

Die überraschende Wahrheit über Gesundheit – Mit Dr. Werner Bartens
„Wenn ich mich ständig frage, ob ich glücklich bin, bin ich es eigentlich schon nicht mehr – und mit Gesundheit ist es genauso.“
Mit diesem Satz bringt Dr. Werner Bartens auf den Punkt, woran viele moderne Gesundheitskonzepte kranken: Wir verlieren uns in Selbstoptimierung und Kontrolle, statt einfach zu leben.
Im Gespräch mit Nils Behrens spricht der Arzt und Medizinjournalist über die faszinierende Geschichte der Medizin – von der Viersaftlehre über die ersten Narkosen bis hin zu modernen Irrwegen. Und er erklärt, warum wahre Gesundheit nichts mit Perfektion, sondern mit Selbstvergessenheit, Freude und Balance zu tun hat.
Gesundheit ist Selbstvergessenheit – und kein Projekt
Gesundheit, so Bartens, sei kein Zustand, den man steigern könne.
„Ich möchte gesünder leben“ – das ist für ihn ein widersprüchlicher Satz.
Gesundheit zeigt sich vielmehr dann, wenn Körper und Geist im Einklang sind – wenn wir aufhören, ständig auf unseren Körper zu schauen und einfach leben.
Was das bedeutet:
- Bewegung, weil sie Spaß macht – nicht, weil sie „gesund“ ist.
- Essen, das Freude bereitet – ohne schlechtes Gewissen.
- Ruhe und Gelassenheit – statt Dauerüberwachung durch Tracker & Apps.
„Gesundheit ist das, was sich ereignet im Schweigen der Organe.“
Von der Viersaftlehre bis Biohacking – warum sich Irrwege wiederholen
Schon in der Antike glaubte man, dass das Gleichgewicht der vier Säfte – Blut, Schleim, gelbe und schwarze Galle – über Gesundheit entscheidet.
Auch wenn diese Theorie heute überholt ist, blieb ihr Kern aktuell: Balance und Mäßigung.
Doch seit den 1970er-Jahren schwanken wir zwischen Extremen:
Low-Fat, Low-Carb, zuckerfrei, alkoholfrei – und bald wieder das Gegenteil. Bartens warnt vor diesem „neuen Radikalismus“ in der Gesundheit. Er plädiert für Maß, Genuss und Individualität statt Dogmen.
Beispiel Ernährung:
- Fett galt jahrzehntelang als „Feind“ – heute wissen wir: Es kommt auf die Art an.
- Eier waren verpönt – nun gelten sie als wertvoll.
- Zucker und Alkohol sind in Maßen kein Gift, sondern Teil von Genusskultur.
„Es ist gesünder, mit Freunden Schnitzel zu essen, als allein kaltgepresstes Olivenöl zu trinken.“
Warum wir die Seele wieder in die Medizin holen müssen
Mit der wissenschaftlichen Medizin des 19. Jahrhunderts verschwand die Seele zunehmend aus dem Blickfeld. Heute leiden wir an einer hochpräzisen, aber oft entseelten Medizin: Wenig Zeit, wenig Zuwendung, viel Technik.
Bartens fordert:
Medizin muss wieder Leib- und Seelenkunde sein – mit Empathie, Zuhören und Verständnis für das individuelle Leben des Patienten.
„Die Medizin ist keine Ingenieurswissenschaft am Menschen, sondern Zuwendung und Zeit.“
Der Schlüssel: Ganzheitlich verstehen
- Stress, Erschöpfung und Rückenschmerzen haben oft psychische Ursachen.
- Gespräche, Achtsamkeit und soziale Verbundenheit sind zentrale Heilfaktoren.
- Ein gesunder Körper braucht eine gesunde Seele.
Zwischen Aderlass, Lachgas und Smartwatches – was wir aus der Geschichte lernen können
Bartens erzählt mit Humor und Tiefgang, wie sich Irrtümer und Trends in der Medizin wiederholen:
- Lachgas wurde 45 Jahre lang nur für Partys verwendet, bevor man seine betäubende Wirkung erkannte.
- Händewaschen rettete Millionen Leben – doch Ignaz Semmelweis wurde dafür verspottet.
- Eisenbahnkrankheit, „Elektrosmog-Angst“ oder „VR-Sickness“ zeigen: Neue Technologien lösen oft neue Ängste aus.
Heute sind es Biohacker, Tracker und Mikronährstoff-Pillen, die uns suggerieren, wir könnten das Leben kontrollieren.
Doch Bartens mahnt: Nicht alles, was technisch möglich ist, macht uns gesünder.
Gesundheit beginnt mit Freude
Zum Schluss bringt es Dr. Bartens auf den Punkt:
„Ich wünsche mir, dass die Menschen auf das hören, was ihnen Spaß macht – und aufhören, sich ständig um ihre Gesundheit zu sorgen.“
Gesundheit ist kein Leistungsprojekt, sondern ein Lebensgefühl – genährt durch Bewegung, Gemeinschaft, gutes Essen und Humor.
Oder wie Bartens sagt:
„Mein Lieblingssupplement ist Schokokuchen.“
Take Aways
- Gesundheit bedeutet Selbstvergessenheit, nicht Selbstoptimierung.
- Balance ist wichtiger als radikale Ernährungstrends.
- Genuss und Gemeinschaft fördern Wohlbefinden.
- Medizin braucht wieder mehr Zuwendung und Seele.
- Körperliche und seelische Gesundheit sind untrennbar verbunden.
- Technologie und Daten ersetzen kein Gefühl für das eigene Leben.
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Dr. Werner Bartens ist Arzt, Wissenschaftsjournalist und einer der bekanntesten Medizinpublizisten Deutschlands. In seinen Arbeiten setzt er sich kritisch mit den Grenzen moderner Medizin auseinander und betont, dass mehr Diagnostik und Therapie nicht automatisch zu besserer Gesundheit führen. Er warnt vor Überdiagnosen, unnötiger Vorsorge und einer Ökonomisierung des Gesundheitswesens, die Empathie und Zeit im Arzt-Patient-Verhältnis verdrängt.
Bartens plädiert für eine evidenzbasierte, menschliche Medizin, die auf Aufklärung, Transparenz und informierte Entscheidungen setzt. Dabei fordert er, Nutzen und Risiken medizinischer Maßnahmen ehrlich zu kommunizieren und die Eigenverantwortung der Patientinnen und Patienten zu stärken. In Büchern wie „Vorsicht Vorsorge!“ und „Heillose Zustände“ zeigt er, wie Vertrauen, Achtsamkeit und Maßhalten zu einer gesünderen Medizin beitragen können.
Mehr zu Dr. Werner Bartens: https://werner-bartens.de/
123 Die überraschende Wahrheit über Gesundheit. Mit Dr. Werner Bartens
[Dr. Werner Bartens] (0:00 - 0:18)
Also wenn ich mich ständig frage, ob ich glücklich bin, bin ich es eigentlich schon nicht mehr. Wenn ich mich ständig frage, bin ich noch verliebt in diese Frau, diesen Mann, eigentlich auch schon nicht mehr. Und mit Gesundheit genauso.
Ich finde auch, man kann Gesundheit nicht steigern. Ich möchte gesünder leben, ist ein komisches Wort. Ich bin entweder gesund oder ich bin es halt nicht.
[Nils Behrens] (0:19 - 1:26)
Herzlich willkommen zu HEALTHWISE, dem Gesundheitspodcast, präsentiert von Sunday Natural. Ich bin Nils Behrens und in diesem Podcast erkunden wir gemeinsam, was es bedeutet, gesund zu sein. Wir tauchen ein in Themen wie Medizin, Bewegung, Ernährung und emotionale Gesundheit.
Immer mit einem weisen Blick auf das, was uns wirklich gut tut. Wir leben in einer Zeit, in der Gesundheit zur Lifestyle-Frage geworden ist. Aber was bedeutet es eigentlich wirklich, gesund zu sein?
Wer verstehen will, wie unsere heutige Medizin tickt, muss einen Blick zurückwerfen. Auf ihre Irrwege, auf ihre Wunder und die ewige Frage, wie Leib und Seele zusammenhängen. Dr. Werner Bartens ist einer der renommiertesten Medienjournalisten im deutschsprachigen Raum, Arzt, Best-Seller-Autor und Leitender Redakteur der Süddeutschen Zeitung. In seinem Buch Leib und Seele nimmt er uns mit auf eine spannende Reise durch die Geschichte der Medizin. Von Aderlass bis Gen-Therapie, von Wunderheilern bis Hightech-Chirurgie. Er zeigt, warum Heilung mehr ist als Technik, was wir von früheren Irrwegen lernen können und wie wir uns heute gesünder ernähren bzw.
wie wir endlich anfangen können, die Verbindung zwischen Körper und Seele zu vertrauen. Und deswegen sage ich herzlich willkommen, Dr. Werner Bartens.
[Dr. Werner Bartens] (1:27 - 1:28)
Dankeschön, ich freue mich, dass ich hier bin.
[Nils Behrens] (1:28 - 1:33)
Ich freue mich sehr, dass Sie da sind und deswegen fange ich auch gleich mit der ersten Frage an. Wie gesund war Ihr letzter Sonntag?
[Dr. Werner Bartens] (1:35 - 1:46)
Mein letzter Sonntag, der war leider verregnet, aber er hatte einen guten Vorlauf, weil ich hatte eine Veranstaltung im Bregenzer Wald und bin da größtenteils mit dem Rennrad von München hingefahren.
[Nils Behrens] (1:46 - 1:48)
Oh, wow, wie lange fährt man da?
[Dr. Werner Bartens] (1:48 - 2:06)
Naja, ich habe einen Teil der Strecke mit dem Rad bewältigt, weil dann hat meine Frau mich da aufgesammelt. Ich bin da aber schon mehrmals, ein ganz netter Ort, schon mehrmals hingefahren, sind so 160 Kilometer.
In dem Fall bin ich einfach morgens zügig vier Stunden lang, so knapp 90 und dann den Rest halt mit dem Auto.
[Nils Behrens] (2:06 - 2:07)
Gab es am Ende da eine Dusche?
[Dr. Werner Bartens] (2:08 - 2:10)
Na klar, na klar, klar, klar, klar.
[Nils Behrens] (2:10 - 2:17)
Sehr gut, sehr gut. Ich meine auch authentisch, einmal so schön in dem Rennradoutfit, leicht verschwitzt, was über Gesundheit zu erzählen.
[Dr. Werner Bartens] (2:17 - 2:25)
Stark verschwitzt, nein, den Termin hatte ich erst zwei Tage später, aber es war lange Wochenende, 1.
Mai und so weiter und deswegen war das so.
[Nils Behrens] (2:25 - 2:30)
Sehr gut, sehr gut. Was hat Sie an der Geschichte der Medizin so fasziniert, dass Sie ein Buch darüber schreiben wollten?
[Dr. Werner Bartens] (2:31 - 5:05)
Also es ist so, dass ich einerseits es total faszinierend finde, woher unsere damals, heute, auch in Zukunft, unsere jeweiligen Weltbilder, Denkmuster, unsere Paradigmen, Narrative, man kann das kompliziert ausdrücken, man kann auch einfach sagen, an was wir glauben und warum. Also die Vorstellung von Gesundheit und Krankheit, was macht uns krank, was macht uns gesund. Das bis heute populäre Denken, ich will aber was Natürliches, nicht die böse Chemie, wo kommt das her.
Ganzheitlich, der Einfluss der Psyche, also all diese Schlagworte, die ja heute eigentlich immer auftauchen, so im Gesundheitsdiskurs, die haben ja eine Geschichte und zum Teil haben die eine ganz lange Tradition. Zum Teil gibt es da auch witzige Wendungen und amüsante Zufälle und das hat mich, also einerseits historisch interessiert, aber auch, ich fange vielleicht mit was Modernem an, um dann auf ein paar tolle historische Beispiele zu kommen. Selbst der Boom der endoskopischen Operationen, also Schlüssellochchirurgie, wurde schon früher entdeckt, aber so in den 1970er, 80er Jahren wurde es dann richtig populär.
Und da waren am Anfang die Ärzte, die es gemacht haben, so begeistert von der neuen Technik, dass sie, übertrieben gesagt, von hinten durch die Brust ins Auge operiert haben. Also Dinge, die eigentlich unvernünftig, potenziell schädlich waren, weil es so umständlich war im Vergleich zu dem offenen Schnitt. Aber es war die Begeisterung und weil man es kann, hat man es gemacht.
Das ist ja oft so, dass es dann erstmal so einen Hype gibt, so eine bestimmte Mode und aber auch Vorurteile innerhalb der Ärzteschaft. Zum Beispiel gab es eine legendäre Studie 1996 oder 97, da hat man verglichen, wie die endoskopische, also die Schlüssellochoperation, Entfernung der Gallenblase, wie es dem Patienten danach geht im Vergleich zu der klassischen offenen Operation. Und alle dachten, naja, endoskopisch ist doch viel schonender.
Dann stellte sich raus, das war eine tolle, verblindete, placebo-kontrollierte Studie, also die Ärzte auf Station wussten nicht, welcher Patient wie operiert war. Und sollten die dann entlassen, wenn sie wieder fit waren. Die hatten sogar identische Verbände mit ähnlichen Blutspränkeln drauf.
Und die Entlassung sollte dann eben erfolgen, wenn sie wieder fit waren. Und das war kein Unterschied zwischen endoskopisch Schlüssellochoperiert und offen operiert. Es war tendenziell sogar so, dass die offen operierten ein bisschen früher rauskamen.
Merke, die Heilung, der Heilungs-Genesungsprozess ist nicht davon abhängig, wie groß das Loch in der Haut oder in der Bauchwand ist, sondern da wird ein Organ entfernt. Und davon muss man sich erholen. Egal, wie der Schnitt oben ist.
Und solche Dinge fand ich immer wieder faszinierend.
[Nils Behrens] (5:05 - 5:34)
Kann ich nicht nachvollziehen, wobei ich mir jetzt schon denken würde, Sie sagen ja, es war nicht alles sinnvoll, aber jetzt so eine Herzklappentransplantation, da reden wir ja nicht nur darüber, dass man sozusagen ein bisschen Haut schneidet, sondern auch den Brustkorb ja wirklich öffnen muss. Da reden wir über Rippen, die aufgemacht werden müssen.
Da würde ich jetzt immer noch sagen, also wenn ich die Wahl hätte zwischen mir schneidet jemand meine Rippen auf oder die endoskopische Variante, dann würde ich glauben...
[Dr. Werner Bartens] (5:34 - 9:03)
Jaja, unbedingt nicht, dass wir uns da missverstehen. Das ist ein wahnsinniger Erfolg, ein Fortschritt, eine tolle Technik.
Trotzdem gab es am Anfang Übertreibung oder sozusagen eine Fixierung, eine Engführung auf das ist jetzt das Nonplusultra. Und da gab es dann halt auch einige, wie soll ich sagen, Ernüchterungen und Überraschungen, weil man teils aus dieser Begeisterung, auch von der Ärzteschaft, schonender Eingriff und nur gar keine Narbe so ungefähr dann Dinge gemacht hat, die sich dann als unsinnig oder gar nicht vorteilhaft herausstellten. Beispielsweise, wenn es ein komplizierterer Eingriff war, gab es auch kürzlich erst Befunde vor zwei, drei Jahren auf einem großen US-Kongress an der Gebärmutter, dass es, weil das oft sehr komplex dort ist, sich durch diese Schlüsselloch-Endoskopietechnik gar nicht so leicht machen lässt.
Naja, und da gibt es aber, das ist natürlich in der Geschichte zum Teil noch super spannend, wenn ich da gleich anschließen darf. Es gab einen holländischen Tuchhändler, Antoni Leuvenhoek, der hat in den 1670er Jahren, also 1673 glaube ich, gilt so als Erfinder oder als einer der prägenden Männer für die Erfindung des Mikroskops, hat Linsenschleifen, Mikroskop entdeckt, entwickelt und hat dann alles mögliche untersucht. Proben aus der Erde, aus dem Teich, auch sein eigenes Sperma und hat dann aber auch seine Mundschleimhaut abgeschabt und hat da das Wimmeln sehen unter dem Mikroskop und hat einen schönen Satz gesagt, in meinem Mund gibt es mehr Lebewesen als in den Niederlanden.
Weil er natürlich durch die Vergrößerungen dann gemerkt hat, wenn davon so ein bisschen Mundabstrich so viel zu sehen ist. Er war ein anerkannter Wissenschaftler, er war in Korrespondenz oder wurde Mitglied der Royal Society in London, das war damals die renommierteste Wissenschaftsgesellschaft. Er hat mit denen Briefe ausgetauscht, das ist so wie heute ein hochrangiger Nature Science oder Lancet Artikel, also anerkannter Mann, nicht als Spinner abgetan.
Er hat die kleinen Tierchen Animakula, also kleine Lebewesen, Tierchen genannt. Trotzdem kam keiner damals, auch er selbst, nicht auf die Idee, dass er im Prinzip die Bakterien entdeckt hat. 1673, 1675 ist dann der Zeit, weil man an vier Säfte lehre, an Gleichgewicht der Säfte glaubte, dass das der Grund ist, ob man krank oder gesund ist.
An irgendwelche üblen Dämpfe, Miasmen, die die Pest oder andere Krankheiten auslösen. Und es hat 200 Jahre gedauert, bis Robert Koch, Louis Pasteur und andere 1870, 1878 rum das gleiche im Prinzip gemacht haben, nämlich unter dem Mikroskop Erreger gesehen. Dann aber den Schluss, naja, die können ja krank machen und versucht haben, damit dann Tiere zu infizieren und so weiter und das war dann der Beweis.
Und 200 Jahre dazwischen ist eben nichts in dieser Richtung Wesentliches passiert. Und das finde ich dann faszinierend, nicht so nach dem Motto, waren die doof damals, die haben das nicht kapiert, sondern eher, wie stark waren die vorherrschenden Weltbilder, die Gedankengebäude, sodass sie Neues nicht zugelassen haben. Und anderes Beispiel, Sie müssen mich unterbrechen, wenn ich so viel am Stück rede, Lachgas wurde im Jahr 1800 synthetisiert, erfunden quasi.
Ein englischer Chemiker hat ein 500 Seiten dickes Buch darüber geschrieben über Lachgas, da gab es ein dickes Kapitel darüber, das hat betäubende, anesthesierende Eigenschaften. Es gab ja noch keine Narkose, Menschen wurden ja Jahrhunderte, Jahrtausende lang ohne Betäubungsmittel, nur mit sehr untauglichen Mittel, Alkohol oder so Opiumschwemmen betäubt. Also in diesem Buch stand, das könnte ein Narkosemittel sein und wörtlich für chirurgische Eingriffe oder auch bei Zahnoperationen.
[Nils Behrens] (9:03 - 9:04)
Wörtlich stand schon drin?
[Dr. Werner Bartens] (9:04 - 10:22)
Wörtlich. Was gab es danach 45 Jahre lang?
Lachgas Partys. Das heißt, es gab so große Ballons, wo dann, gibt es auch schöne Zeichnungen, ich habe einen Stich in dem Buch abgebildet, wie aus einem großen Ballongefäß dann das Lachgas eingeatmet wurde und dann haben die Leute rumgealbert rumgetanzt. 1845, 45 Jahre später, hat ein Zahnarzt so eine Vorführung gesehen, das haben zum Teil auch Schausteller auf der Bühne gemacht, hat sich einer gewaltig am Bein verletzt, hatte eine tiefe Fleischwunde und ist halt einfach weiter getanzt.
Und da dachte der Zahnarzt, Hammer, der muss doch irgendwie tierische Schmerzen haben oder das ist ein super Betäubungsmittel. Hat sich das besorgt, dieses Gas, hat sich ein paar Tage später von einem Kollegen einen eitrigen Zahn ziehen lassen, nichts gemerkt, das war im Prinzip die Erfindung der Narkose. Gab dann noch ein paar kleine Umwege, aber im Prinzip 45 Jahre unnötige Schmerzen, obwohl es, ich meine, das war ein Chemiker, ein Wissenschaftler, auch nicht als Spinner abgetan, aber es wurde einfach nicht angenommen, nicht wahrgenommen.
Und dafür gibt es noch viele andere Beispiele, wie sich große Geister wie Rudolf Virchow oder auch später Ferdinand Sauerbruch massivst geirrt haben und eine Fehleinschätzung hatten, weil es nicht in ihr Bild und das Weltbild der Medizin passt.
[Nils Behrens] (10:22 - 11:16)
Ich muss da kurz an eine Situation denken, es war natürlich inszeniert, aber es gab ja diesen Film damals, Zurück in die Zukunft, und da gab es ja den Zeitpunkt in der Zukunft, wohin die dann gereist sind, sozusagen, wie sie sich dann auch die Zukunft vorstellten. Also in der zweiten Teil war das ja das.
Und da haben die dann an dem Tag, wo dann dieser Tag dann war, haben sie dann da, der Jimmy Fallon Show, haben sie dann da wirklich diese beiden Darsteller mit dem DeLorean da reinfahren lassen und dann haben sie dann unter anderem dem Professor dann da eben halt ein Smartphone gezeigt und dann meinte er, oh da könnte man ja die Quantenphysik neu berechnen und sowas und was macht ihr damit? Und er so, ja wir machen Selfies und gucken uns Katzenvideos an. Das kommt mir gerade so vor, weil sie sagen eigentlich, wenn man sich überlegt, was für einen wahnsinnig potenten Chip, ich meine ich habe hier gerade ein iPad in der Hand, die alle haben, und wenn man sich dann anschaut, wie wenig wir aus dieser Prozessorenleistung eigentlich raus, und das kommt so ein bisschen mir vor, wie ihre Lachgasparty.
[Dr. Werner Bartens] (11:16 - 11:25)
Ja, schönes Bild, wobei natürlich wir nutzen ja immerhin den Chip, ich meine die Lach-, das Lachgas wurde auch genutzt, aber eben nicht für das, wofür es medizinisch eigentlich total relevant ist.
[Nils Behrens] (11:25 - 11:29)
Naja, also auch dieser hochkantige Chip dafür, aber irgendwann mal sich Katzenvideos anzuschauen.
[Dr. Werner Bartens] (11:29 - 11:29)
Ich gucke keine Katzenvideos.
[Nils Behrens] (11:30 - 11:30)
Ich auch nicht.
[Dr. Werner Bartens] (11:30 - 13:51)
Aber, naja, gut. Naja, oder noch schlimmer, ich meine es hat ja wirklich zu massivem Leid geführt, Ignaz Semmelweis, ein Geburtshelfer, ein Gynäkologearzt aus Wien, der hat 1848, 47, 48 entdeckt, er hatte zwei Abteilungen im Allgemeinen Krankenhaus Wien, angesehenes Krankenhaus, also eines der renommiertesten in Europa damals oder bis heute sehr gut angesehen.
In der einen Abteilung sind die Frauen, sind zwei Prozent der Frauen an Kindbettfieber gestorben, in der anderen 18 bis 20 Prozent. Was war der Unterschied? In der einen wurden die Frauen von Hebammen behandelt, in der anderen kamen die Medizinstudenten und Ärzte direkt aus dem Leichensaal, aus der Anatomie und haben mit ihren ungewaschenen Leichenfingern die Frauen unter der Geburt untersucht.
Und haben damit die Frauen angesteckt und der Semmelweis hat das geahnt, hat vom Kadaver teilen an den Händen der Ärzte gesprochen oder Medizinstudenten und hat gesagt, hier Chlorlösung, Hände waschen. Der wurde gemobbt, der wurde ignoriert, der wurde lächerlich gemacht, weil es hieß ja auch, wir Ärzte sind die Dreckspatzen. Wir, der Heilberuf, machen die Frauen krank.
Er hat innerhalb weniger Wochen zeigen können, dass auch in dieser anderen Abteilung, wo 18 bis 20 Prozent Sterblichkeit waren, die Sterblichkeit auf ein bis zwei Prozent runterging. Also er hat im Prinzip einen wissenschaftlichen Beweis führen können, wie gut das ist. Er wurde, wie gesagt, gemobbt, ausgegrenzt, musste aus dem Krankenhaus dann unter fadenscheinigen Gründen raus.
Der große Virchow, den ich sehr schätze, Rudolf Virchow, bedeutender Mediziner, damals gesagt man, das wird wohl Thrombose sein oder am Winterwetter liegen, wenn die Frauen sterben. Also hat ihn auch quasi das nicht zuerkannt. Später wurde der Semmelweis als Retter der Mütter gefeiert, aber er ist geistig umnachtet, andere Quellen sagen sogar körperlich misshandelt, mit Ende 40 dann gestorben und hat zu Lebzeiten das nicht erlebt.
Also es hat dann mehr als 20 Jahre gedauert und so lange hat er nicht mehr gelebt, bis das dann anerkannt wurde durch einen schottischen Chirurgen, der dann auch so mit Desinfektion, Antisepsis, Hygiene angefangen hat. Auch wieder 20 Jahre unnötiges Leid, unnötige Todesfälle, weil man nicht zulassen wollte, dass das stimmt, was der gesehen, erkannt hat.
[Nils Behrens] (13:51 - 14:24)
Mich erinnert das so ein bisschen an die Geschichte von Dermedikus, da war sowieso ehrlich gesagt, als ich ihr Buch in die Hand bekommen habe, dachte ich so, Mensch, war ich so ein bisschen davon auch, ich sage jetzt mal, inspiriert.
Weil, ich weiß nicht, Sie haben es wahrscheinlich gelesen und da ist ja, er hat ja diese Ausbildung dann eben halt, die er da mit nach England bringt und dann erzählt er dann eben halt solche Sachen, unter anderem, dass die Viren sich über die Luft übertragen. Und ich meine, das ist dann wirklich so, für die Engländer dann sowas wie Science Fiction gewesen, wo die einfach sagen, jaja, über die Luft und das ist ja so, als ob er über Magie reden würde.
[Dr. Werner Bartens] (14:24 - 15:05)
Ja, ich habe den Medikus auch kurz zitiert, ein paar Passagen da drin, weil wo er absolut recht hat und was er relativ gut nachzeichnet ist, man hatte eine Blütezeit der Medizin in der Antike, griechische und römische Medizin und da wurde auch dieses Lehrgebäude von der Vier-Säfte-Lehre eben aufgestellt, das war im Prinzip so ein bisschen wie Installateurhandwerk, also Krankheit entsteht durch ein Ungleichgewicht der Säfte, Blut, Schleim, gelbe Galle, schwarze Galle, davon leiten sich bis heute die Begriffe, Sanguinika hat zu viel Blut, Melancholika hat zu viel schwarze Galle, Cholerika hat zu viel gelbe Galle und Phlegmatika hat zu viel Schleim.
[Nils Behrens] (15:05 - 15:06)
Wirklich?
[Dr. Werner Bartens] (15:06 - 15:25)
Daher kommt diese Temperamentenlehre, Sanguis, Sanguinika, das ist das Blut und Phlegma ist Schleim, also das sind alles die antiken Begriffe und man hat eben gedacht, was muss man machen?
Wie gesagt, eigentlich zuführen, abdichten, aufschütten, rauslassen, also was hat man gemacht? Aderlass.
[Nils Behrens] (15:25 - 15:31)
Was ja heutzutage immer noch bewiesen ist, dass es ja die eine oder andere gute Geschichte auch gibt für den Aderlass.
[Dr. Werner Bartens] (15:31 - 15:51)
Es gibt zwei Krankheiten, die sehr, sehr selten sind, da ist es sinnvoll bei einer Überproduktion von bestimmten Anteilen des Bluts und bei so einer Eisenüberladungsspeicherkrankheit, ist aber super selten, also sonst ist Aderlass eigentlich nicht zu empfehlen. Einlauf, Ludwig XIV. soll hunderte von Einläufen in seinem Leben über sich ergehen lassen.
[Nils Behrens] (15:51 - 15:54)
Da hat er eine andere Freude daran, glaube ich, haben wir irgendwo gefunden.
[Dr. Werner Bartens] (15:55 - 16:50)
Weiß ich nicht, das konnte ja auch ganz schön schwächend sein, also eben Schröpfen und dann verschiedene Mittel von Diäten und deswegen hat man das andere Wissen auch lange nicht zugelassen, weil diese Vier-Säfte-Lehre im Prinzip bis 1800, bis zum Beginn der wissenschaftlichen Medizin, Pathologie, Anatomie vorherrschen war und was ich eigentlich erzählen wollte, aus diesem antiken Wissenschatz über die Medizin, da war aus heutiger Sicht einiges falsch, aber trotzdem gab es da viele Dinge über den Körper, über Pflanzenheilkunde, die schon ganz vernünftig waren.
Das ist im finsteren Mittelalter, medizinisch muss man wirklich vom finsteren Mittelalter sprechen, verloren gegangen. Es haben aber die Heilkundigen aus dem Nahen Osten, aus dem Orient konserviert und der Rob Cole, die Titelfigur aus dem Medicus, geht ja von England oder Europa, wo nur Stümper unterwegs sind, ins heutige Gebiet des heutigen Iraks, Syrien.
[Nils Behrens] (16:50 - 17:16)
Ich glaube es wird immer von Persien gesprochen, wenn ich das richtig erinnere.
[Dr. Werner Bartens] (17:21 - 17:48)
Und in Montpellier, auch nah am Mittelmeer in Südfrankreich entstanden und sich die ersten geistigen Zentren dann im Spätmittelalter und die ersten Universitäten in diesem Raum gebildet haben, wo dann die maurische, arabische Kultur quasi in Kontakt kam mit Christentum und Judentum, also das war so ein Schmelztiegel dann auch des Wissens und da wurde das antike Wissen quasi wieder zurück nach Europa gebracht. Und das ist im Medicus eigentlich sehr, sehr gut nachgezeichnet.
[Nils Behrens] (17:48 - 18:19)
Ja, ich finde es so interessant, weil ganz ehrlich gesagt so ein paar kritische Stimmen gibt es ja auch über unseren heutigen, ich sag mal generellen Zustand, den wir in Europa haben, dass alle Hochkulturen irgendwann mal dann, wenn sie zu satt waren, dann irgendwann gefallen sind und genau dann das passiert ist.
Und wenn man sich das eben halt so anschaut, was, also wenn man heute die Wahl hätte, sich im, sagen wir jetzt mal es war im Irak, eine Operation im Irak zu machen oder in Deutschland, würden wir heute sagen, ich glaube ich fühle mich in Deutschland wohler.
[Dr. Werner Bartens] (18:20 - 18:34)
Ja, wobei natürlich dann gibt es wiederum Dubai, wo aber das Geld oder auch Saudi-Arabien, wo manche deutsche Chefärzte in Ruhe stand oder auch noch nicht in Ruhe stand, dann noch ihr kärgliches Einkommen aufbessern, indem sie dort operieren.
[Nils Behrens] (18:34 - 19:38)
Ich will, worauf ich hinaus möchte, wenn man sich das technologisch anschaut, dann ist die höchste Dichte an Cyberknives, also an diesen Möglichkeiten der technologiegesteuerten Chirurgie, ist in der Türkei zum Beispiel so.
Also man sieht eigentlich auch da, gehen wir ja schon wieder in die Richtung Orient, also da, wo man es eigentlich fast gar nicht erwartet oder auch, ich habe eine Freundin, die macht sehr viel von diesem ganzen, ich sage jetzt mal im weitesten Sinne Medizintourismus, aber das klingt so despektierlich, die sorgt dafür, dass die Leute dahin gehen, wo sie für das beste Preis-Leistungs-Verhältnis manchmal, aber auch für das beste Ergebnis generell, in welche Länder man da gehen sollte. Und ich sage ganz klar, wenn ich jetzt eine Haartransplantation machen wollte, dann ist die Türkei sowas von führend, weil da eben halt wirkliche Künstler auch dabei sind, die eben halt, weil es geht ja nicht nur darum, dass man einen Fuhikel dann irgendwie von A nach B versetzt, sondern dass es auch noch in die richtige Richtung schaut und da hilft es einfach, wenn man Leute hat, die da schon das zigtausendmal gemacht haben.
[Dr. Werner Bartens] (19:38 - 19:54)
Und es scheint so ein großes Business zu sein, ich überlege gerade, ob es bei einem Fußball- oder Basketballspiel, wo es dann auch Bandenwerbung dafür gab, was ja auch eine bestimmte Größe dann eben erstmal von der Branche haben muss, damit sowas dann bezahlt wird.
[Nils Behrens] (19:54 - 19:55)
Ja, ja.
[Dr. Werner Bartens] (19:55 - 19:56)
Also Euroleague Basketball, glaube ich.
[Nils Behrens] (19:56 - 20:18)
Aber ich will nur einfach sagen, also es ist schon interessant, dass wir mittlerweile, ich war tatsächlich mal auf so einem Modizinkongress in Dubai und wenn man sich da anschaut, welche Player da jetzt so auf den Markt kommen, da gucken wir erstmal mit der deutschen Arroganz drauf und wenn man sich dann aber mal die Zahlen, Daten, Fakten anschaut, dann sieht man auf einmal, okay, genau genommen sind die weiter als wir.
[Dr. Werner Bartens] (20:18 - 20:53)
Gut, es ist natürlich auch, wie soll ich sagen, es ist natürlich auch sehr stark marktfinanzgetrieben, klar, und wenn da das Geld ist, dann zieht das viele Leute an und das ist auch etwas, wenn häufig über die Einflussnahme im Medizinbereich gesprochen wird, wir reden immer vom Automobilland Deutschland, die Medizintechnik- und Pharmabranche ist genauso groß wie die Automobilbranche und insofern ist das ein riesen Marktvolumen und eben was, wo viele Leute daran denken oder irgendwie es vorhaben, Geld zu verdienen, insofern gibt es da viele, viele Interessen.
[Nils Behrens] (20:54 - 21:13)
Ich möchte mal wieder zurückkommen auf Ihr Buch.
Sie hatten eben schon mal kurz dieses Thema Viersaftlehre angesprochen. Würden Sie denn sagen, also wir haben jetzt gelernt, dass da immer noch der Sprachgebrauch sozusagen stark von geprägt ist, aber würden Sie grundsätzlich sagen, dass wir aus der Viersaftlehre immer noch etwas lernen können oder ist das wirklich was für das Medizinische Museum?
[Dr. Werner Bartens] (21:15 - 21:40)
Also die Viersaftlehre hat, das war ja so ein ganzes Sinnsystem, es wurde ja nicht nur mit diesen Viersäften, die eben je nach Zustand für Krankheit oder Gesundheit gesorgt haben, argumentiert, sondern es wurde ja auch mit so, es wurden die Elemente, es wurde Erde, Feuer, Wasser, Luft, es war so ein Beziehungskreis quasi, es wurde heiß und kalt und feucht und trocken, also es wurden ganz viele Zustände da eingeordnet.
[Nils Behrens] (21:40 - 21:44)
Was interessanterweise sich ja auch in der ayurvedischen Lehre immer noch wiederfindet.
[Dr. Werner Bartens] (22:10 - 23:26)
Aus medizinischer heutiger Sicht als falsch erwiesen, aber was man mitnehmen kann ist, dass eigentlich seit der Antike bis vor kurzem Ausgewogenheit, Moderatio, so ein gewisses Gleichgewicht von was auch immer, wir müssen jetzt noch mal nicht von diesen Viersäften reden, dass das für die Gesundheit gut ist. Balance.
Genau, aber auch für die Lebensführung, also nicht zu lang schlafen, nicht zu kurz, nicht zu viel essen, nicht zu wenig, von allem ein bisschen und das hat eigentlich sehr lange gegolten und da ist ja, würde einem glaube ich jeder erfahrene Art sagen, auch was dran. Und jetzt finde ich es interessant, dass wir ungefähr seit den 1970er, 80er Jahren haben wir plötzlich so einen neuen Absolutismus, Radikalismus, also es fing dann an mit Low-Fat, plötzlich gab es sozusagen die Achse des Bösen und Fett war dann ja sowas wie das Nordkorea unter den Lebensmittelbestandteilen und wurde reduziert, 2010 haben Ernährungsgesellschaften schon wieder gesagt, nee, nee, das bringt gar nichts, wenn man das Fat reduziert für die Gesamtgesundheit, die bestimmte Krankheiten gehen nicht zurück. Dann war es nach dem Fat kam Low-Carb, dann kam irgendwann Salz, war der Bösewicht, Lauterbach hat das ja dann auch öffentlich immer wieder gesagt, dass er vorher anruft bei irgendeinem Empfang, dass sie kein Salz ins Nudelwasser tun sollen, medizinisch fragwürdig, weil ein gewisser Salzgehalt wird auch als sinnvoll und gesund.
[Nils Behrens] (23:26 - 23:27)
Total, auch fürs Gehirn.
[Dr. Werner Bartens] (23:27 - 24:42)
Genau, Zucker, genauso auch fürs Gehirn, ganz wichtig, dann wurde plötzlich Zucker das neue Gift und dann, und das finde ich immer faszinierend, das war eben auch mit Motiv für das Buch, auch wenn wir jetzt bei sehr zeitgenössischen Themen sind, ist plötzlich seit einem halben Jahr oder Jahr Alkohol. Ich meine, ich weiß seit der Gymnasialzeit, dass Alkohol ein Nervengift ist und dass es ein Schadstoff ist, aber plötzlich wird es so getan, als ob es neue Erkenntnisse gibt und jetzt wird plötzlich jeder Schluck verdammt und ich will überhaupt nicht Alkohol die Gefahren kleinreden, es gibt 50.000 Alkoholtote jedes Jahr in Deutschland, es gibt 1,7, 1,8 Millionen Alkoholiker und bis zu 9 Millionen Menschen in Deutschland wird ein riskantes Trinkverhalten attestiert. Trotzdem denke ich, 40 bis 50 Millionen Erwachsene, darunter ich, haben es über viele Jahre geschafft, ein vernünftiges, sinnvolles, genussvolles, ein Umgang mit Alkohol zu finden. Aber jetzt ist es halt, plötzlich wird es verteufelt und ist eben in der Ecke des Bösen und das ist glaube ich was, da hat fast 2.000 Jahre lang dieses Ausgleich, Moderatio, Mäßigung gewirkt und heute haben wir plötzlich so diese radikale Verbotskultur.
[Nils Behrens] (24:42 - 25:02)
Total und manchmal kommen ja die Leute auch wieder, also manchmal werden ja auch gewisse Nahrungsmittel auch wieder rehabilitiert, also ich sag mal Eier zum Beispiel, also wenn man sich jetzt so, sie sagen es gerade so, Alkohol total verteufelt, wenn man sich aber jetzt ganz ganz viel von diesen, also mein Instagram-Feed ist voll mit, wie gut es wäre jeden Tag Eier zu essen.
[Dr. Werner Bartens] (25:03 - 25:36)
Ich habe ja einen YouTube-Kanal, in dem ich versuche, ruhig sachlich über medizinische Sachverhalte aufzuklären und mein mit Abstand erfolgreichstes Video ist das über Eier. Ich habe es anfangs gar nicht verstanden, aber es ist natürlich so, dass unsere Eltern-Generation oder vielleicht auch viele so Mittelalte heute gelernt haben, oh Eier böse Cholesterin und medizinisch weiß man schon länger, das beeinflusst den Cholesterinspiegel kaum, Eier sind nicht schädlich, sondern tendenziell gesund. Also da hat eine Umkehr stattgefunden, aber dass das jetzt plötzlich so viele beschäftigt, oder wie sie sagen.
[Nils Behrens] (25:37 - 25:38)
Auf einmal so ein Hype auch wieder.
[Dr. Werner Bartens] (25:38 - 25:38)
Genau.
[Nils Behrens] (25:39 - 26:20)
Und da muss man ja wirklich so sagen, also ich esse seit wirklich vielen Jahren, versuche ich wirklich insbesondere auch Hühnerfleisch nicht zu essen, weil ich einfach diese Bilder im Kopf habe da wirklich so und die ganzen Antibiotika-Versorgten, also Hühnerfleisch, Putenfleisch. Das ist für mich wirklich sowas, wo ich immer so nur denke, oh Gott, oh Gott, oh Gott, also loslos vom Tierwohl sage ich mal sowas, wo ich einfach denke immer so, meine Güte, da kann ich auch gleich ein Antibiotikum schlucken. Und auf der anderen Seite ist jetzt auf einmal dann wirklich so ein Eier-Hype, also wo man dann denkt, naja, also wenn man das eine nicht will, weil der Großteil der Eier kommt ja auch aus irgendwelchen Legebatterien.
Also herzlichen Grüß an meinen Vater, der versorgt mich immer, weil er eigene Hühner hat mit seinen Eiern.
[Dr. Werner Bartens] (26:20 - 26:21)
Oh, wie schön.
[Nils Behrens] (26:21 - 26:34)
Von daher esse ich die gerne und viel, aber diese Industrie-Eier, also bis hin zu dem, was ich gerade wieder letztes Wochen am Hotel hatte, dieses Pulver-Rührei.
[Dr. Werner Bartens] (26:34 - 26:36)
Oh, das ist ganz böse.
[Nils Behrens] (26:36 - 26:47)
Ja, das ist ganz böse dann irgendwie sowas so. Also ich glaube einfach, genau was Sie sagen, dieses Radikale auf einmal so, nee, jetzt in Eier, gut, esse jeden Tag Eier, dann würde ich auch wieder sagen, warte mal eben.
[Dr. Werner Bartens] (26:47 - 29:15)
Ja, ja, auf meinem YouTube-Video gab es dann irgendwie zighunderte Reaktionen und dann ganz viele, die so schreiben, ich esse fünf Eier am Tag.
Ich meine, habe ich gar nicht gesagt, ich habe nur gesagt, Eier sind okay, sind gesund, sprich nichts dagegen, jeden Tag eins zu essen oder auch mal zwei, wie das alte Lied und am Sonntag zwei. Und dann kamen plötzlich aber so die Acht Eier am Tag, also fast so ein Überbietungswettbewerb. Und es scheint aber auch beim Menschen da irgendwie das Bedürfnis zu geben und das ist, also wir reden jetzt hier über aktuelle Trends, aber das fand ich so faszinierend, was mich zu diesem Buch bewegt hat.
Das gab es schon immer und es hat manchmal zu irrsinnigen Verzögerungen auch von Therapien, von Heilungen geführt. Manchmal haben diese Weltbilder wie die Vier-Säfte-Lehre 1600 Jahre gehalten. Da wurden Entdeckungen, Innovationen, da hat man die Leute dann entweder nicht geglaubt oder sie nicht wahrgenommen oder man hat sie beschimpft und gesagt, nein, das verstößt gegen die Lehre.
Es gab einen berühmten italienischen Anatomen, Andreas Vesalius, viele kennen vielleicht den Namen nicht, aber diese Zeichnung, wo so ein Muskelmann also quasi enthäutet, man sieht nur seine Muskeln und er hat quasi seine Haut so lässig über den Arm wie ein Mantel geworfen und er steht so in toskanischer Landschaft. Also auch wunderbar gezeichnet, sind Kunstwerke. Und der Vesal oder Vesalius, so sein lateinischer Name, latinisierter Name, der hat auch ganz viele anatomische Entdeckungen gemacht, die das alte Bild aus der Antike in Frage gestellt haben.
Er war ein toller Forscher und wurde dann zum Teil angefeindet und sein eigener Lehrer, Universitätsprofessor, hat gesagt, das kann nicht stimmen, weil dann würde ja die alte Lehre falsch sein. Er hat sich seit der Antike in den 1500 Jahren bis zu der Zeit, es war so 15. 16.
Jahrhundert, hat sich der Mensch verändert. Also der hat jetzt was, als dass die Lehre falsch sein könnte. Also der hat jetzt anatomisch was anderes gesehen als die damals, aber das liegt nicht daran, dass die sich damals geirrt haben.
Ja, aber diese Dominanz oder diese Penetranz von solchen Vorstellungen von Bildern, Vorurteilen, die faszinieren mich und das sieht man ja auch in der Alltagskultur. Ich habe parallel zu Medizin, Geschichte und Germanistik studiert und damals habe ich gesagt, wenn mich jemand gefragt hat, weil ich später mal Arztromane schreiben will, diese Groschenhefte, Nachtschwester Ingeborg oder so.
[Nils Behrens] (29:15 - 29:16)
Haben Sie mal?
[Dr. Werner Bartens] (29:17 - 31:53)
Nein. Kann ich bekommen. Es sollte einfach nur heißen, es ist aus Interesse, es hat keine Absicht, mich interessiert es.
Und da in dem Buch zeige ich ja zum Beispiel, wie sich mit dem Aufkommen der Anatomie und Pathologie um 1800, vorher war das verpönt, die Kirche hat gesagt, soll man nicht machen, nur bei zum Tode verurteilten Straftätern oder bei Leuten, die Suizid begangen haben. Aber um 1800 brach das auf und dann gab es immer mehr Sektionen, Obduktionen, Leichenöffnungen, erst Wiener Schule, Pariser Schule und ein Germanist hat nachgewiesen, wie in den frühen Fassungen von Schneewittchen, Schneewittchen in ein Tuch gewickelt wird oder in einen Holzsarg gelegt. Und ab 1812, parallel zum Boom der Obduktionen, liegt Schneewittchen, so wie wir es kennen, im Glassarg.
Und dann kam plötzlich diese Scheintoddebatte auf, die Angst, lebendig begraben zu werden. Edgar Allan Poe hat da viele Kurzgeschichten so um lebendig begraben werden, wo es darum geht. Es gab plötzlich Sicherheitsärge, weil die Leute Angst hatten, lebendig begraben zu werden, wurden Särge konstruiert, in denen es ein Glöckchen gab.
Und da habe ich eine Abbildung von im Buch mit so einem Rohr für die Sauerstoffzufuhr. Wenn man sich nicht sicher war, ob man tot war, konnte man noch bibbeln. Das war eine reale Angst.
Also ich sage das nicht, um mich darüber lustig zu machen, sondern um zu zeigen, diese vielen Obduktionen dann, das hat sich auch in der Bevölkerung herumgesprochen. Und plötzlich gab es neue Ängste und Befürchtungen. Und hier die Berliner Salondame und Schriftstellerin Rachel Farnhagen, die hatte auch Angst davor.
Und die hat sich dann in einem Sarg aus grünem Glasbaustein beerdigen lassen. Beerdigen ist falsch, bestatten, weil sie wollte, dass der oberirdisch erstmal steht. Und damit sie wirklich sicher sein konnte, dass sie auch tot ist, 20 Jahre lang oberirdisch, bevor der in die Erde gelassen werden sollte.
Aus Angst, da wäre noch was. Also das zeigt sich, wie gesagt, in so etwas wie Schneewittchen, in Märchen. Sie merken die Begeisterung, aber Frankenstein ist so um 1816, 1817 entstanden.
Frankensteins Monster. Und das war ja im Prinzip auch das. Aus Leichenteilen, aus Totenteilen soll Lebendiges erschaffen werden.
Wodurch wird Frankensteins Monster lebendig gemacht? Durch einen Blitzschlag. Kurz vorher war der Blitzableiter und die Batterie erfunden worden.
Also es ist eigentlich, nimmt so die wissenschaftlichen Strömungen der Zeit ziemlich aktuell auf. In dieser Parabel, die natürlich für Technik, die uns im Gleis steht, noch viel mehr. Aber eben auch mit der zeitgenössischen Wissenschaft.
[Nils Behrens] (31:53 - 32:07)
Aber es ist ja sehr häufig, wenn man sich so einige von den wirklich großen Bestsellern und Werken anschaut, die sind ja sehr häufig dann von technischem Fortschritt vorangetrieben. Also ich weiß noch, auch so der 80 Tage um die Welt lag natürlich auch an der großen Verbreitung der Eisenbahn.
[Dr. Werner Bartens] (32:07 - 32:08)
Genau, genau.
[Nils Behrens] (32:08 - 32:13)
Also das ist natürlich ein Buch gewesen, was sozusagen den Zeitgeist sehr stark aufgenommen hat.
[Dr. Werner Bartens] (32:13 - 33:30)
Aber das ist dann ja, genau, das ist ja einerseits das Tolle, grundsätzliche Fragen, wie natürlich künstlich jetzt bei Frankenstein oder bei Natur und Technik, Maschine, Leben und Tod, Strom und Pathologie und Anatomie und wo sie sagen, 80 Tage um die Welt, Eisenbahn, tolles Beispiel. Als die Eisenbahn, ich glaube, das war Ende 1830er, 1840er Jahren die ersten.
Und dann setzte sich das ja in den 1860er, 1870er Jahren weiter durch. Und dann wurden die Eisenbahnen schneller. Es dauerte, glaube ich, noch ein bisschen, bis sie auf 100 kmh kamen.
Aber die fuhren dann irgendwann 60, 70 oder 80. Und das war ungewohnt, weil dieses Tempo hat vorher niemand erreicht. Auf dem Pferd oder laufend oder mit der Kutsche.
Kutschen fuhren, glaube ich, nur 15 oder 20 kmh höchstens. So, was gab es dann? Und das finden Sie in hochrangigen Fachzeitschriften.
Lancet gab es damals schon oder in Medizinbüchern. Die Eisenbahnkrankheit. Ach, das war ein Riesenthema, gibt zig Fachartikel, so in 1870er, 1880er Jahren.
Und zwar, die Menschen waren überfordert durch die Geschwindigkeit. Und durch dieses schnelle Vorbeirauschen der Landschaft und dieses Gerüttel. Und da sind Beschreibungen, da denkt man, da sind todkranke, die aus dem Zug steigen.
[Nils Behrens] (33:30 - 33:31)
Aber interessant.
[Dr. Werner Bartens] (33:32 - 35:23)
Die neue Technik als Überforderung, ich weiß nicht, wie es Ihnen ging. Ich weiß noch, als ich das erste Mal, ich habe mir ja in Frankreich studiert, TGW gefahren bin.
Und vorher hatte man hier irgendwie unseren deutschen D-Zug oder so, ist ein bisschen her. Und dann fuhr man da mit 300. Ich war kurz so ein bisschen, es war neu.
Ich bin nicht krank geworden, ich wusste ja, was das ist. Aber jedenfalls das Tolle an dieser Eisenbahnkrankheit ist jetzt wieder, gab es so vielleicht schwer zu sagen, 10 Jahre, 12, 15 Jahre lang, wirklich Fachdiskussionen unter Medizinern, nicht jetzt nur allein. Und dann, da gibt es ein tolles Buch von einem Kollegen, dann wurde das Empfinden abgepolstert, hat er geschrieben.
Und zwar, indem man Polster statt Holzsitze gemacht hat, also man hat weicher gesessen. Man hat das schnelle Vorbeirauschen der Landschaft zum Genuss erklärt. Panoramafenster und Speisewagen.
Also man hat das quasi umgedeutet. Und dann kam natürlich auch die Gewöhnung, dass immer mehr gefahren sind, man die Vorteile gesehen hat und dann hat man fast nur drüber schmunzeln können, dass es sowas mal gab. Aber finden Sie in Lexika, in Medizinbüchern um 1870, 1880, dazu, weil es unmittelbar passt, im Ersten Weltkrieg gab es, gibt noch so verwackelte schwarz-weiß Aufnahmen, Kriegszitterer.
Also das, was man heute als posttraumatische Belastungsstörung bezeichnen würde, wenn die Leute furchtbare Dinge erlebt haben. Da gab es damals, sieht man, diese Menschen, die dann zum größten Teil in der Psychiatrie waren, die am ganzen Körper beben und zittern und wackeln. Die haben aber keine, sozusagen die hat man für Simulanten gehalten, obwohl die aus heutiger Sicht eben schwer traumatisiert waren.
Und weil das aber keine Anerkennung, keine Entsprechung fand, gab es das im Zweiten Weltkrieg, wo die Traumatisierungen sicher noch mindestens so und viel schlimmer waren, gab es das nicht mehr, aber es gab sogenannte Ulkuskompanien, so wurden die genannt.
[Nils Behrens] (35:23 - 35:24)
Wie heißen die?
[Dr. Werner Bartens] (35:25 - 35:43)
Ulkuskompanien, Ulkus ist der Fachbegriff für Magengeschwür.
Und das war was Reelles, also das war genauso ein Ausdruck von ihrer Traumatisierung, von ihren furchtbaren Erfahrungen. Aber es hat sich dann sozusagen verschoben. Und so gibt es auch zeittypische Krankheiten, die, wie gesagt, ich mach die...
[Nils Behrens] (35:43 - 36:03)
Heute würde man VR-Sickness, sag ich mal, also Virtual Reality Krankheiten, gibt es ja auch Leute, wo im Grunde genommen eigentlich die Virtual Reality Brille und dann sozusagen die Bewegungen nicht hundertprozentig synchron sind, hat man ja auch dieses Problem. Also wahrscheinlich würde man in 50 Jahren, 100 Jahren auch mal über dieses Thema VR-Sickness dann wieder lachen.
[Dr. Werner Bartens] (36:03 - 36:22)
Ja, oder eben, es gibt Sick-Building-Syndrom.
Leute, die denken, dass aus den Wänden, aus der Umgebung überall gefährliche Dämpfe kommen und dass die sie krank machen. Auch wenn tatsächlich mal irgendwelche Behörden und Messungen und sonst wie stattfinden und da nichts ist, die sind einfach überzeugt davon. Oder Elektrosmog hat nachgelassen die Angst davor.
War vor 20 Jahren...
[Nils Behrens] (36:22 - 36:45)
Ich weiß noch, wie 3G eingeführt wurde und man dann irgendwelche frittierten Fotos, Bilder von so frittierten Vögeln, die dann irgendwie in 3D-Strahlung ausgesetzt waren, gab so Videos richtig zu. Und da hat man gesagt, mit Einführung von 3G geht die Welt unter.
So, heute sind wir bei 5G. Wir leben ja noch, glaube ich.
[Dr. Werner Bartens] (36:45 - 37:18)
Ja, oder auch Handy-Hirnkrebs, Hirntumore durch Handystrahlung ist, soweit man weiß, wirklich alles entkräftet, aber war ja auch mal ganz stark.
Also neue Technik. Und da gab es dann tolle Studien, die gezeigt haben, dass selbst wenn Leute täuschend echte Handy-Attrappen hatten und hinterher hat man gefragt, die mit Attrappen und die mit echten Handys, dann haben die ähnliche Symptome geschildert, wenn die überzeugt waren, dass das schädlich ist. Also ja, Kopfschmerzen, Unwohlsein und die hatten Attrappen.
Da war weder eine Batterie und kein Empfang, nichts drin, aber es sah halt täuschend echt aus.
[Nils Behrens] (37:18 - 37:44)
Ich hatte jahrelang auch so einen Chip hinten drauf, so ein Memon hieß der, glaube ich, und die hatten richtig so Bilder dazu, wie sich sozusagen durch die Strahlung die Blutplättchen wie so kleine Geldscheine zusammenrollten. Und mit diesem Chip, das dann natürlich nicht passierte.
Ich möchte mal kurz auf Ihr Buch zurückkommen. Sie schreiben, Gesundheit ist ein Zustand der Selbstvergessenheit. Was heißt das konkret für unseren Alltag, wo wir irgendwo zwischen, ich sage jetzt mal Selbstoptimierung und Fitnesstraker leben?
[Dr. Werner Bartens] (37:44 - 39:55)
Ja, das habe ich gleich am Anfang gestellt, weil es eine wunderbare Beschreibung gibt. Hans-Georg Gadamer, Heidelberger Philosoph, der über 100 geworden ist, hat diesen Satz geprägt, dass sich quasi Gesundheit so ähnlich wie Glück und Liebe eigentlich besonders im Zustand der Selbstvergessenheit ereignen. Also wenn ich mich ständig frage, ob ich glücklich bin, bin ich es eigentlich schon nicht mehr.
Wenn ich mich ständig frage, bin ich noch verliebt in diese Frau, diesen Mann, bin ich eigentlich auch schon nicht mehr. Und mit Gesundheit genauso. Ich finde auch, man kann Gesundheit nicht steigern.
Ich möchte gesünder leben, ist ein komisches Wort. Ich bin entweder gesund oder ich bin es halt nicht. Aber diese Selbstvergessenheit, ach so, dann gibt es noch ein tolles Bild, was ich auch zitiert habe, also ein tolles Zitat von einem französischen Chirurgen.
Der hat gesagt, Gesundheit ist das, was sich ereignet im Schweigen der Organe. Finde ich wunderbar. Aber wir lassen das natürlich immer seltener zu.
Weil wir ständig denken, oh, ich darf jetzt nicht diese Schnitzel essen, obwohl ich Lust habe. Ich darf jetzt nicht hier diese Cola, das ist Wasser, trinken. Das ist böse, das ist schlecht.
Ich muss was tun für meine Fitness. Also viele von uns sind ja ständig damit beschäftigt. Und das ist, glaube ich, nicht unbedingt gesund, dieses sich ständig auch an der Gesundheit arbeiten wollen.
Was für ein komisches Bild. Und wir werden natürlich ständig bombardiert von außen mit Tu dies, mach das, lass das. Und werden kaum in Ruhe gelassen.
Und es ist natürlich auch so, dass durch viele Vorsorgebemühungen und auch durch Senkung von Grenzwerten es inzwischen fast ein Kontinuum ist. Also es gibt den zynisch klingenden Spruch von Ärzten, es gibt keine gesunden Menschen, die nicht ausreichend genug untersucht worden sind. Und es gibt natürlich auch immer mehr sogenannte Vorerkrankungen.
Prä-Diabetes, Prä-Alzheimer, Prä-Hypertonie. Also so ein bisschen während den Anfängen. Du hast es zwar noch nicht, aber es geht in die Richtung.
Und damit werden wir natürlich ständig in so einen Voralarm versetzt, der uns gar nicht mehr einfach nur platt gesagt das Leben genießen lässt und einfach machen lässt. Weil uns geht es ja eigentlich noch, den meisten von uns geht es ja gut.
[Nils Behrens] (39:55 - 41:01)
Definitiv, definitiv.
Ich würde da jetzt so sagen, das ist natürlich jetzt so, ich bin sehr stark in dieser ganzen Longevity-Thematik so drin. Und da fragen mich immer Leute, ja, aber willst du nicht auch noch leben? Und ich sage ganz ehrlich, für mich, alles was ich da tue, tue ich in dem Maße, wie ich mich damit gut fühle.
Das heißt also, ich mache einfach gerne Sport. Und ich habe jetzt mittlerweile dann einfach gelernt, dass nur Laufen manchmal nicht reicht, sondern Kraftsport auch noch wichtig ist. Mittlerweile, ich mache beides einfach gerne.
Aber ich mache darüber hinaus auch noch Sachen. Ich habe jetzt gerade hier, ich wohne in Hamburg und in Berlin, habe jetzt gerade mal meinen Tennisschläger wieder geholt, will jetzt mal wieder ein bisschen Tennis spielen, gehe regelmäßig laufen, gehe regelmäßig krass machen, Kraftwerk. Aber nur um diese eine Fitnesskomponente zu sehen, ich mache das nicht aus einem Ich-muss, sondern weil es mir Spaß macht und weil es mir danach auch, ich mich meistens auch direkt gut fühle.
Das heißt also, es ist ja nicht, wie ich immer sage, es ist ja nicht der Apfelbaum, der mich erst in vielen Jahren dann irgendwie mal was ernten lässt, sondern das ist etwas, wo ich heute, wenn ich heute zum Sport gehe, fühle ich mich heute besser.
[Dr. Werner Bartens] (41:01 - 42:31)
Das ist aber, glaube ich, ein ganz entscheidender Punkt. Das eine ist, ich hatte mal das Glück, einen Nobelpreisträger zu interviewen, einen Mediziner, der hat aber nicht den Medizin, sondern den Friedensnobelpreis bekommen.
Bernhard Laun heißt er, hieß er, ist gestorben mit weit über 90. Der hat den Defibrillator mitentwickelt, die Herzrhythmusstörung, die Einteilung ist nach ihm, nach Laun benannt, also Herbert Kardiologe, der auch einen Medizin-Nobelpreis verdient hätte, aber er hat auf dem Höhepunkt des Kalten Krieges zusammen mit einem russischen Kollegen die IPPNW gegründet, das ist diese ärztliche Vereinigung zur Verhinderung eines Atomkriegs. Also wir Ärzte müssen uns einsetzen, um Krieg zu verhindern.
Wir sind die, die im Kleinen heilen, und wir müssen auch im Großen heilen. Und das hat er als Amerikaner mit einem Russen Ende der 70er Jahre, und dann gab es eben den Friedensnobelpreis. Und der saß mit mir in Frankfurt im Garten, und wir haben ein langes Gespräch gehabt.
Da habe ich gesagt, Dr. Laun, Professor Laun, Joggen, Sport und so, ist das denn gesund? Und ich dachte, Kardiologe sagt natürlich sofort, ja. Was hat er gesagt?
In so einem tollen John-Wayne-Buzz. Wenn es Spaß macht, unbedingt, weil das ist gesund, die Freude daran. Wenn man das gerne macht, und dann hat es noch viel mehr positive Auswirkungen.
Und da bin ich sofort dabei, wenn was Spaß macht. Ich mache auch sehr gerne Sport, ich laufe, ich fahre Rennrad, aber ich mache es nicht sozusagen, ich muss es ja, weil ich muss was für meine Gesundheit tun. Und das ist, glaube ich, ein ganz entscheidender Unterschied.
[Nils Behrens] (42:31 - 42:36)
Ich glaube auch, gesund ist das, was Spaß macht, ist schon sehr, sehr wichtig.
[Dr. Werner Bartens] (42:36 - 42:37)
Genau, ja.
[Nils Behrens] (42:37 - 42:45)
Und deswegen absolut richtig, was Sie sagen, auch dieses, ich hatte jetzt ein paar Gespräche zu viel zum Thema kein Alkohol trinken.
[Dr. Werner Bartens] (42:46 - 42:47)
Das tut mir leid.
[Nils Behrens] (42:47 - 43:11)
Ja, mir auch, weil ich habe so ein bisschen die Leichtigkeit da verloren, was das betrifft. Also ich trinke wirklich sehr, sehr wenig nur noch.
Und trotz allem gibt es so Situationen, wo ich eine Zeit lang dann merkte, als ich so ganz kategorisch auf gar keinen Fall sagte, dass es mich in eine Position gebracht hat manchmal, die mir und meinem Charakter gar nicht so entspricht.
[Dr. Werner Bartens] (43:11 - 43:13)
Okay, schöner Punkt.
[Nils Behrens] (43:13 - 43:26)
Und diesen Punkt, gerade gestern Situationen gehabt, mir war wirklich nicht unbedingt nach Alkohol, aber ein Freund von mir hat gerade sehr, sehr großen Liebeskummer dann gehabt und wollte dann wirklich mit mir das irgendwie so erzählen.
[Dr. Werner Bartens] (43:27 - 43:28)
Den Kummer ersäufen.
[Nils Behrens] (43:29 - 43:31)
Nein, aber er brauchte das, glaube ich, dann dem.
[Dr. Werner Bartens] (43:31 - 43:33)
Und wir haben uns als erstes dann zwei Bier bestellt.
[Nils Behrens] (43:33 - 44:20)
Einfach mal ungefragt. Und in so einer Situation dann zu sagen, sorry, du musst beide trinken, weil ich kann das jetzt nicht und sowas alles, ist der falsche Start für so einen Moment. Da gibt es jetzt wahrscheinlich genügend Leute, die sagen, ja, wie kannst du jetzt dieses Zellgift nicht reintun und keine Ahnung was.
Da sage ich mir auch so, mein Gott, ich habe in diesen letzten 50 Jahren, nicht in den ganzen 50 Jahren, aber in den letzten 30 Jahren, so häufig zu viel getrunken, da wird dieser eine Abend jetzt irgendwie auch nicht mehr den Unterschied machen. Und deswegen glaube ich tatsächlich, also man muss das alles, diese Radikalität, es einfach so kategorisch zu machen. Wenn es einem dadurch an einer anderen Stelle sozusagen schlecht geht und wenn es nur mental ist sozusagen, weil man dann eben für seinen Freund nicht so da sein kann, wie man dann gerne möchte, dann glaube ich, ist das auch nicht gesund.
[Dr. Werner Bartens] (44:21 - 45:26)
Nee. Und es ist, also ich hatte kein Problem, auch schon zu Oberstufenzeiten oder zu Studienzeiten, wenn ich keine Lust hatte, Alkohol zu trinken, dann habe ich das gesagt und dann musste ich das auch nicht groß rechtfertigen, weil ich hatte keine Lust, Punkt. In anderen Momenten habe ich halt ein bisschen oder auch mal mehr oder viel getrunken.
Also jeder wie er mag. Aber wie gesagt, da haben wir so eine neue Radikalität und es gibt so einen New Yorker Ernährungswissenschaftler, da geht es jetzt nicht um Alkohol, aber eben so um fettreich, Fastfood und so weiter. Das ist ja an sich auch nicht schädlich.
Es kommt halt darauf an, dass man, wenn man das regelmäßig macht und oft sind es die Lebensumstände der Leute, die häufig Fastfood und Limo und so weiter zu sich nehmen, die viel, viel schlimmer sind als das Essen an sich, weil das häufig halt aus bestimmten Einkommens- und niedrigeren Bildungsschichten ist und das ist ungesund und macht krank und nicht der Burger allein. Und auf jeden Fall das Zitat von diesem New Yorker Ernährungswissenschaftler ist sehr hübsch. Der hat gesagt, mittlerweile ist es ja so, wenn ich mir einen Cheeseburger an die Lippen halte, ist das gleichbedeutend damit, als ob ich mir eine Pistole an die Schläfe setze.
[Nils Behrens] (45:26 - 45:26)
All right.
[Dr. Werner Bartens] (45:27 - 46:51)
Und das finde ich, ich habe ja mein Buch nicht nach von Hippokrates bis heute chronologisch, sondern nach so Themenblöcken. Geht um Arzt-Patienten-Beziehung, geht um Eindringlinge im Körper, also Infektionskrankheiten, geht um Schauplätze und Räume und ein Thema, ein Kapitel, was ich sehr, sehr schön und wichtig finde, ist diese ganze Frage von Moral und Schuld und schlechten Gewissen.
Und da sind wir ja ganz nah dran jetzt mit unserem Thema Ernährung. Und das ist interessant, dass zu Zeiten der Pest und auch später Cholera, was auch immer, das war oft dann so, die Menschen haben gesündigt und das ist jetzt die Strafe Gottes. Das Strafgericht Gottes kommt über uns.
Also es war immer irgendwie was von außen und oft war es natürlich die Nachbarn, die gesündigt haben, nicht man selbst. Aber man hat es halt blöderweise mit abgekriegt, Pest, Cholera. Das hat sich ja insofern verschoben, als heute oft gesagt wird, ich war gerade auf einem Krebskongress unterwegs und gerade bei Krebs.
Du kannst doch was dagegen tun. Also der Kranke als Opfer seiner selbst, Victim Blaming. Also wenn man was dafür tun kann, dass man gesund bleibt, was ja viele glauben, was aber auch nur in Maßen stimmt, auch der, Entschuldigung, wenn ich das sage, auch der sich gesund ernährende Jogger und trainierte schlanke Mensch kann eine Krankheit bekommen.
Es ist einfach oft Pech, Schicksal und nicht selbst verschuldet. Aber oft wird der Kranke zum Opfer seines falsch gelebten Lebens.
[Nils Behrens] (46:52 - 47:06)
Aber das habe ich mir tatsächlich hier auch geschrieben.
Genau diese Frage, woher kommt dieses tiefe Bedürfnis, alles krank sein, als moralisches Versagen, so zu deuten. Also haben Sie da in Ihrer Recherche irgendwie was gefunden, woher das eigentlich kommt?
[Dr. Werner Bartens] (47:06 - 49:25)
Ich glaube es ist schon so ein bisschen dieses Religion, Gesundheit als Religionsersatz, Gesundheitskult.
Also ich glaube, ich tue was Gutes. Ich glaube daran, viele dieser Dinge, die Menschen machen, sind ja auch gar nicht medizinisch, wissenschaftlich seriös begründet. Da ist ja gar kein Nutzen erwiesen.
Trotzdem gibt es da, gerade auch im alternativen Bereich, Menschen, die unbedingt glauben, sie müssen sich jetzt basisch ernähren. Diese ganze Theorie ist nicht wissenschaftlich gesichert. Es gibt viele Beispiele, aber natürlich auch im anderen Bereich, wo jeder glaubt, das was wir vorhin hatten, Salzverzicht, Zuckerverzicht, dass man denkt, das ist jetzt das Heilmittel.
Oder plötzlich wurde Brot verteufelt. Irgendwie gab es Bücher, die Weizen waren plötzlich ganz böse. Genau, dumm wie Brot und so weiter.
Und das ist natürlich so der Wunsch nach einer einfachen Erklärung, nach Komplexitätsreduktion, wie es so schön heißt. Und ich rede auch, ich schreibe ja über solche Themen auch in der Süddeutschen Zeitung, und da rede ich nicht nur mit Ernährungswissenschaftlern, Ärzten und anderen Forschern, sondern auch mit, es gibt Ernährungsoziologen und es gibt eben auch Sozialwissenschaftler, die sich damit beschäftigen. Und die dann eben sagen, es ist ein geschlossenes Sinnsystem.
Die Menschen haben dann das Gefühl, sie sind da in einem System, was ihnen Halt gibt, und es ist der Wunsch in einer Welt, in der vieles aus den Fugen gerät, klingt nach Vorgartenpsychologie, aber ich finde es sehr überzeugend, wenigstens da die Kontrolle zu behalten. Ich weiß nicht, ob ich in zwei Monaten noch Arbeit habe, überall toben Kriege, brechen Konflikte auf, in den USA dachten wir, verlässlicher Verbündeter ist plötzlich irgendwie ganz fragil das Verhältnis. Und wenigstens in diesem kleinen Bereich, da halte ich mich streng nach Fahrplan, in der kleinen Vorschrift sozusagen, da habe ich Kontrolle, das gibt ein Gefühl von Sicherheit.
Also die Angst vor Kontrollverlust durch ein abgeschlossenes System, und dieses System muss dann gar nicht wissenschaftlich begründet medizinisch sinnvoll sein, sondern ich habe einfach ein System, ich gehöre vielleicht noch zu einem kleinen Kreis der Gläubigen, der Anhänger, und das macht mich dann, da glaube ich dann fest dran und überzeuge andere.
[Nils Behrens] (49:26 - 49:44)
Also ich bin jetzt nicht der größte Trendforscher-Fan, aber ich habe vor 15 Jahren oder wahrscheinlich schon ein bisschen länger, ja kommt es ungefähr, irgendwann zwischen 15 und 20 Jahren mal einen Trendforscher, der die Aussage getroffen hat, dass er der festen Überzeugung ist, dass ein gesunder, trainierter Körper das Statussymbol der Zukunft wird.
[Dr. Werner Bartens] (49:44 - 49:44)
Ja.
[Nils Behrens] (49:45 - 50:08)
Und letztendlich ist es ja ein ganz klein bisschen so gekommen, sage ich mal sowas, dass die massiv Übergewichtigen tendenziell eher zur Unterschicht gehören, während man in den 70er Jahren eher von der Wohlstandsplauze gesprochen hat, sage ich mal so. Das was eigentlich, wenn es auch angeblich falsch zitiert ist, aber Marie Antoinette wohl angeblich mal gesagt hat, wenn das Volk kein Brot hat, dann soll es eben Kuchen essen.
[Dr. Werner Bartens] (50:08 - 50:09)
Dann sollen sie doch Kuchen essen, genau.
[Nils Behrens] (50:09 - 50:21)
Da sind wir heute eigentlich. Man muss ja wirklich sagen, die Unterschicht ist diejenige, die sich von massiv viel Zucker ernährt, also den Kuchen sozusagen isst, während die Reichen sich sozusagen mit Salatblatt und Quinoa darben.
[Dr. Werner Bartens] (50:23 - 51:16)
Und Essen ist natürlich auch so eine Art Distinktionsmerkmal.
Also die einen können sich leisten, Restaurant und irgendwie Menü folgen und im Fernsehen werden Kochshows zelebriert wie Kunsthandwerk. Das ist ja auch ein vergleichsweise neuer Trend, so seit 10, 15 Jahren, diese Kochshows. Das hat doch früher, gab es das nicht?
Da gab es irgendwann mal Biolek hat gekocht, aber davor war das, das hat man halt gemacht. Und da gibt es ganz viele natürlich so, immer auch gegensätzliche Trends. Direkt nach dem Zweiten Weltkrieg ging es darum, erst mal satt zu werden.
Die gute Butter, echter Kaffee, endlich ein Stück Fleisch, das war ein Zeichen für Wohlstand und dann kam eben die Fresswelle und Wohlstandswelle und dann wurde es das Gegenteil, eben Low Fat, Low Carb und alles reduziert und halb und sonst wie. Ist ja auch witzig, wie das so, also auch daran kann man erkennen, dass es Moden folgt. Und gleichzeitig hat es dann eben immer diese Schuld und Schlechtkomponente.
[Nils Behrens] (51:16 - 51:34)
Und da bin ich eigentlich drauf hinaus, weil letztendlich, wenn es tatsächlich so ist, dass das Statussymbol der Zukunft oder vielleicht sogar schon der heutigen Gesellschaft sozusagen ein gesunder, fitter Körper ist, dann ist natürlich auch das Thema mit dem Statussymbol kommt häufig ja auch eine gewisse Arroganz und Abgrenzung dann auch einher.
[Dr. Werner Bartens] (51:34 - 53:42)
Ja, aber was mich daran ärgert und da habe ich wirklich so einen Aufklärungsimpuls ist, die Diskussion über Übergewicht ist in den meisten Fragen, in den meisten Anlässen keine Massen, sondern eine Klassenfrage. Also genau dieses, naja, das ist ja sozusagen tendenziell ein Phänomen der nicht so wohlhabenden, nicht so gut gebildeten Schichten.
Und ich habe immer wieder geschrieben, dass gibt es viele Befunde, dass leichtes und mittleres Übergewicht tendenziell gesünder ist, als das angebliche Ideal- und Normalgewicht. Gibt es viele Befunde, gerade in unseren Jahrgängen, dass gar nicht das Superschlanke so ist, aber das ist dann immer mein Lieblingsbeispiel, wenn ich jetzt einen, die Personalabteilung frage, die hat zwei Bewerber. Beide haben die gleichen Zeugnisse, die gleiche Papierform und der eine wiegt 75 Kilo Hobby Marathon oder Ausdauersport, der andere wiegt 130 Kilo Hobby Fernsehen.
Dann ist relativ naheliegend, dass die Personalabteilung den 75 Kilo Marathon Mann wählen wird. Weil in einem Land, in einer Gesellschaft, in der potenziell und theoretisch die meisten, also in der theoretisch und praktisch auch die meisten mehr als im Überfluss zu essen haben, gilt es als Zeichen für Leistungsbereitschaft und Disziplin, danke schön, wenn man trotzdem schlank bleibt. Also es ist quasi sowas wie Sekundärtugenden, die man damit zeigt.
Der Witz ist natürlich, dass der, der für einen Marathon läuft, dass der vielleicht viel mehr Zeit in der Freizeit dafür braucht und gar nicht so viel arbeiten kann, wie der, der das nicht macht, aber es gilt als Ausweis von Askese Disziplin, Leistungsbereitschaft. Und der andere, also fett, faul und schlecht gebildet, ist sofort die Zuordnung bei Menschen, die übergewichtig sind, man unterstellt sofort, dass die sich selbst und ihr Leben nicht im Griff haben. Und jetzt ist natürlich noch witzig, wie sich das durch die Abnehmspritze verändert, wo es ja nicht mehr Disziplin, Sport, Leistungsbereitschaft tatsächlich braucht oder vermeintlich braucht, sondern jeder, der sich es leisten kann oder die Spritze kriegt, auf diesem Wege erreichen kann.
[Nils Behrens] (53:43 - 53:59)
Ja, das ist auf jeden Fall ein spannender Aspekt bei der ganzen Geschichte. Ich möchte noch mal auf ein anderes Zitat in Ihrem Buch rauskommen. Was sagen Sie, wenn jemand, der glaubt, wenn ich nur das richtige Medikament finde, wird alles gut?
[Dr. Werner Bartens] (54:03 - 54:08)
Naja, es kommt drauf an, für was. Jetzt meinen Sie jetzt für einen Gesunden, der länger leben will?
[Nils Behrens] (54:08 - 54:27)
Nein, ich finde eigentlich, so wie Sie sagen, schon ein bisschen angesprochen mit diesem Thema Ozempic.
Also, wenn die Leute die Wahl haben zwischen, ich ändere meinen Lifestyle und bewege mich mehr, esse gesünder, vielleicht ein bisschen richtiger oder die Möglichkeit haben, über eine Abnehmspritze alles zu bleiben, wie es ist, aber das Medikament regelt schon.
[Dr. Werner Bartens] (54:28 - 55:07)
Klar, das ist natürlich die Tendenz des Menschen, dass er denkt, das ist natürlich das einfache, praktische Allheilmittel und natürlich ist es total, also das weiß man auch, dass selbst Menschen mit einem heftigen Schicksalsschlag, Schlaganfall, Herzinfarkt, dass es ganz vielen dann trotzdem nicht gelingt, ihr Leben zu ändern, auch wenn der Arzt sagt, du könntest mal vielleicht auf das verzichten, rauchen, aufhören, mehr Bewegung und so weiter. Also, und da ist natürlich immer dieser Wunsch nach dieser einen einfachen Lösung. Das gilt allerdings auch für viele Vitaminzusätze, wo man sich dann denkt, naja, ich habe jetzt Schwarzwälder Kirschtorte und Pommes und Schnitzel und dann Ablass von den Diäten.
[Nils Behrens] (55:07 - 55:09)
Ablass, Brief, Vitaminpille, klar.
[Dr. Werner Bartens] (55:09 - 55:31)
Genau, genau. Und damit zu sagen, da tue ich mir dann ja was Gutes.
Und es ist ganz erstaunlich, die Leute, die mich kennen, wenn ich mit denen in der Kantine bin bei der Süddeutschen Zeitung, da haben manche Schnitzel mit Pommes und gucken so schuldbewusst und sagen, ich weiß, das ist jetzt nicht gesund. Dann denke ich mal, doch, es ist gesund, wenn du dich daran freust und mit Kollegen, mit denen du ein heiteres Mittagessen hast.
[Nils Behrens] (55:32 - 55:56)
Und das ist wirklich das Schlimmste.
Ich glaube, das Schlimmste ist genau das schlechte Gewissen. Also entweder man entscheidet sich jetzt für dieses Essen, weil es mir gut tut. Ich bin hier in Berlin, ich habe wie so einen pabloschen Reflex, jedes Mal, wenn ich ins Borchardt gehe, muss ich einen Schnitzel essen.
Und dann genieße ich es aber auch. Ich embrace das dann auch, dass jetzt irgendwie in diesem Augenblick irgendwie Schlitz im Moment ist.
[Dr. Werner Bartens] (55:56 - 56:40)
Ja, unbedingt.
Und ich glaube, nicht ich glaube, sondern ich weiß, dass es gesünder ist, mit Freunden Schnitzel oder Spaghetti Bolognese oder sonst was zu essen, als sich allein und verhärmt ein paar Löffel kaltgepresstes Olivenöl einzuverladen. Und wenn man sich anschaut, wer jetzt die größte Lebenserwartung in Europa hat, das sind ja Spanier, Franzosen, Portugiesen, Italiener, auch Griechenland ist gut dabei. Und das liegt jetzt nicht an den Schnecken, die die Franzosen essen oder am Olivenöl, sondern ich glaube, da ist eine ganz entscheidende Rolle der Stellenwert, den das Essen hat, nämlich Genuss und Lebensfreude.
Und das ist ja nicht nur Klischee im Film. Dieses lange Essen in Gemeinschaft und nicht der Nährwert ist entscheidend.
[Nils Behrens] (56:41 - 56:55)
Ich möchte auch nochmal wieder, Sie haben so viele schöne Anekdoten jetzt über die Historie dann in der Medizin gefunden.
Haben Sie dabei auch eine alte Heilmethode entdeckt, wo Sie sagen, die hätte eigentlich heute auch wieder einen Platz verdient?
[Dr. Werner Bartens] (56:58 - 1:01:01)
Es gibt zum Teil, also es gibt sehr schräge Beschreibungen vom Adalas und von den Einläufen und wie die Menschen offenbar unter Verstopfung gelitten haben. Auch Voltaire hat, glaube ich, gesagt, ich würde 300 Jahre meines Nachwuchs gehen, wenn ich dann endlich frei und unbeschwert auf dem Nachtstuhl sitzen könnte.
Und Diderot, einer der beiden, die die Enzyklopädie damals geschrieben haben, großes erstes Nachschlagewerk, so etwas Ähnliches gesagt, also es muss ein riesen Problem gewesen sein, aber ich war eigentlich auch fasziniert von so manchen legendären Operationen, von denen würde ich gerne ein, zwei erwähnen. Und das eine war ein niederländischer Schmied, Jan de Dod hieß der, und der hat im Jahr 1651, der hatte einen Blasenstein, also einen Stein in der Harnblase, und das kennt man heute kaum noch, Nierensteine kennen die Menschen, aber es gab eben auch früher häufiger Steine, die sie in der Harnblase entwickelt haben, durch einseitige Ernährung, durch zu wenig trinken und wenn man sich die Unterhose nicht oft genug gewechselt hat.
Und dann hat der sich angeblich selber als Schmied so ein bestimmtes Messer angefertigt dafür und hat sich zwischen Hodensack und Darmausgang einen Schnitt gesetzt, hat seine Frau vorher zum Fischmarkt geschickt, damit die das nicht mitkriegt, und hat sich dann einen so wirklich Hühnerei-großen Stein da raus geholt. Es gibt die Theorie, dass früher gab es oft den Starstecher und den Steinschneider als Berufe, das waren so fahrende, es waren keine Ärzte, sondern ursprünglich Barbiere, die aber so leichte chirurgische Tätigkeiten angeboten haben, und dieses Steinschneiden war eben eine davon, also Harnblasensteine entfernen, und es gibt die Theorie, dass da vielleicht schon mal einer angefangen hat, und deswegen ist da Narbengewebe war, weil sonst kann man sich kaum vorstellen, dass dieser Mann das unter doch sehr heftigen Schmerzen wohl selber bis zum glücklichen Ende geführt hat.
Es gibt ein relativ bekanntes Gemälde von ihm, drei Jahre später, ist auch in dem Buch abgebildet, da hält er diesen Stein so, nicht in die Kamera, sondern zu dem Maler hin, der ihn porträtiert, und guckt aber mit säuerlicher Miene, und einige Interpretatoren glauben, vielleicht war er hinterher inkontinent, weil er mit so säuerlicher Miene da ins Bild schaut. Und die zweite Operation, die ist fast noch irgendwie amüsanter oder irgendwie irritierender, und zwar Ludwig der 14. der Sonnenkönig, der mit den vielen Einläufen hatte, vielleicht nicht nur deswegen, eine Analfistel, also eine entzündliche Eiterbildung in der Nähe des Anus, des Darmausgangs, und hat an seinem Leibarzt gesagt, operier das mal, Dr. Felix, hieß der, und der hat natürlich gewusst, okay, wenn das schief geht, kann es auch sein, dass ich dann kopfkürzer bin, und hat deswegen gedacht, ich muss erst mal üben. Das ist ja kein Notfall, es ist super lästig, aber es ist kein Notfall.
Und dann hat er an, wie das Zitat heißt, an 75 fistulösen Patienten geübt, die hat er offenbar aus der Bastille rekrutiert, also man kann sich vorstellen, dass das quasi Menschenexperimente an den Gefangenen waren. Und dann ist aber diese Operation gelungen, und Monsieur Felix wurde nicht den Kopf kürzer gemacht, sondern sogar einen Adelstand erhoben, und Jean-Baptiste Lully, berühmter Barockkomponist, hat eine Hymne auf diese tolle, auf diese medizinische Großtat komponiert, und die hieß Grandieux Sauvé Le Roi, also großer Gott, rette unseren König. Und jetzt kommt der Gag, der sich allerdings nur in französischen Medizin historischen Notizen findet, dass diese Hymne Großer Gott, rette unseren König, das Vorbild für die englische Nationalhymne God Save the Queen oder the King war.
Also, dass das berühmteste englischsprachige Musikstück auf eine Operation am allerwertesten des Sonnenkönigs zurückgeht, findet man in England wenig davon, aber eben in französischen Quellen gibt es das.
[Nils Behrens] (1:01:01 - 1:01:04)
Das ist wirklich saulustig, ehrlich gesagt, eine Analfistel.
[Dr. Werner Bartens] (1:01:04 - 1:01:07)
Genau, eine Analfistel, die dann eben erfolgreich operiert wurde.
[Nils Behrens] (1:01:07 - 1:01:12)
Also dieses God Save the Queen ist basierend auf einer Analfistel.
[Dr. Werner Bartens] (1:01:12 - 1:01:18)
Des französischen Königs. Sagen Franzosen, Engländer würden das jetzt, sagen wir mal, da findet man wenig.
[Nils Behrens] (1:01:18 - 1:01:21)
Das ist so wirklich in der Kategorie Sinnloses Wissen wirklich auf ganz Platz 1, würde ich mal sagen.
[Dr. Werner Bartens] (1:01:22 - 1:01:32)
Ich will das überhaupt nicht als sinnlos bezeichnen, sondern das zeigt halt dieses, ich versuche doch auch den kulturgeschichtlichen, alltagsgeschichtlichen Niederschlag der Medizin darzustellen.
[Nils Behrens] (1:01:32 - 1:02:00)
Sie haben ja auch, weil Sie eben gerade schon das Thema Nahrungsergänzungsmittel als Ablassbriefe so gesagt haben, ich will jetzt mal dieses ganze Snake Oil Fass mal aufmachen, haben Sie da vielleicht auch noch die ein oder andere Anekdote, was man mal glaubte als Heilmittel für alles dann auch gegolten hat?
Wie gesagt, man spricht ja immer gern von diesem Snake Oil, was alle Krankheiten heilt, haben Sie da so ein paar Themen auch gefunden?
[Dr. Werner Bartens] (1:02:00 - 1:02:57)
Da gibt es viele, viele Beispiele in dem Buch, die ich gar nicht alle aus dem Kopf zusammenkriege. Das eine ist, dass man also man hat ja gegen die Pest im Mittelalter, der Schwarze Tod 1347 bis 1353 war die schlimmste Phase, hat man ja wenig machen können.
Man hat witzigerweise, es gab eigentlich fast alle Ratschläge und man hat eigentlich gesagt, die Leute sollen Bewegung und Olivenöl meiden, das fand ich besonders lustig, das was heute als gesund gilt. Es gibt ja Leute, die sollen sagen, eine Flasche die Woche, das ist ja auch wieder ein Wahnsinn. Und dann gab es ja später immer wieder noch Pestepidemien und in Nürnberg hatte man eine besondere Theorie, das war glaube ich in Nürnberg, dass man einen gerupften Hahn auf die Pestbeule, das Hinterteil eines gerupften Hahns, auf die Pestbeule gesetzt hat.
Wenn der Hahn dann gestorben ist, musste man es mit dem nächsten gerupften Hahn versuchen, so lange bis der Hahn überlebt hatte und das sollte die Pest heilen.
[Nils Behrens] (1:02:57 - 1:02:58)
So mache ich das bis heute.
[Dr. Werner Bartens] (1:02:59 - 1:04:57)
Und was ich auch ganz toll fand und das hat auch eine Tradition wieder bis heute, deswegen habe ich so einen Spaß an dem Buch gehabt, weil sich vieles bis heute wiederfindet, es gab von einem Dr. Paulini ein Buch, das hieß, die heilsame Drecksapotheke. Und die Theorie war, das war glaube ich so um 1596 rum, nee, das war ein Jahrhundert später, 1690 rum. Und dieser Dr. Paulini hat geschrieben quasi, man solle abgekochte Pferdeäpfel nehmen, bei Bauchschmerzen oder bei anderen Krankheiten. Man sollte frisch gelassenen Morgenurin zu sich nehmen, man sollte Tierkot, Rattenpisse, sonst wie, also wirklich alles, was man sich so an ekelhaften Dingen vorstellen kann.
Und da gab es ein ganzes Buch und das eine ist, dass ein später dann im 19. Jahrhundert recht bekannt gewordener Internist, der war zunächst Landarzt in Kandern am Südschwarzwald, Kleinstadt zwischen Freiburg und Basel. Und dann sich beklagt hat, die Schwarzwälder oben auf den Höhen, die glauben tatsächlich noch an diese Rezepte aus der Dreckapotheke und da hat doch irgendein Bauer mit Bauchkrimmen dann wirklich irgendwie Pferdeäpfel abgekocht, also 200 Jahre später, 1850, 60 rum.
Und jetzt kommt die Verbindung zu heute, die Älteren werden sich erinnern, Carmen Thomas. Die hat auch mal das Sportstudio moderiert, wo sie durch den Versprecher Schalke 05 gewisse Bekanntheit erreicht hat. Und die hat ein sehr erfolgreiches Buch geschrieben, das hieß Urin, ein ganz besonderer Saft.
Da ging es um die Urintherapie, wir schreiben die, ich glaube es war frühe 90er Jahre oder Ende 80er Jahre. Und ich hab dann immer nur gedacht, da muss man sich als rechtschaffende Niere ja ganz schön auf den Arm genommen fühlen, wenn das, was man mühsam unten rausgepresst hat, oben wieder reingeschüttet wird. Also Urin als Therapie zum Gurgeln, zur äußeren Anwendung, also solche...
[Nils Behrens] (1:04:57 - 1:05:24)
Ja, wobei ich muss da an dieser Stelle einmal einhaken, diese sogenannte braune Suppe sozusagen, das war ja auch etwas, wo man dann eigentlich den Stuhl, verdünnten Stuhl von anderen Menschen gegeben hat, um eigene Magen-Darm-Probleme zu lösen. Und da ist ja bis heute tatsächlich auch eine gewisse wissenschaftliche Basis dahinter, dass eine Stuhltransplantation bei einer ganz massiven, sag ich mal Problemstellung, tatsächlich eine Lösung bringen kann.
[Dr. Werner Bartens] (1:05:24 - 1:05:38)
Gut, das ist jetzt ein, gut, dass Sie das sagen, Urin enthält Harnstoff, Harnstoff ist in vielen Hautcremes als wirksames, gutes Mittel enthalten, das heißt aber trotzdem nicht, dass Urin ein Heilmittel ist.
[Nils Behrens] (1:05:38 - 1:05:38)
Auf keinen Fall.
[Dr. Werner Bartens] (1:05:38 - 1:05:55)
Genau, und das gleiche ist mit sozusagen abgekochten oder auch nicht abgekochten Pferdeäpfeln oder mit dem Kotstuhlgang von anderen Menschen. Aber das stimmt, es gibt natürlich viele Studien und erste Belege, dass diese Stuhltransplantation hilfreich ist.
[Nils Behrens] (1:05:55 - 1:05:55)
Also ich weiß nicht.
[Dr. Werner Bartens] (1:05:56 - 1:06:28)
Stichwort Mikrobiom, wir haben ja mindestens so viel Keime, oder wir haben extrem viel Keime, gesunde Keime im Darm und wenn da das Gleichgewicht verschoben ist zugunsten, also dass mehr krankhafte Keime da sind, dann kann es helfen, wenn der ausgetauscht wird teilweise und dadurch angeregt wird, dass die gesunden Keime sich vermehren. Aber das ist natürlich sozusagen ein isolierter Aspekt, der es deswegen trotzdem nicht richtig macht, Urin insgesamt als Heilmittel oder Kot oder Stuhlgang als Heilmittel zu nehmen.
Aber es ist gut, dass diese Einschränkung ist wichtig.
[Nils Behrens] (1:06:29 - 1:06:43)
Ich habe hier eine Sache mir herausfotografiert, Blitzschnellkonzentration Lebensfreude durch Biozitinglutamin. Das ist so eine Art, sieht so ein bisschen nach 50er Jahre Anzeige aus.
[Dr. Werner Bartens] (1:06:44 - 1:06:45)
Irgendwo steht die Jahreszeit.
[Nils Behrens] (1:06:45 - 1:07:16)
Ah ja, da steht hier sogar 1957, also habe ich gut geschätzt. Hier steht Gesundheit Energie zum Einnehmen im 20.
Jahrhundert, erleben Nahrungsergänzungsmittel wie dieses 1947 beworbene Medikament zur Stärkung der Nerven einen Boom. Das heißt also die Historie sozusagen, man hat ja das Gefühl, dass so dieser große Nahrungsergänzungsmittel-Trend eigentlich erst so die letzten 10 Jahre eigentlich so richtigen Hype hatte. Aber man sieht tatsächlich auch schon 1957 hat man da schon gewisse Versprechen gehabt.
[Dr. Werner Bartens] (1:07:16 - 1:08:03)
Ja und man muss natürlich sagen, wenn man jetzt aus Marketing-Experten Sicht ist der Begriff Vitamin natürlich großartig, weil Vita und Leben, das assoziiert sofort jeder damit, kommt ja auch daher, Vita das Leben und Amin irgendwas, was auch irgendwie gut klingt, eben aus einem aus dem Stoffwechsel, aus dem Körper. Und dieser Begriff stammt glaube ich aus die Zeit um 1920. Und dort wurden ja auch die ersten Vitamine dann isoliert und beschrieben.
Und Linus Pauling, der hat tatsächlich zweimal einen Medizin-Nobelpreis bekommen. Einmal für Frieden und einmal für Chemie. Der hatte schon in den 60er Jahren so eine Vitamintheorie, die allerdings völlig wissenschaftlich abstrus war.
Er hat von Riesenmengen Vitamin C gesprochen, die Krebs und alles heilen. Das hat sich nicht bestätigt.
[Nils Behrens] (1:08:03 - 1:08:08)
Ich hatte einen Physikprofessor, der auch ein großer Pauling-Anhänger war, sogar noch in meinem Studium.
Also von daher, ja.
[Dr. Werner Bartens] (1:08:09 - 1:09:04)
Jaja, also das war ein beeindruckender Mann, was ich so von ihm gelesen oder mitgekriegt habe. Aber da hat er sich dann geirrt.
Und ich glaube, das ist aber auch, jetzt sind wir wieder bei dem, was mich eigentlich die ganze Zeit beschäftigt, woher kommen unsere Vorurteile oder Urteile, unsere Weltbilder, unsere Vorstellungen. Und das ist glaube ich, dass viele Menschen denken, ich lebe in einer entfremdeten künstlichen Welt. Ich sitze im Büro und mache dort Dinge, die nichts mit der Arbeit meiner Hände oder mit der Natur zu tun haben.
Viele wissen gar nicht mehr, wie Lebensmittelproduktion funktioniert oder haben keinen eigenen Garten mehr. Und dass ich da irgendwie dann was zuführen muss. Also diese, ich nenne das Mangelrhetorik.
Da ist glaube ich eben auch viel dran, dass man denkt, irgendwas fehlt mir. Dabei waren wir eigentlich noch nie so gut und mit so vielen guten und sicheren und getesteten Lebensmitteln versorgt wie heute.
[Nils Behrens] (1:09:05 - 1:09:47)
Das stimmt wohl, wobei man eben hat schon sieht, dass ein durchschnittlicher Brokkoli, gegenüber 20 Jahren, ich glaube er hat 30% weniger Vitamine und 40% weniger Mineralstoffe.
Also man sieht ja schon, dass durch die ausgelockten Böden die Qualität sich verändert hat. Aber sie haben auf der anderen Seite natürlich recht, die Leute essen heute einfach mehr Gesundes, weil es auch besser verfügbar ist und besser auch erschwinglich. Plus natürlich auch durch eine also ein Tiefkohlgemüse zum Beispiel hat ja auch teilweise eine viel höhere Konzentration oder Erhaltung von Mikronährstoffen als jetzt eben halt teilweise die über Wochen gelagerte Ware, die dann irgendwie im Supermarkt ist.
[Dr. Werner Bartens] (1:09:47 - 1:10:12)
Und gleichzeitig habe ich auch doch immer wieder gehört oder auch nachgelesen, dass das mit den ausgelockten Böden jetzt auch nicht unbedingt so ist. Wir haben zum Teil zwar Monokulturen, das ist dann schlecht für den Boden, aber dass der Boden jetzt auch nicht insgesamt unbedingt an Nährstoffen nachgelassen hat und zusätzlich werden ja viele Vitamine, werden ja auch Lebensmitteln beigesetzt als Konservierungsstoffe. So dass selbst wenn man die gar nicht jetzt extra als...
[Nils Behrens] (1:10:12 - 1:10:41)
Also mein Lieblingsbeispiel ist immer Vitamin B12, was ja eigentlich nur die Tiere haben, die sich auch sozusagen, also jetzt eine B12 in der Kuh kommt von daher, dass die eben auf einer Weide standen und im Grunde genommen den Dreck mitgefressen haben. Dadurch, dass die nicht mehr auf der Weide stehen, muss man denen das ja nachträglich supplementieren, damit dann noch B12 in dem Fleisch drin ist, um eben halt diesen Mehrwert dann zu haben. Also das ist ja alles ein Wahnsinn.
Ich möchte aber trotzdem den Wahnsinn jetzt noch einmal kurz verlassen, weil sie haben es mir ja schon angekündigt, dass wir länger als eine Stunde reden.
[Dr. Werner Bartens] (1:10:42 - 1:10:43)
Das habe ich nicht gewollt.
[Nils Behrens] (1:10:44 - 1:10:57)
Deswegen möchte ich mal ganz kurz, weil ihr Buch heißt ja Leib und Seele.
Und sie schreiben ja, dass der Blick in den Körper die Seele oft verdrängt hat. Was würden Sie denn sagen, wie holen wir die Seele zurück?
[Dr. Werner Bartens] (1:11:00 - 1:13:47)
Zum einen muss man sagen, dass mit diesem wissenschaftlichen Boom im 19.
Jahrhundert, Anatomie, Pathologie, dann Bakteriologie, Röntgenbilder, alles ganz viele tolle Entdeckungen und Erfindungen wichtig, aber da ist das, was es vorher als viel weiteren Blick gab, ein bisschen verschwunden. Es gab vorher die romantische Medizin, da hat man auf die Natur gehört, ist die Makrobiotik und Homöopathie entstanden, da hat man der Psyche schon eine große Rolle beigemessen, da hat man gesagt, wer Albträume hat oder meint irgendwie Geistererscheinungen zu sehen, das ist eine Bereicherung für die Weltsicht, für das ganze Leben. Und das ist natürlich in dieser Welt des Messens und Vermessens, Laborwerte, Röntgenbilder, KernspinCT heute, verloren gegangen.
Und ich glaube, da sind wir immer noch im 19. Jahrhundert begonnen mit vielen positiven Dingen ausgestatteten, aber trotzdem reduktionistischen Medizin. Also dieser Medizin fehlt was.
Der Medizin fehlt oft die Seele. Und da Seele und Medizin oft mit Menschen zusammenhängen, bin ich da leider etwas pessimistisch, weil woran wird gespart im Gesundheitswesen? Am Personal.
Und die, die da sind, auch wenn sie es gut meinen, haben dann oft einfach nicht mehr die Zeit, sich hinzusetzen für Verständnis, für Zuhören, für so ein altmodisches Wort wie Barmherzigkeit. Das ist ja das, was viele Patienten vermissen. Die sagen ja nicht, das ist schlechte Behandlung.
Gibt es auch, aber die Hauptsache ist ja eigentlich, ach da hat mir keiner zugehört. Und das finde ich auch noch ganz wichtig, es gibt das schöne Wort der Bedeutungserteilung. Also Krankheit hat für jeden Menschen eine andere Bedeutung.
Manche denken, na gut, das ist jetzt mal was, das wird wieder gut schnell. Andere sagen, oh Gott, ein Schicksalsschlag, jetzt geht es bergab und wie soll ich nachher allein zu Hause zurechtkommen? Genauso für eine Therapie.
Jemand kriegt ein künstliches Hüftgelenk. Der eine ist zufrieden, wenn er wieder die Treppe zu seiner Wohnung hochkommt. Der andere hofft vielleicht damit noch Halbmarathon laufen zu können.
Und dieses, ein Freund von mir ist Chirurg und sagt den schönen Satz, was haben zehn Diabetiker schon gemeinsam außer einem entgleisten Blutzuckerspiegel? Genau, dieses Bild, du hast ein anderes Bild von Vorstellungen von Gesundheit und Krankheit und was du damit willst als du und als du und als du. Und das und deswegen schreibe ich auch in meinem Buch Medizin ist nicht Ingenieurswissenschaft am Menschen, sondern Leib- und Seelenkunde durch Zuwendung und Zeit und sich da verstanden zu fühlen, da zu versuchen, was ist dir wichtig mit deiner Krankheit für deine Vorstellung von Gesundheit.
Das macht glaube ich den Kern der Medizin aus.
[Nils Behrens] (1:13:47 - 1:14:27)
Ich finde das hundertprozentig richtig, weil wenn man sich mal heutzutage überlegt, wir konzentrieren uns so stark die ganze Zeit auf das Körperliche, immer Körperliche und wenn man sich mal überlegt, was ist das, worunter weltweit alle Menschen leiden, dann würde ich sagen, alle gemeinsam haben sie Stress. Und jetzt fragt man sich ja, die haben ja eigentlich alle den gleichen Job.
Wodurch wird Stress ausgelöst? Stress kann eben halt durch die berufliche Situation ausgelöst werden, es kann durch private Situationen ausgelöst werden, es kann durch die, keine Ahnung, familiäre Themen, aber letztendlich haben ja alle andere Themen, aber alle leiden sie darunter.
[Dr. Werner Bartens] (1:14:27 - 1:14:29)
Und sie möchten gesehen werden.
[Nils Behrens] (1:14:30 - 1:15:11)
Und jetzt komme ich genau zu dem Punkt, das ist ja das Interessante, dass wir eigentlich diese ganz vielen körperlichen Symptome, die eben halt auch unter anderem durch Stress rauskommen, durch eben halt so hohe Entzündungswerte, die auch durch Stress rauskommen, aber trotz allem wäre, wir sitzen die ganze Zeit da und fangen eigentlich an, das Körperliche immer nur in den Fokus zu stellen, wobei eigentlich das Thema Stress eigentlich etwas Mentales ist, was noch gar nicht im Fokus ist. Und da sind wir tatsächlich bei gesehen werden, weil wie viel es auch Menschen dann einfach nur hilft, einfach mal darüber zu reden, was sie eigentlich belastet, alleine das hilft ja schon.
Und dafür ist in unserer Medizin, in unserer heutigen Zeit immer noch kein Platz.
[Dr. Werner Bartens] (1:15:12 - 1:17:19)
Das stimmt unbedingt und ich bin ein großer Anhänger und Fan der Psychosomatik, weil die das natürlich versucht zu integrieren und das ist eigentlich kein Extrafach in der Medizin unter vielen anderen, sondern eigentlich sollte dieser psychosomatische Blick, der Zusammenhang von Leib und Seele, von Krankheitserwartung, Bedeutung von anderen Einflüssen, weiß man ja bei Rückenschmerzen, das liegt nicht daran, dass am Wirbel irgendwas schief ist, sondern der häufigste Grund für Rückenschmerzen sind Belastungen und zwar psychische Belastungen, Unzufriedenheit in der Beziehung, in der Arbeit, Gratifikationskrise nennen Psychologen das. Ich werde nicht anerkannt, nicht gesehen. Es muss gar nicht um Geld gehen und das ist ein Manko in der Medizin, das fehlt, aber jetzt möchte ich doch noch den Laien, potenziellen Patienten, auch eins mitgeben in dem Sinne, dass es manchmal aber auch eine Heuchelei ist.
Es stimmt, dass die Medizin diesen Blick auf Seele, auf Lebensumstände vernachlässigt und dass oft dafür keine Zeit ist oder selbst wenn die Zeit ist der Blick nicht darauf geht, aber ganz viele Patienten gehen auch zum Arzt und sagen, ich möchte meine Laborwerte bestimmt haben, hier ist mein Hormonstatus, die sozusagen auch selber sehr wertefiziert sind, aber auf der anderen Seite immer von Ganzheitlichkeit und Natürlichreden, aber selber genau an diese ganzen Messwerte und ich habe kürzlich über Herzfrequenz, Variabilität geschrieben, also diesen Parameter beim Joggen, bei Ausdauersport und ein Sportwissenschaftler, der sich sehr intensiv damit beschäftigt, hat gesagt, da kommen mittlerweile Leute zum Arzt, die sagen, meine Smartwatch zeigt, dass meine Bodybattery weit unten ist. Der Arzt weiß gar nicht, was das ist, was das sein soll. Das hat auch keine direkte Entsprechung zu einem medizinischen, körperlichen Befund, aber also sozusagen da werden sind auch eigene sehr Daten und Labor und Röntgen, CT-Bilder fixierte Obsessionen gibt es da auch bei vielen Patienten, bei vielen Laien.
[Nils Behrens] (1:17:20 - 1:17:26)
Ich komme schon zu meiner letzten Frage. Was wünschen Sie sich, was die HörerInnen nach dieser Folge in Ihrem Leben vielleicht verändern oder ausprobieren sollten?
[Dr. Werner Bartens] (1:17:28 - 1:17:57)
Ich wünsche mir, dass sie unbedingt auf das hören oder tun, was ihnen Spaß macht, dass sie sich nicht ständig sorgen um ihre Gesundheit machen und ob das jetzt gesund ist oder nicht so gesund, was sie essen, was sie tun, dass sie hoffentlich Spaß an der Bewegung haben und dass sie dann das Leben genießen und in diesem Zustand der Selbstvergessenheit, zumindest was die Gesundheit angeht, kommen und dadurch hoffentlich viel Spaß mit dem, was sie tun und wie sie leben haben.
[Nils Behrens] (1:17:58 - 1:18:18)
Ich finde es einen ausgezeichneten Schlusswort und sage vielen Dank für das Gespräch.
Ich möchte jetzt natürlich allen Ihr Buch nochmal Leib und Seele ans Herz legen, weil ich würde behaupten, wir haben wahrscheinlich 5% des Buches irgendwie hier jetzt gerade thematisiert deswegen also diese schönen Anekdoten die Sie ja heute hier schon netterweise geteilt haben, davon sind noch sehr sehr viele drin und von daher eine absolute Lesensempfehlung.
[Dr. Werner Bartens] (1:18:18 - 1:18:20)
Danke Ihnen, hat viel Spaß gemacht das Gespräch.
[Nils Behrens] (1:18:24 - 1:18:28)
Haben Sie eigentlich ein Lieblingssupplement oder nehmen Sie überhaupt Supplements?
[Dr. Werner Bartens] (1:18:28 - 1:19:03)
Mein Lieblingssupplement ist Schokokuchen. Ich nehme keine, ich bin aber großer Anhänger von Kuchen nach dem Mittagessen mit Cappuccino oder Milchkäffchen.