Was auch total schön ist, ist, dass der Geist wieder so wahnsinnig gut funktioniert, dass man sich wieder sehr gut konzentrieren kann. Also alles, was ich eben genannt habe, so Handlungsplanung, Strategie, strategisches Planen, Abwägen, Kreativität blüht auch wieder auf, sollte man gar nicht meinen.
Das ist zum Beispiel auch so ein Mythos, dass man unter Alkohol besonders kreativ sein kann. Nee. Menschliche Verbindung.
Ach Gott, ich habe so wahnsinnig viel gewonnen. Und bei mir war das tatsächlich ein Sprungbrett in ein besseres Leben. Ich habe dadurch wahnsinnig viel über mich gelernt.
Und was ich heute auch noch als so schön empfinde, ist, dass ich einfach dadurch gelernt habe, ich kann schwierige Dinge meistern. Ich kann das. Ich kann das Leben meistern.
Ich habe diese Zuversicht. Klar, es gibt heute auch Tage, an denen es total schwierig ist. Aber anders als früher fühlt sich das nicht mehr so bodenlos an.
Sondern ich weiß einfach, okay, gerade ist einfach richtig, richtig scheiße. Aber ich kenne mich so gut, dass ich weiß, was ich jetzt brauche. Und ich weiß, wie ich da wieder rauskomme.
Und ich komme da auch relativ schnell wieder raus. Und das sind alles solche Dinge, die die Abstinenz einem beibringen kann, weil man eben plötzlich wieder so klar ist und Emotionen so klar fühlt und dann irgendwie so konstruktive Wege finden muss, um damit umzugehen.
[Nils Behrens]
Ich finde, das ist schon mal ein ganz tolles Plädoyer. Aber trotz allem möchte ich noch mal einen Punkt, den ich jetzt wirklich gesehen habe in der Folge mit Baskas, als wir da was gepostet haben, diese Rechtfertigung dafür, kein Alkohol zu trinken. Etwas, was unglaublich stark resoniert hat in den Kommentaren.
Und da würde ich mich noch mal interessieren, wie ist es denn bei dir? Wie gehst du denn mit diesem Thema Spaßbremse, Langweiler, das personifizierte schlechte Gewissen auf der anderen Seite des Tisches also wie gehst du mit diesem ganzen Thema um?
[Nathalie Stüben]
Also das personifizierte schlechte Gewissen bin ich definitiv. Ich glaube, dass ich langweilig oder spaßbefreit bin, das kam noch nie so richtig als Vorwurf, eher so meiner Bewegung gegenüber, mir gegenüber. Also persönlich habe ich das jetzt noch nie gehört, du bist irgendwie spaßbefreit.
[Nils Behrens]
Nein, aber ich meine jetzt, wenn du einfach sagst, die Leute fragen, trinken sie nicht oder trinkst du nicht? Und dann so, nö, langweilig.
[Nathalie Stüben]
Also sagen wir mal so, ich kriege diese Frage gar nicht mehr so häufig gestellt, weil ich mittlerweile relativ bekannt bin und mit diesem Thema so besetzt bin. Aber ich finde es total in Ordnung, gerade am Anfang, wenn man damit vielleicht irgendwie auch noch nicht so rausgehen will oder sich blöde Diskussionen ersparen will oder so, einfach zu sagen, nee, ich muss morgen früh raus. Ich nehme Medikamente, ich will fahren.
Ich mache gerade eine Challenge oder was auch immer. Da sich irgendwas zurechtzulegen, um einfach dieser wirklich auch extrem nervigen Diskussion aus dem Weg zu gehen. Und je nachdem, in welchem sozialen Kontext man sich da bewegt, kann man das ja auch ein bisschen anpassen.
Man kann ja sagen, keine Ahnung, ich will abnehmen, kann man bei dem sagen, bei dem Nächsten kann man sagen, ich möchte mehr Tiefschlaf oder ich möchte mehr REM schlafen. Könnte man in deiner Blase sagen. Braucht man wieder ein bisschen mehr REM schlafen.
Also ich finde es total legitim. Und dieser Vorwurf, der verletzt einen irgendwann auch nicht mehr so, wenn man einfach weiß, es ist an den Haaren herbeigezogen. Ich weiß ja, wie viel Spaß ich im Leben habe.
[Nils Behrens]
Ich werde es mal mit Ich bin schwanger versuchen. Aber schauen wir mal, ob ich damit durchkomme. Was wünschst du dir denn, dass Frauen aus deinem Buch mitnehmen?
[Nathalie Stüben]
Tatsächlich, wie viel sie gewinnen können, wenn sie das gehen lassen, was sie klein hält. Und dass Alkohol einen wirklich klein hält und gefügig macht. Und dass er so wahnsinnig viel Energie raubt und dass sie zurückkehren kann.
Und dass diese Energie dann wieder zur Verfügung steht für Beziehungen und Projekte und Ideen, die uns wirklich wichtig sind und für die wir brennen. Wenn das darüber kommt und ich denke, das tut es und das ankommt, das würde mich wahnsinnig glücklich machen.
[Nils Behrens]
Es ist schon zum zweiten Mal, dass du eigentlich perfekte Schlussworte gefunden hast. Ich habe aber trotzdem noch eine allerletzte Frage.
[Nathalie Stüben]
Dann gucken wir mal, ob es mir ein drittes Mal gelingt.
[Nils Behrens]
Schauen wir mal. Wenn du einen Wunsch für die Zukunft in Bezug auf den Umgang unserer Gesellschaft mit Alkohol und insbesondere Frauen hättest, was wäre das?
[Nathalie Stüben]
Ich würde mir wünschen, dass Alkohol seine Sonderstellung verliert. Ich bin weit davon entfernt, ein Alkoholverbot zu fordern. Ich fände nur einfach gut, wenn wir das in den Köpfen ähnlich einstufen wie Zigaretten.
Da weiß jeder mittlerweile auch, die sind abstoßend, die machen alt, die machen krank. Das ist einfach keine coole Substanz. Und wenn wir das hinbekommen, da aufzuklären und zu verdeutlichen, dass Alkohol das auch nicht ist, sondern dass das eine verzerrte Wahrnehmung ist, gefüttert durch Milliarden von Marketingbudget, durch eine sehr, sehr schlechte, industriefreundliche und gesundheitsfeindliche Alkoholpolitik, das wäre wirklich schon ein großer Gewinn, das Bild gerade zu rücken.
Das wünsche ich mir, ja.
[Nils Behrens]
Ich finde, das ist ein fantastischer Wunsch. Und ich wünsche mir natürlich, dass alle unsere Hörer auch dein Buch kaufen. Es heißt nochmal der Simple-Titel »Frauen und Alkohol«.
Es ist in Kailasch, Kailasch, wie spricht man den Vertrag so aus? Im Kailasch-Verlag erschienen. Und du hast es geschrieben zusammen mit Professor Dr. Falk Kiefer, den ich an dieser Stelle auch nicht nochmal unerwähnt lassen möchte. Den hattest du ja auch schon zweimal erwähnt. Also von daher, kauf das Buch »Frauen und Alkohol«. Vielleicht ist es genau das, wo man sich bei deiner Freundin Sorgen macht, dass die vielleicht mal darüber nachdenken soll.
Vielleicht ist es ein ganz gutes Geschenk, ein guter Wink mit dem Zaunfall vielleicht so ein bisschen. Aber ja.
[Nathalie Stüben]
Ja, wir haben auch eine lange Passage tatsächlich drin, in der wir das ausführlich darlegen, was man machen kann, wenn man sich um jemand anderen Sorgen macht.
[Nils Behrens]
Also, nochmal vielen Dank fürs Gespräch.
[Nathalie Stüben]
Ich danke für die Einladung und danke fürs Zuhören.
[Nils Behrens]
Hast du eigentlich ein Lieblingssupplement?
[Nathalie Stüben]
Oh, nee. Also ich nehme keine Supplements, aber ich habe letztens Eisen supplementiert, weil ich nämlich sehr viel Sport treibe und da einen Mangel hatte. Ja, da habe ich mein Blut untersuchen lassen und da habe ich es eine Zeitlang supplementiert.
Aber es ist jetzt nicht mein Lieblingssupplement in dem Sinne. Ich ernähre mich sehr gut.